Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Integration ist ein langer Prozess
Erstunterkünfte in Weingarten noch gut belegt – Wohnungsmangel bleibt größtes Problem
WEINGARTEN - (sz/rep) „Von Entspannung kann keine Rede sein“, sagt Klaus-Peter Storme, Flüchtlingsbeauftragter der Stadt Weingarten mit Blick auf die Situation in den vier Unterkünften der Stadt. Zwar habe sich die Anzahl der Flüchtlinge deutlich reduziert und es gebe mehr Raum für jeden einzelnen. Sorgen bereitet Storme allerdings, wo die Geflüchteten nach der Erstunterkunft unterkommen sollen. Was schon für zugereiste Familien und Einzelpersonen schwierig ist, ist für Flüchtlinge aus Syrien, Gambia, Afghanistan, Irak oder Iran nahezu unmöglich. Für den Flüchtlingsbeauftragten steht damit die Frage „gelingt es uns, für alle Flüchtlinge eine passende Wohnung zu finden?“im Vordergrund. Sie ist gleichzeitig die Herausforderung für die Zukunft.
Zwar würden in der Doggenriedstraße derzeit elf neue Wohnungen entstehen und es gebe immer wieder Mieter, die sich bereit erklären, an Flüchtlinge vermieten, jedoch ist diese Anzahl zu wenig, wohnen doch derzeit immer noch knapp 200 in den vier Erstunterkünften.
In der Lazarettstraße leben derzeit noch 80 Flüchtlinge. Eine Familie aus Albanien musste zurück, die Abreise einer Familie aus dem Kosovo stehe bevor, wie es in einem Infomationspapier heißt. Aufgrund der politischen Veränderungen hat sich die Situation für viele Gambier verändert. Seit Kurzem hat das Land an der Westküste Afrikas eine demokratisch gewählte Regierung, die dem langjährigen, brutalen Ex-Präsidenten Yahya Jammeh die Macht entriss. Die Verhältnisse dort scheinen sich zu verbessern, was die hiesigen Geflüchteten beunruhigt. „Sie befürchten, dass Gambia bald zu einem sicheren Drittland wird“, sagt Storme, „und ihr Asylantrag deshalb abgelehnt werden könnte.“
Es gibt keine Rechtssicherheit Angst vor Abschiebung hätten Flüchtlinge auch, obwohl sie in Lohn und Brot stehen und eine Ausbildung machen. Für sie bestehe keine Rechtssicherheit auf die sogenannte Ausbildungsduldung. Die Caritas plädiert daher für einen Landeserlass, nach dem Vorbild NordrheinWestfalens. Dort ist seit 2016 der Anspruch auf Duldung zum Zweck einer Ausbildung gesetzlich verankert.
Anders sieht es bei Syrern, Irakern, Eritreern, Somalis oder Iranern in der Lazarettstraße aus. Aufgrund der Situation in ihren Herkunftsländern haben diese Flüchtlinge gute Chancen auf ein Bleiberecht. Die meisten besuchen für ein Jahr einen Integrationskurs, der viermal pro Woche stattfindet.
Fast genau vor einem Jahr kamen die ersten Flüchtlinge in der Scherzachstraße an. Von den derzeit 77 Bewohnern haben inzwischen fast alle – bis auf acht – einen Bescheid vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) erhalten – darunter auch die drei Bewohner, die in dieser Zeit geboren wurden und als Weingartener gelten. 30 haben sich entschieden, gegen ihren Bescheid zu klagen. Die Gründe dafür sind unterschiedlich. 13 müssen laut des ersten Bescheids Deutschland verlassen, zwei Minderjährige, bekamen von der Bamf Aufenthaltstitel, die es für sie schwerer macht, ihre Eltern aus dem Kriegsgebiet nachzuholen. Doch auch für diejenigen, die einen positiven Bescheid bekommen haben, ist die Zeit in der Flüchtlingsunterkunft damit nicht beendet. Sie brauchen Arbeit und eine Wohnung. Gerade einmal eine Familie schaffte es, in die eigenen vier Wände umzuziehen. Lediglich drei Bewohner haben einen bezahlten Job. Einem Syrer gelang es, in einem Anerkennungsverfahren, die Hochschulreife zu bekommen. Für ihn Motivation genug, um weiter an seinem Deutsch zu feilen, um bald studieren zu können. Integration sei, so Fabian Doser von der Caritas Bodensee-Oberschwaben, eben ein langer Prozess.
In der Unterkunft am Martinsberg wohnen nach wie vor 21 Flüchtlinge. Fast alle wohnen hier mehr als oder beinahe zwei Jahre. Darunter auch einige, die sich in psychiatrischer Behandlung befinden. Im Gegensatz zu den anderen besteht für sie nicht der Druck, eine eigene Wohnung oder ein eigenes Zimmer zu bekommen. Es werden vielmehr Möglichkeiten gesucht, diese Menschen so unterzubringen, dass eine weitere Behandlung möglich ist.
Viele haben eine Beschäftigung Eine interne Caritas-Recherche ergab, von den 39 Flüchtlingen, die im April 2014 am Martinsberg ankamen, hätten 14 eine Vollzeitbeschäftigung, sieben einen Ausbildungsplatz, drei eine Teilzeitbeschäftigung oder einen Minijob und vier würden zur Schule gehen. Lediglich sechs Flüchtlinge seien beschäftigungslos, fünf hätten Weingarten verlassen.
Für Klaus-Peter Storme, Flüchtlingsbeauftragter der Stadt Weingarten, steht aufgrund der derzeitigen Situation vor allem diese Frage im Vordergrund: „Gelingt es uns, für alle Flüchtlinge eine passende Wohnung zu finden?“. Die Antwort darauf ist gleichzeitig die Herausforderung für die Zukunft.