Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Spuren legten Tötungsdel­ikt nahe

Ohrring, Flip-Flops und untypische Suizid-Merkmale führten zu Ermittlung­en

- Von Markus Reppner

BERG - Im Mordprozes­s gegen einen 46-Jährigen aus Berg hat der sechste Verhandlun­gstag weitere Details zutage gebracht, die schon früh Zweifel am Tod durch Selbstmord der 43Jährigen aus Berg aufkommen ließen. Am Dienstag sagten vor der Schwurgeri­chtskammer des Landgerich­ts Ravensburg erstmals Polizeibea­mte aus, die unmittelba­r nach Auffindung der Leiche am Tatort waren. Die Staatsanwa­ltschaft legt dem 46-jährigen Ehemann der Toten zur Last, seine Frau in den frühen Morgenstun­den des 10. Juli 2016 in ihrem Wohnhaus in Berg umgebracht und ihren Selbstmord vorgetäusc­ht zu haben. Die Anklage lautet auf Mord.

Wie der Vater der Toten am vergangene­n Prozesstag vor zwei Wochen vor Gericht aussagte, habe er seine Tochter am Nachmittag des 10. Juli im Heizungske­ller erhängt aufgefunde­n. Trotz seines Schrecks und seiner verzweifel­ten Versuche, sie vom Strick zu befreien und sie wiederzube­leben, habe er sofort gemerkt, dass etwas nicht stimme. Die Erhängte berührte mit ihrem Gesäß den Boden, ihr Oberkörper befand sich in in der Luft. Ungereimth­eiten stellte auch eine Notärztin fest, die noch vor der Polizei die Leiche untersucht­e, wie ein Polizeibea­mter gestern vor Gericht berichtete. Sie fand Blutergüss­e am linken Armbeuger, am rechten Arm und am Kehlkopf, Hämatome also, die nur schwer zum Selbstmord passten. Eine Sichtung des Auffindung­sorts der Leiche ließen auch ihn und seine Kollegin zu dem Schluss kommen, dass weitere Ermittlung­sbeamte, insbesonde­re die Kriminalte­chnik, notwendig seien. Ihnen fiel auf, dass das Rohr, um das der Strick gebunden war, kaum eingeknick­t war - unmöglich bei einem Körpergewi­cht von fast 100 Kilogramm. Bei der weiteren Durchsuchu­ng der Wohnräume - insbesonde­re des Schlafzimm­ers - fielen den Beamten weitere Details auf, die gegen die angebliche Selbstmord­version sprachen. Sie fanden neben dem Bett einen Ohrring, an dem der Verschluss fehlte. Diesen fanden die Beamten hinter dem linken Ohr der Toten. Außerdem entdeckten sie einen Flip-Flop-Schuh im Wohngescho­ss, den passenden zweiten dazu im Heizungske­ller. Einbruchsp­uren konnten die Beamten nicht finden. Ein Abschiedsb­rief fehlte. Gegen 20 Uhr begann ein Kriminalte­chniker am Auffindung­sort mit der Spurensich­erung. Auch ihm fiel die ungewöhnli­che Erhängungs­situation auf und die Tatsache, dass der Strick an einem gut fixierten Rohr festgebund­en war. Zudem sei der Hängepunkt gut gewählt gewesen: im Bereich der Verschraub­ung mit der Decke. „Eine Frau würde das bewusst nicht tun“, sagte der 50-Jährige.

Nach zwei Wochen kriminalte­chnischer Ermittlung­en und einer Rekonstruk­tion der Abläufe, die zur Auffindung­ssituation der 43-Jährigen führten, kamen die Beamten zu folgendem Ergebnis: Der Fundort sei nicht mit dem Tatort identisch. Vielmehr sei die 43-Jährige aus dem Schlafzimm­er in den Heizungske­ller geschleift worden – vermutlich auf einem Bettlaken. Dadurch habe sie sich die von der Notärztin festgestel­lten Hämatome zugezogen. Aufgrund der Spuren am Heizungsro­hr die auf eine maximale Belastung von 50 Kilogramm schließen ließen - sei sie in eine sitzende Position gezogen worden. Eine Fremdbetei­ligung ist damit höchst wahrschein­lich.

Angeklagte­r spricht von Morddrohun­gen Unterdesse­n berichtete der Angeklagte, er werde im Gefängnis mit dem Tode bedroht. An seiner Arbeitsste­lle im Gefängnis habe man ihm einen selbst gebauten Galgen hingestell­t mit einem Gürtel als Strang. Ein Galgenmoti­v, auf einen Pappkarton gezeichnet, habe vor seiner Zelle gelegen. Er beklagte sich, die Justizbeam­ten würden weitere Bedrohunge­n gegen ihn ignorieren. Ein Mithäftlin­g habe eine volle Konservend­ose nach ihm geworfen, was ein Beamter hätte sehen müssen. Verteidige­r Hans Bense beantragte eine Haftverleg­ung des 46-Jährigen. Außerdem stellte er im Namen seines Mandanten am vergangene­n Prozesstag einen Beweisantr­ag: Es geht um vier Kissen, die die Kinder während des Erding-Aufenthalt­s mitgehabt hätten. Von diesen Kissen sollen jene Faserspure­n stammen, die eine Gutachteri­n als Fremdspure­n einstufte. Am 2. Mai wird der Prozess fortgesetz­t.

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