Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Das wird man ja wohl noch sagen dürfen
iese Woche war Tag der Internationalen Pressefreiheit. Die Kunstaktivistin Yoko Ono hat dafür extra ein Kunstwerk für die Medien gestaltet. Darauf ist in englischer Sprache ein handschriftlich verfasster Schriftzug zu lesen: „Free you, free me, free us, free them“. Viele Zeitungen haben das Kunstwerk abgedruckt.
Warum ich Ihnen das erzähle? Weil die Pressefreiheit auch im Lokalen nicht immer eine Selbstverständlichkeit ist. Glücklicherweise werden wir Lokaljournalisten zwar nicht gleich in den Mehlsack gesperrt, wenn wir kritisch über die Regierenden schreiben. Und wir werden auch nicht von den Narrenzünften ausgepeitscht, wenn wir verbotene Wörter benutzen („Fasching“statt „Fasnet“zum Beispiel).
Aber, und das ist wirklich erschreckend: Wir werden immer öfter beschimpft („Lügenpresse“, „Scheißblatt“), wir werden erpresst („Wenn Sie das so schreiben, dann kündige ich mein Abo“), wir werden unter Druck gesetzt („Sie wissen schon, dass wir Anzeigenkunde sind“), wir werden beeinflusst („Wollen Sie nicht lieber ein anderes Thema aufgreifen“) und es wird versucht, uns zu zensieren („Können wir das vor Abdruck noch mal gegenlesen“– „Nein, können Sie nicht!“).
Das ist nicht – ich betone – der Sinn einer Zeitung. Im Landespressegesetz von Baden-Württemberg heißt es: „Die Presse ist frei. Sie dient der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Die Freiheit der Presse unterliegt nur den Beschränkungen, die durch das Grundgesetz unmittelbar und in seinem Rahmen durch dieses Gesetz zugelassen sind. Sondermaßnahmen jeder Art, die die Pressefreiheit beeinträchtigen, sind verboten.“
Natürlich geht mit der Freiheit auch die Gefahr einher, dass etwas passiert. Wenn nicht alles überwacht und kontrolliert wird, kann es zu unvorhergesehenen – manchmal auch unerfreulichen – Ereignissen kommen. Im Kleinen machen diese Erfahrung Eltern, die ihre heranwachsenden Kinder von der Leine lassen. Im Großen machen diese Erfahrung Demokratien, die das Volk entscheiden lassen. Und auch die Presse ist davor nicht gefeit: Uns Journalisten können Fehler unterlaufen. Keine Frage. Manchmal schreiben wir Dinge, die wir später bereuen. Oder wir bewerten und gewichten Themen anders als unsere Leser. Dennoch ist diese Freiheit ein hohes Gut.
Heutzutage nimmt jeder für sich in Anspruch, den Mund aufmachen zu dürfen. Egal wo, egal zu welchem Thema. Noch nie war die Meinungsfreiheit so gefragt wie jetzt. Noch nie war aber auch die Verachtung gegenüber anderen Meinungen und Menschen, die diese äußern, so groß wie jetzt. Ein jeder reklamiert für sich, die „richtige“Weltanschauung zu haben. Und wo diese auf Unverständnis oder Gegenwind trifft, heißt es schnell: „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen.“
Warum wird diese Meinungsfreiheit nun aber gerade der Presse abgesprochen? Warum werden Autoren wegen ihrer Kommentare aufs Übelste angegangen? Warum werden Journalisten der Lüge bezichtigt, nur weil sie etwas schreiben, das nicht unbedingt jeder hören will?
Eine Antwort darauf habe ich leider nicht. Aber es ist gut, wenn sich Journalisten nicht einschüchtern lassen – auf internationaler Ebene nicht und auf lokaler Ebene auch nicht.