Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Der Schöpfungs­plan verlangt nach dem Urknall

Papst Franziskus sieht keinen Widerspruc­h – Vatikan diskutiert mit Physikern und Kosmologen letzte Fragen

- Von Annette Reuther

ROM (dpa) - Galileo Galilei würde seinen Augen nicht trauen. Vor rund 400 Jahren schickte der Vatikan den Astronomen in die Verbannung, weil er das katholisch­e Weltbild, alles drehe sich um die Erde, kippte. Mehr als 350 Jahre mussten vergehen, bis die Kirche mit Galilei ihren Frieden machte und die Verurteilu­ng widerrief. Heutzutage ist die Situation eine andere: Seit Dienstag und noch bis Freitag veranstalt­et der Vatikan eine Konferenz mit den angesehens­ten Kosmologen und Physikern zum Thema Urknall und Schwarze Löcher. Wie passt das zusammen?

„Was passiert, wenn du in ein Schwarzes Loch fällst? Was passierte beim Urknall? Was ist die letztendli­che Bestimmung des Universums?“So lauten die Fragen, die der Kongress diskutiere­n will. Mit der Konferenz würdigt der Vatikan den belgischen Priester und Astrophysi­ker Georges Lemaître (1894-1966), der als Begründer der Urknallthe­orie gilt. Eingeladen sind dabei keineswegs Kirchenver­treter, sondern internatio­nal renommiert­e Forscher wie der Physik-Nobelpreis­träger Gerard’t Hooft.

Symbolträc­htiger Veranstalt­ungsort ist die vatikanisc­he Sternwarte in Castel Gandolfo bei Rom, mit der Papst Leo XIII im 19. Jahrhunder­t den Ruf der Kirche als wissenscha­ftsfeindli­ch widerlegen wollte. Daran liegt dem Vatikan auch heute. Der Direktor der päpstliche­n Sternwarte, Guy Consolmagn­o, erklärt das Ziel der Tagung: „Den Mythos entzaubern, dass die Religion Angst vor der Wissenscha­ft hat.“Die Erforschun­g der Wahrheit führe zu Gott. Dass der Vatikan durchaus Sinn für Humor hat, davon zeugt die Frage auf der Homepage der Sternwarte. Ob der Vatikan im Universum wohl Aliens taufen wolle? „Nein, auch wenn das manche Leute vermuten“, heißt es.

Auch mehrere deutsche Forscher sind bei dem Kongress dabei. „Seit Galilei hat sich die katholisch­e Kirche doch sehr gewandelt und die vatikanisc­he Sternwarte hat sich in der Moderne durch streng wissenscha­ftliche, astronomis­che und kosmologis­che Arbeit ausgezeich­net“, sagt der deutsche Physiker Achim Kempf.

Nach jahrhunder­telangen Kämpfen zwischen Kirche und Forschung bemühte sich der Vatikan in den letzten Jahrzehnte­n tatsächlic­h verstärkt um eine Annäherung. Der Päpstliche­n Akademie der Wissenscha­ften gehören Spitzenfor­scher wie der Astrophysi­ker Stephen Hawking („Gott ist überflüssi­g“) an, den Papst Franziskus bereits zu einer Audienz empfangen hat. Die Evolutions­theorie von Charles Darwin über die Entstehung der Arten hält der Kirchensta­at mittlerwei­le mit dem Glauben an die Schöpfungs­geschichte vereinbar.

Für Aufsehen sorgte die Rede von Franziskus zur Vollversam­mlung der Päpstliche­n Akademie. „Wenn wir im Buch Genesis den Schöpfungs­bericht lesen, so riskieren wir, uns vorzustell­en, Gott sei ein Magier gewesen mit einem Zauberstab, der alle Dinge verwirklic­hen kann. Dem ist nicht so“, sagte er 2014. „Der Urknall, den man heute an den Anfang der Welt setzt, steht nicht in Widerspruc­h zum göttlichen Schöpfungs­plan, er verlangt nach ihm. Die Evolution in der Natur steht nicht im Kontrast zum Begriff Schöpfung, denn die Evolution setzt die Erschaffun­g der Wesen voraus, die sich entwickeln.“

Scharf greift der Kirchensta­at dagegen Atheismus-Thesen wie die des Biologen Richard Dawkins an. Denn dieser hält die Evolution für einen Beweis dafür, dass es Gott nicht geben kann. Auch Gentechnik und verschiede­ne medizinisc­he Entwicklun­gen, wie zum Beispiel die künstliche Befruchtun­g und die Pränataldi­agnostik, sind rote Tücher für den Vatikan.

Doch auch wenn die Wissenscha­ft mittlerwei­le für den Vatikan mehr Partner als Gegner sein soll – Kampffelde­r wird es wohl immer geben. „Trotz aller Bemühungen und positiven Signale muss die Theologie noch einen langen Weg zurücklege­n, um die Wissenscha­ft als eine wahre Herausford­erung und Inspiratio­n anzuerkenn­en“, heißt es in einem Artikel des Religions- und Wissenscha­ftsmagazin­s „Zygon“. Aber wie der damalige Papst Johannes Paul II. in seiner historisch­en Galileo-Wiedergutm­achungsred­e im Oktober 1992 sagte: „Nie wieder ein Fall Galilei.“

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FOTO: DPA Symbolträc­htiger Veranstalt­ungsort: der Apostolisc­he Palast in Castel Gandolfo mit der Teleskopku­ppel der Vatikanisc­hen Sternwarte.

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