Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Drei Ziffern für ein Halleluja
Der einmillionste Porsche 911 rollt in Zuffenhausen vom Band – Annäherung an eine Legende
RAVENSBURG - Es sind nur drei Ziffern: 9 1 1. In dieser Kombination allerdings sind sie beinahe jedem ein Begriff. Der Porsche 911, der „Elfer“, wie ihn seine treuen Fans gerne nennen, ist genauso bekannt wie CocaCola oder 007, der Geheimagent Seiner Majestät, der gern im Aston Martin auf Schurkenjagd geht. Schade eigentlich, würde ihm der Elfer doch mindestens ebenso gut zu Gesicht stehen. Lebensfreude und Luxus sind schließlich auch einem James Bond nicht fremd. Der Popularität der Sportwagen-Ikone jedenfalls hat das keinen Abbruch tun können: Heute rollt in Stuttgart-Zuffenhausen der einmillionste Porsche 911 vom Band, ein nahezu vergöttertes Automobil, das längst Geschichte geschrieben hat und zum Mythos avanciert ist. Warum? Wagen wir eine Annäherung, die – pardon – unweigerlich in eine Liebeserklärung in mehreren Akten an ein durch und durch unvernünftiges, wunderschönes Fahrzeug mit mindestens 370 Pferden unter der Haube münden wird.
Prolog: Wie alles begann Wir schreiben das Jahr 1963. Auf der Internationalen Automobil-Ausstellung in Frankfurt wird im September das Tuch vom Porsche 901, dem Urtyp, gezogen. 901? Nein, kein Tippfehler, sondern tatsächlich die ursprünglich geplante Typenbezeichnung. Was niemand in Zuffenhausen ahnt: Ziffernkombinationen mit einer Null in der Mitte sind bereits für Peugeot geschützt, weshalb der 901 kurzerhand in 911 umgetauft werden muss. Er beerbt den ebenso beliebten wie legendären, aber etwas in die Jahre gekommenen Porsche 356, einen überaus hübschen und windschlüpfrigen, auf das Wesentliche reduzierten Sportwagen.
Mehr Platz und mehr Leistung soll er bieten, der Elfer, so die Vorgabe von Ferry Porsche, dem Sohn des Firmengründers Ferdinand Porsche. Das Resultat – ein sportlicher, kraftvoller Designklassiker, dessen Grundzüge noch heute problemlos in jedem 911er zu entdecken sind: Kotflügel, die nach oben die Form einer Welle annehmen und die Fronthaube überragen, rund ausgeformte Scheinwerfer, nach hinten abfallende Dachlinie, spitz zulaufende Seitenfenster, Fließheck, tiefe Straßenlage, 2+2-Sitzer mit allenfalls kindertauglichem Gestühl im Fond. Dazu ein luftgekühlter, drehfreudiger Boxermotor mit sechs Zylindern hinter der Achse im Heck, der die – erwünscht hoch belasteten – Hinterräder antreibt. Er schöpft aus knapp zwei Litern Hubraum 130 PS, benötigt 9,1 Sekunden für den Sprint auf 100 und schafft immerhin für die damalige Zeit sagenhafte 210 km/h. Summa summarum Werte, die 1964 die Augen zum Leuchten bringen und für gute Karten im Autoquartett sorgen, die heutigen Porschefahrern aber Tränen in die Augen treiben dürften.
Apropos: Einfach und bequem zu fahren ist der erste Elfer keineswegs. Die Lenkung erfordert gerade in schnellen Kurven große Haltekräfte, um die Richtungsstabilität ist es bei Bodenunebenheiten und böigem Seitenwind nicht zum Besten bestellt. Gleichzeitig handelt er sich den Beinamen „Heckschleuder“ein, da er antriebsbedingt gern zur Seite ausbricht. Und nicht zu vergessen: „Der Umgang mit fünf Gängen erfordert auch dann, wenn sie so weich und sauber schaltbar sind wie beim neuen Porsche-Getriebe, eine gewisse Fertigkeit und fahrerische Aufmerksamkeit. Besonders der zweite Gang muss sauber angepeilt werden, sonst landet man im vierten oder gar im Rückwärtsgang. Fahrerinnen werden daran nicht immer reine Freude haben, und noch weniger an Lenkung und Bremsen“, heißt es im Test der Fachzeitschrift „Auto, Motor und Sport“von 1965. Wir folgern messerscharf: Ein Auto für ganze Kerle eben, die bereit und in der Lage sind, mehr als 20 000 D-Mark über den Verkaufstresen zu schieben. 2796 Sportwagenfans – knallharte Jungs, so unsere Vermutung – lassen 1966 ihren Traum wahr werden.
