Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Hauptschul-Rebell biss oft auch bei Grün-Rot auf Granit
Rudolf Bosch konnte trotz politischer Karriere viele Reformideen nicht umsetzen
RAVENSBURG/FREIBURG - Vor zehn Jahren hat Rudolf Bosch als „Hauptschulrebell“Furore gemacht. Seit Kurzem ist der ehemalige Rektor der Ravensburger Hauptschule Kuppelnau pensioniert. Er geht zwar nicht gefrustet – wirklich glücklich aber auch nicht. Denn obschon Bosch unter der grün-roten Landesregierung eine unverhoffte späte Karriere hingelegt hat, ließen sich seine Reformgedanken nicht in der Form durchsetzen, wie sich der heute 65-Jährige das gewünscht hätte.
2007 hatten Bosch und seine drei Mitstreiter einen von knapp 100 Rektoren unterzeichneten offenen Brief ans damalige CDU-Kultusministerium geschickt. Inhalt: Ein neuer Ansatz von längerem gemeinsamem Lernen sollte gleiche Chancen für alle ermöglichen und nicht zuletzt das Sterben der Hauptund Werkrealschulen aufhalten. Mit diversen Gremien und Ämtern wurde in Ravensburg sodann eine „Modellschule“entwickelt: Unter Einbeziehung von Kita-Kindern ab drei Jahren sollten Schüler bis zu Klasse 10 nicht mehr in Schulklassen, sondern jahrgangsübergreifend unterrichtet und dabei individuell gefördert werden. „Indem die gesamte Schule als Lerngemeinschaft angelegt ist, hätten wir die Bruchstelle Grundschulempfehlung eliminiert“, erläutert Bosch. Gebundene Ganztagsschule und Inklusion vervollständigten das Konzept.
Es wurde allerdings nie umgesetzt – nicht mal in Ravensburg. Denn im Frühjahr 2011 übernahm Grün-Rot in Stuttgart das Ruder und machte sich dran, die Gemeinschaftsschule per Gesetz flächendeckend als neue Schulform zu installieren – noch ausgeklügeltere, parallel laufende Modellversuche brauchte es da folglich nicht mehr. Stattdessen wurde Rudolf Bosch für ihn selbst überraschend für die Stabsstelle Gemeinschaftsschule, Schulentwicklung und Inklusion ins Kultusministerium berufen. Dort trommelte er ein Jahr lang für eine alternative Schulform im Land. Eine tolle Sache sei das gewesen, erinnert sich der gebürtige Engener. Einerseits. Denn er merkte schnell, wie heftig der Gegenwind in der Politik und wie mühsam das taktische Aushandeln sein können: „Ständig wurde unseren Vorstellungen entgegengehalten, das sei politisch so nicht machbar.“
Neue Schulform ist Fehlanzeige Am Ende kam die Gemeinschaftsschule in gestutzter Form – was Boschs Ansicht nach auch der Grund dafür ist, dass sie nicht richtig rund läuft: Sie startet entgegen seiner Überzeugung erst ab Klasse fünf, hat normale Klassenstufen, und mitnichten unterrichten dort zu gleichen Teilen Gymnasial- sowie Haupt- und Realschullehrer. Vom Grundprinzip her wünscht Bosch sich nämlich, dass es neben der Gemeinschaftsschule noch ein zahlenmäßig abgespecktes Gymnasium gibt. Er musste freilich erkennen, dass es selbst unter einer grün-roten Landesregierung einer Herkulesaufgabe gleich kommt, „eine neue Schulform“zu etablieren. Dass zahllose Eltern ihre Kinder nach wie vor am liebsten aufs Gymnasium schicken, führte Bosch zu der Erkenntnis: „Ein integratives Schulsystem kann sein Potenzial offenbar nur entwickeln, wenn es nicht in direkter Konkurrenz zu einem selektiven Schulsystem steht.“
Weiteres Problem: Es fehlt an Ressourcen. Dennoch stünden die Gemeinschaftsschulen enorm unter Druck, sich zu beweisen: „Sie sollen alles können, kriegen aber nicht die Mittel, die sie dafür brauchen“, kritisiert Bosch die Landesregierung. Weil es allerorten noch eine Menge Konzeptarbeit zu tun gebe, seien viele Pädagogen an den Gemeinschaftsschulen „am Rande des Leistbaren – die gehen alle am Stock“. Bosch hofft, dass geeignete EDVProgramme für besseren Austausch und somit für Erleichterung sorgen und man nicht an jedem Standort das Rad neu erfinden muss. Fühlt er sich gescheitert mit seinen Reformideen? Das nicht, aber „unglücklich über manche Entwicklung“sei er durchaus, räumt der 65-Jährige ein.
Brauchen gerechtes Bildungssystem Immerhin: Dass die Gemeinschaftsschule mit gebundener Ganztagsbetreuung gekoppelt ist, hält er für den richtigen Ansatz. Denn, davon ist er, der in einer kinderreichen Familie aufgewachsen ist, überzeugt: „Wir brauchen ein Bildungssystem, das gerecht und leistungsfähig zugleich ist.“Darum kann Rudolf Bosch auch richtig sauer werden, wenn sich immer wieder Eltern gegen eine Ganztagsschule wehren, zugleich aber individuell angepasste Hort-Öffnungszeiten wollen: „Das ist für mich anachronistisch.“
Ravensburg-Rückkehr angedacht Zwar will sich Bosch zunächst auf seine Genesung konzentrieren, ist er doch aus gesundheitlichen Gründen einige Monate vorzeitig aus dem Dienst ausgeschieden. Grundsätzlich kann er sich aber durchaus vorstellen, mal wieder politisch mitzumischen – freilich lieber auf lokaler Ebene. Denn in den letzten Jahren als Schulpräsident im Regierungspräsidium Freiburg hatte der „Herzblutpädagoge“, wie er sich selbst bezeichnet, allzu oft Probleme damit, „Vorgaben umsetzen zu müssen, die mir querliegen“.
Weil er die Zeit im Schussental und auch die Jahre als Grünen-Stadtrat in bester Erinnerung hat, schließt Bosch einen Umzug von Freiburg zurück nach Ravensburg nicht aus. Zumal er und seine Frau hier nach wie vor viele Freunde und Bekannte haben. Doch zuerst steht noch was anderes auf seiner Prioritätenliste: Momentan richtet er sich ein Tonstudio ein. „Ich hole mir die Musik, die ich jahrelang vernachlässigt habe, zurück“, sagt der passionierte Bass- und Gitarrenspieler. Und die Freude darüber überwiegt so manchen Frust der vergangenen Jahre.