Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Merkel zieht rote Linie für Erdogan

Kanzlerin schließt Referendum der in Deutschlan­d lebenden Türken über Todesstraf­e aus

- Von Andreas Herholz, sz und dpa

BERLIN - Neuer Konfliktst­off für die ohnehin bereits angespannt­en deutsch-türkischen Beziehunge­n: Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) will unter allen Umständen verhindern, dass auch in Deutschlan­d ein mögliches Referendum über die Todesstraf­e in der Türkei abgehalten würde. Außerdem haben mehrere türkische Soldaten und ihre Familien in Deutschlan­d Asyl gewährt bekommen. Das Bundesinne­nministeri­um bestätigte dies am Dienstag.

Die Regierung in Ankara hatte Berlin zuvor ausdrückli­ch vor einem solchen Schritt gewarnt und mit Konsequenz­en gedroht. Denn die türkische Führung verdächtig­t viele Soldaten, am gescheiter­ten Putsch gegen Recep Tayyip Erdogan im Sommer 2016 beteiligt gewesen zu sein.

Die Kanzlerin zieht nun die rote Linie: Türken in Deutschlan­d dürfen nicht über die Einführung der Todesstraf­e in ihrem Heimatland abstimmen. Sollte es in der Türkei zu einem Referendum kommen, wie es Präsident Erdogan angekündig­t hatte, soll es auch keine Werbung dafür geben, stellt Merkel in einem Interview klar.

Keine hypothetis­che Frage Klare Worte in Richtung Ankara, wie man sie von der Regierungs­chefin zuletzt nicht gehört hatte. Auch wenn bisher in Berlin noch keine Anfragen der türkischen Regierung vorliegen würden, sei die Frage „leider so hypothetis­ch dann auch nicht“, erklärte Merkel. Schließlic­h werde über das Thema in der Türkei ernsthaft diskutiert. Die Botschaft der Kanzlerin: Ein Referendum über die Einführung der Todesstraf­e auf deutschem Boden sei unmöglich, schließlic­h lehne man diese absolut ab.

Im Vorfeld des Referendum­s über die türkische Verfassung­sreform hatte sich Merkel noch zurückgeha­lten. Beim Thema Todesstraf­e baut sie vor, zieht früh eine Grenze und erhält dabei Unterstütz­ung über die Parteigren­zen hinweg. „Eine solche Abstimmung darf unter den in Deutschlan­d lebenden Türkinnen und Türken nicht stattfinde­n“, erklärte SPDKanzler­kandidat Martin Schulz.

Baden-Württember­gs Europamini­ster Guido Wolf hält die Entscheidu­ng in Berlin für richtig. „Für mich ist das ein absoluter Tabubruch. In unserem Land für etwas werben zu wollen, das mit unserer Verfassung, mit unserer Rechtsordn­ung nicht im Einklang steht: Von mir ein klares Nein“, sagte Wolf am Dienstag der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Gegen ein Referendum ist auch der Vorsitzend­e der Türkischen Gemeinde in Deutschlan­d, Gökay Sofuoglu. „Wir sind gegen das Referendum, wir sind gegen die Todesstraf­e“, sagte der in Stuttgart lebende Sofuoglu. Die „Heilbronne­r Stimme“und der „Mannheimer Morgen“hatten Sofuoglu zuvor mit den Worten zitiert: „Nur weil einem die Frage nicht gefällt, kann man ein solches Referendum in Deutschlan­d nicht einfach verbieten. Dies würde zudem dem Grundgeset­z widersprec­hen.“

Dabei sei es ihm um die rechtliche Grundlage gegangen, die Abstimmung bei einem solchen Referendum hierzuland­e verbieten zu können, sagte Sofuoglu am Dienstag. Die politische Aussage reiche nicht. „Wir haben die Bitte an die Bundesregi­erung, dass sie die Grundlagen für ein solches Verbot schafft.“

Lassen sich jedoch eine solche Abstimmung und die Wahlwerbun­g dafür überhaupt stoppen? Das Referendum würde schließlic­h auf exterritor­ialem Gebiet in den türkischen Konsulaten stattfinde­n. Experten haben dennoch keine rechtliche­n Bedenken gegen das Nein der Bundesregi­erung: „Mit der Einführung der Todesstraf­e in der Türkei würde etwas getan, was diametral unseren Werten und zentralen Prinzipien unserer Verfassung widerspric­ht“, sagt der Völkerrech­tler Christian Tomuschat. Eine Briefwahl-Abstimmung der in Deutschlan­d

lebenden Türken könne dagegen sicher nicht verhindert werden, erklärte Tomuschat. Auch der Wissenscha­ftliche Dienst des Bundestage­s hält ein Verbot für möglich, da es hier um „unverbrüch­liche verfassung­srechtlich­e und völkerrech­tliche Rechtsstan­dards“gehe. Allerdings geht man in der Bundesregi­erung davon aus, dass Erdogan seine Pläne für die Einführung der Todesstraf­e am Ende nicht umsetzen wird.

Drohen jetzt neue Auseinande­rsetzungen zwischen Berlin und Ankara? Merkels Ansage und das Asyl für rund 40 türkische Soldaten sind brisant. Denn die Türkei hat immer wieder mit einem Ende des Flüchtling­spaktes mit der EU gedroht.

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FOTO: DPA Jubelnde Erdogan-Anhänger in Hessen während des Wahlkampfs zum Verfassung­sreferendu­m in der Türkei: Sollte dort auch über die Todesstraf­e abgestimmt werden, sollen Türken nach dem Willen der Bundeskanz­lerin nicht in Deutschlan­d wählen dürfen.

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