Erster Akt: Der Wohlerzogene Die „Gusseisernen“, die fundamentalistischen Traditionalisten unter den Elfer-Fans, müssen ganz tapfer sein, wenn sie auf die siebte Generation blicken, die 2011 an den Start gerollt ist: Vieles hat sich geändert im Laufe der Jahre, der Elfer ist erwachsen geworden, ohne seine Herkunft zu verleugnen oder zu vergessen, hat mit Cabriolet und Targa – einem speziellen Cabrio mit Überrollbügel – Nachwuchs in die Welt gesetzt. Die Luftkühlung musste dem Wasser weichen, der Saugmotor – oh Gott! – dem Turbo. Alle modernen Helferlein, vom Totwinkel-Warner über das Abstandsradar bis hin zum Stabilitätsprogramm, sind eingezogen in das heilige Blech. Da mögen die Gusseisernen auch noch so sehr mit den Zähnen klappern: Der Fahrspaß im Elfer ist demokratisiert und erfordert nun keine speziellen Fertigkeiten mehr. Und wer mag, drückt einfach ein Knöpfchen und bringt das Heck zum Schleudern, so wie damals in der guten alten Zeit. Andere Sünden übrigens wie die verhassten „Spiegeleier“(1997), die die typischen Rundscheinwerfer mit den Blinkern vereinten und damit ihrer traditionellen Form beraubten, sind vergeben und vergessen – und vor allem korrigiert. Herrlich.
Im Kern aber ist er der Gleiche geblieben: Ein rassiger, zeitlos schöner und schlichter Sportwagen, der sich im Alltag ebenso bewährt wie auf der Rennpiste, der schnell gefahren werden kann, aber beileibe nicht muss. „Ein gutes Produkt muss dezent sein. Design ist keine Mode“, hat Ferdinand Alexander „Butzi“Porsche, der den 911er maßgeblich mit entwickelt hat, einst gesagt. Dieser Linie, keine Frage, sind seine Nachfolger zum Glück treu geblieben. Danke.
Und die Leistung? Und der Sound? Keine Bange, da ist der Elfer noch immer über jeden Zweifel erhaben. Mindestens 370 überaus durstige Pferde, die röcheln und rotzen, fauchen und heulen, schickt er heute auf die Straße. Erst bei 293 km/h geht ihnen langsam die Puste aus. Ein wunderbares Vergnügen für Männer und andere Verrückte, die die Autobahn nicht mit der Rennpiste verwechseln sollten. Da wollen wir dann auch gar nicht mehr wissen, ob die berauschende Geräuschkulisse direkt aus dem Heck oder vom im Tonstudio kreierten Chip kommt. Dem Adrenalin ist das ohnehin egal.
Zweiter Akt: Der Erfolgreiche Kann ein Sportwagen, der sich nur im Dschungel der Stadt und auf Landstraßen bewährt, zum Mythos werden? Wohl kaum. 249 Klassensiege erreichte der Elfer bei den Langstreckenrennen von Sebring, Le Mans, Daytona, Spa-Francorchamps und am Nürburgring, davon insgesamt 39 Gesamtsiege. Gut zu wissen. Strahlt der Glanz des Ruhms doch (hoffentlich) ein bisschen ab auf die nicht ganz so wagemutigen Alltagspiloten.
