Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Merkel zieht rote Linie für Erdogan
Kanzlerin schließt Referendum der in Deutschland lebenden Türken über Todesstrafe aus
BERLIN - Neuer Konfliktstoff für die ohnehin bereits angespannten deutsch-türkischen Beziehungen: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will unter allen Umständen verhindern, dass auch in Deutschland ein mögliches Referendum über die Todesstrafe in der Türkei abgehalten würde. Außerdem haben mehrere türkische Soldaten und ihre Familien in Deutschland Asyl gewährt bekommen. Das Bundesinnenministerium bestätigte dies am Dienstag.
Die Regierung in Ankara hatte Berlin zuvor ausdrücklich vor einem solchen Schritt gewarnt und mit Konsequenzen gedroht. Denn die türkische Führung verdächtigt viele Soldaten, am gescheiterten Putsch gegen Recep Tayyip Erdogan im Sommer 2016 beteiligt gewesen zu sein.
Die Kanzlerin zieht nun die rote Linie: Türken in Deutschland dürfen nicht über die Einführung der Todesstrafe in ihrem Heimatland abstimmen. Sollte es in der Türkei zu einem Referendum kommen, wie es Präsident Erdogan angekündigt hatte, soll es auch keine Werbung dafür geben, stellt Merkel in einem Interview klar.
Keine hypothetische Frage Klare Worte in Richtung Ankara, wie man sie von der Regierungschefin zuletzt nicht gehört hatte. Auch wenn bisher in Berlin noch keine Anfragen der türkischen Regierung vorliegen würden, sei die Frage „leider so hypothetisch dann auch nicht“, erklärte Merkel. Schließlich werde über das Thema in der Türkei ernsthaft diskutiert. Die Botschaft der Kanzlerin: Ein Referendum über die Einführung der Todesstrafe auf deutschem Boden sei unmöglich, schließlich lehne man diese absolut ab.
Im Vorfeld des Referendums über die türkische Verfassungsreform hatte sich Merkel noch zurückgehalten. Beim Thema Todesstrafe baut sie vor, zieht früh eine Grenze und erhält dabei Unterstützung über die Parteigrenzen hinweg. „Eine solche Abstimmung darf unter den in Deutschland lebenden Türkinnen und Türken nicht stattfinden“, erklärte SPDKanzlerkandidat Martin Schulz.
Baden-Württembergs Europaminister Guido Wolf hält die Entscheidung in Berlin für richtig. „Für mich ist das ein absoluter Tabubruch. In unserem Land für etwas werben zu wollen, das mit unserer Verfassung, mit unserer Rechtsordnung nicht im Einklang steht: Von mir ein klares Nein“, sagte Wolf am Dienstag der „Schwäbischen Zeitung“.
Gegen ein Referendum ist auch der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu. „Wir sind gegen das Referendum, wir sind gegen die Todesstrafe“, sagte der in Stuttgart lebende Sofuoglu. Die „Heilbronner Stimme“und der „Mannheimer Morgen“hatten Sofuoglu zuvor mit den Worten zitiert: „Nur weil einem die Frage nicht gefällt, kann man ein solches Referendum in Deutschland nicht einfach verbieten. Dies würde zudem dem Grundgesetz widersprechen.“
Dabei sei es ihm um die rechtliche Grundlage gegangen, die Abstimmung bei einem solchen Referendum hierzulande verbieten zu können, sagte Sofuoglu am Dienstag. Die politische Aussage reiche nicht. „Wir haben die Bitte an die Bundesregierung, dass sie die Grundlagen für ein solches Verbot schafft.“
Lassen sich jedoch eine solche Abstimmung und die Wahlwerbung dafür überhaupt stoppen? Das Referendum würde schließlich auf exterritorialem Gebiet in den türkischen Konsulaten stattfinden. Experten haben dennoch keine rechtlichen Bedenken gegen das Nein der Bundesregierung: „Mit der Einführung der Todesstrafe in der Türkei würde etwas getan, was diametral unseren Werten und zentralen Prinzipien unserer Verfassung widerspricht“, sagt der Völkerrechtler Christian Tomuschat. Eine Briefwahl-Abstimmung der in Deutschland
lebenden Türken könne dagegen sicher nicht verhindert werden, erklärte Tomuschat. Auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hält ein Verbot für möglich, da es hier um „unverbrüchliche verfassungsrechtliche und völkerrechtliche Rechtsstandards“gehe. Allerdings geht man in der Bundesregierung davon aus, dass Erdogan seine Pläne für die Einführung der Todesstrafe am Ende nicht umsetzen wird.
Drohen jetzt neue Auseinandersetzungen zwischen Berlin und Ankara? Merkels Ansage und das Asyl für rund 40 türkische Soldaten sind brisant. Denn die Türkei hat immer wieder mit einem Ende des Flüchtlingspaktes mit der EU gedroht.