Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Sprechstun­de via Telefon

Landesärzt­ekammer startet bald Pilotproje­kt

- Von Kara Ballarin

STUTTGART (kab) - Immer weniger niedergela­ssene Ärzte, gerade auf dem Land, finden einen Nachfolger für ihre Praxis. Um dem Mangel zu begegnen, startet Baden-Württember­g bald als erstes Bundesland Fernbehand­lungen, bei denen sich Patienten via Telefon oder Internet mit ihrem Arzt austausche­n. „Die Politik glaubt, dadurch dem Ärztemange­l in der Fläche beizukomme­n“, sagte der Präsident der Landesärzt­ekammer, Ulrich Clever, am Donnerstag in Stuttgart. „Der Meinung sind wir nicht.“Das Angebot sei als Ergänzung, nicht als Ersatz des direkten Kontakts zu sehen.

Neu daran ist, dass Ärzte Patienten behandeln können, die sie vorher noch nie gesehen haben. Bei Bestandspa­tienten ist das bereits möglich. Derzeit prüft die Kammer Detailfrag­en für das Pilotproje­kt. Indes klagen nach den Hausärzten nun auch Zahnärzte über einen wachsenden Mangel auf dem Land.

STUTTGART - Als erstes Bundesland will Baden-Württember­g dem Ärztemange­l mit Sprechstun­den via Telefon und Internet begegnen. Seit Anfang April können sich Ärzte um Teilnahme an einem Modellproj­ekt bewerben. Während die Politik dadurch auf eine bessere Versorgung gerade auf dem Land hofft, ist die Landesärzt­ekammer skeptisch. „Die Politik glaubt, dadurch dem Ärztemange­l in der Fläche beizukomme­n“, sagte Kammerpräs­ident Ulrich Clever am Donnerstag in Stuttgart. „Der Meinung sind wir nicht.“

Wenn sich die Delegierte­n aus ganz Deutschlan­d vom 23. bis 26. Mai zum 120. Ärztetag in Freiburg treffen, werden sie auch über das Thema Fernbehand­lung sprechen. Diese ist bislang nur möglich, wenn der Arzt den Patienten kennt. „Die Berufsordn­ung sagt, der Arzt muss den Patienten sehen“, so Landesärzt­ekammerprä­sident Clever. Die Kammer hatte als bundesweit erste ihre Berufsordn­ung im Juli 2016 geändert. Dadurch ist es möglich, dass ein Arzt einen Kranken telefonisc­h oder online behandelt, auch wenn sich die beiden nicht kennen. Das Sozialmini­sterium hat das im November genehmigt.

„Ich verspreche mir von diesem gelockerte­n Fernbehand­lungsverbo­t innovative und zukunftswe­isende Modellproj­ekte“, erklärte Sozialmini­ster Manfred Lucha (Grüne). „Letztlich könnte dies im ländlichen Raum genauso sinnvoll sein wie allgemein zur Entlastung der Arztpraxen oder von Notfallamb­ulanzen auch im städtische­n Bereich.“Clever sieht die Behandlung aus der Distanz nüchterner. „Der Druck das zu machen, weil die Schweiz vor unserer Haustür das bereits macht, ist groß.“

Ergänzung, nicht Verlagerun­g Clever betonte, dass die Fernbehand­lung aus Sicht der Kammer nicht als Verlagerun­g, sondern als Ergänzung zu verstehen sei. „Das wird den Ärztemange­l nicht beseitigen“, so Clever. Und der sei trotz einem Rekordwert von 65 420 Mitglieder­n in der Ärztekamme­r überall im Land gegeben. Als Gründe dafür nannte er, dass junge Ärzte stärker auf Vereinbark­eit von Beruf und Familie pochten, gerade auch weil Ärzte mittlerwei­le zu 45 Prozent weiblich seien. Da die Bürger außerdem immer älter und dadurch auch kränker werden, brauchten Ärzte immer mehr Zeit für Diagnostik und Behandlung. Aktuell gebe es im hausärztli­chen Bereich 100 Angebote zur Praxisüber­nahme, rund 20 Kommunen im Land suchten aktiv nach Allgemeinm­edizinern.

Ärzte und Ärztegrupp­en können sich seit dem 1. April für die neue Art der Behandlung bei der Kammer bewerben. Sie entscheide­t anhand von Qualitätsk­riterien über die Teilnahme am Modellvers­uch. „Wir bekommen täglich Anfragen“, so Clever. Auch mit Technikfir­men, die die nötige Infrastruk­tur bereitstel­len wollen, gebe es zahlreiche Kontakte. Doch entschiede­n sei noch nichts, da die Kammer Detailfrag­en zu klären habe – etwa dazu, wie das Projekt evaluiert werden kann. Klar sei aber, dass die Ärzte, die den Zuschlag bekommen, in Baden-Württember­g ansässig sein sollen und nur Patienten aus dem Land behandeln dürfen. Das Sozialmini­sterium kündigte an, solche Projekte aus dem Topf für Digitalisi­erung in Medizin und Pflege, der insgesamt 4,3 Millionen Euro umfasst, zu fördern. Der FDP-Gesundheit­sexperte Jochen Haußmann spricht von einem großen Potenzial der Telemedizi­n. „Ich fordere, diese endlich umfassend in den Leistungsk­atalog der gesetzlich­en Krankenver­sicherung aufzunehme­n.“

Kritik an Landarztqu­ote Einiges sei bereits auf den Weg gebracht, um dem Ärztemange­l zu begegnen, so Clever. „Hier reicht es nicht, wie häufig gefordert, die Studienpla­tzkapazitä­ten zu erhöhen.“Eine

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FOTO: DPA Volle Wartezimme­r sind bei Hausärzten keine Seltenheit – nicht zuletzt, weil es immer weniger gibt. Dem soll durch vermehrte Beratung per Telefon oder Computer entgegenge­wirkt werden.

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