Dritter Akt: Der Überlegene Wer jemals den Elfer – der Straße ebenso nah wie dem Himmel – gesteuert hat, kennt das Phänomen auf der linken Spur der Autobahn: Fast jeder Vorausfahrende, der die imposante Schnauze im Innenspiegel entdeckt, rückt freiwillig zur Seite – ganz ohne Drängeln oder Lichthupe. Der Nimbus der Überlegenheit, er ist offenbar fester Bestandteil der Porsche-DNA. Ein Gewinnertyp eben. Das Fahrzeug, wohlgemerkt, nicht der Fahrer. Aber träumen wird man ja noch dürfen.
Vierter Akt: Die Fangemeinde Wir können sie nur allzu gut verstehen: Rund 210 000 Sportwagen-Begeisterte in mehr als 85 Ländern sind in 675 Porsche-Clubs aktiv. Der erste wurde weder in Stuttgart noch in München oder gar in Los Angeles gegründet, sondern vor 65 Jahren in Dortmund. Ein feiner Zug des Elfers, dass er keinen weiten Bogen um den Kohlenpott fährt, dass er keinen Standesdünkel kennt. Oder doch?
Fünfter Akt: Der Wertvolle Da wollen wir doch mal die Kirche im Dorf lassen – und den Elfer an dem ihm zugedachten Platz parken! Kaufen darf ihn zwar, aber kann ihn (leider) nicht jeder – egal ob als Oldtimer oder als Neuwagen. Bei märchenhaften 97 914 Euro beginnt momentan das Vergnügen – eine Summe, bei der für die meisten der Spaß endet. Von der hübschen Aufpreisliste ganz zu schweigen: Fußmatten mit eingesticktem „Porsche“-Schriftzug schlagen mit 178,50 Euro zu Buche, das Doppelkupplungsgetriebe – ganz ruhig, liebe Gusseiserne! – mit 3510,50. Verzichtbar gewiss der Heckscheibenwischer für 345,10 Euro, denn dem Elfer kann sowieso (fast) kein anderes Auto folgen. Aber trösten wir uns: Es war schon immer etwas teurer, einen ausgezeichneten Geschmack zu haben.
Sechster Akt: Der Prominente Gut nur, dass prominente Zeitgenossen mit dem nötigen Kleingeld über einen exzellenten Riecher fürs standesgemäße Vehikel verfügen. James Dean, Steve McQueen, Thomas Gottschalk, Iris Berben, Walter Röhrl, Jürgen Klinsmann, Marius Müller-Westernhagen, Udo Lindenberg, Richard Chamberlain, Prinz Albert von Monaco, Brigitte Bardot – sie alle hatten den 911er. Ein weiterer Mosaikstein auf dem Weg zur Legendenbildung. So viel Prominenz kann einfach nicht irren. Und Hand aufs Herz: Wollten wir nicht alle im gleichen Auto wie Brigitte Bardot sitzen?
Letzter Akt: Der Unmoralische Und wenn wir gerade so schön von Traumfrauen in Traumautos sprechen: Forscher der University of Minnesota, der Rice University in Houston sowie der University of Texas attestieren vielen Porsche-Fahrern nach einer Studie ein überdurchschnittliches Interesse an temporären Liebesaffären, der Sportwagen erfülle „die gleiche Funktion wie die großen und bunten Federn bei einem Pfau“, berichtet die „Welt“. Gleichzeitig seien sie tatsächlich begehrter als etwa die Fahrer eines Honda Civic – zumindest bei Frauen, die keine ernsthafte Beziehung anstreben. Eine Erkenntnis, die wir aus eigener Erfahrung untermauern wollen. Noch nie, wirklich nie sind uns so viele freundlich lächelnde Damen im Nachbarauto begegnet wie während der zwei Wochen, in denen wir einen Elfer steuerten. Eine deutete – ungelogen – sogar zunächst auf ihr Handy und dann auf den Straßenrand. Wir haben das selbstverständlich weitgehend ignoriert. Wir porschippen doch nicht.
Eine Bildergalerie mit dem Porsche 911 unter www.schwaebische.de/ porsche911