Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Verstehen durch Kennenlernen
Die Gesellschaft für christlich-jüdische Begegnung in Oberschwaben wird 40 Jahre alt
RAVENSBURG - Ein von gegenseitigem Interesse und Respekt geprägtes freundschaftliches Zusammenkommen von Menschen unterschiedlichen Glaubens strebt die Gesellschaft für christlich-jüdische Begegnung in Oberschwaben an. Nach 1945 war daran zunächst, zumindest zwischen Juden und Christen in Deutschland, kaum zu denken. Trotz aller Last der Geschichte: Dieser Verein feiert 2017 sein 40-jähriges Bestehen.
Die jahrhundertealte Geschichte jüdischen Lebens, die Existenz jüdischer Deutscher war nach dem Nationalsozialismus und seiner Tötungsfabriken praktisch ausgelöscht, als sich 1948 Menschen zusammenfanden, um einen schwierigen Neuanfang zu wagen. Sie wollten ein neues Miteinander von Christen und Juden in Deutschland, mit dem Blick nach vorn, aber ohne die jahrhundertealte Judenfeindschaft der christlichen Kirchen und den Menschenhass der Nazis zu vergessen.
Im Laufe der Zeit gründeten sich in der Bundesrepublik mehrere Vereinigungen mit diesen Zielen, die heute unter dem Deutschen Koordinierungsrat mit über 20 000 Mitgliedern, Freunden und Förderern vereinigt sind. Eine davon ist die Gesellschaft für christlich-jüdische Begegnung in Oberschwaben, die in diesen Tagen ihr 40-jähriges Bestehen feiert.
Der gemeinnützig anerkannte Verein ist, trotz seines kantigen Namens, kein Kreis, der sich allein mit theologischen Fragen beschäftigt. Diese spielen zwar auch eine Rolle, in Vorträgen, Filmen und musikalischen Beiträgen, die die Gesellschaft mithilfe von renommierten Gästen regelmäßig anbietet - mehr als 400 in den vergangenen Jahren.
Doch der Gesellschaft geht es um weit mehr. „Es geht uns natürlich um die Aufarbeit der Vergangenheit, des Holocaust“, sagt Werner Wolf, „aber vor allem um die Annäherung von Christen und Juden, die Begegnung mit dem Judentum, mit Israel, der Kultur, der Literatur, der Musik, wann immer möglich in unterschiedlichen Angebotsformen.“
Und dann geht das auch noch ganz praktisch: Werner Wolf und seine Frau Ursula, Geschäfstführerin der Gesellschaft, haben vor Jahren den Austausch von Ravensburger Schülern mit der israelischen Stadt Nahariya ins Leben gerufen. Die zum ersten Mal 1989 durchgeführte Veranstaltung ist unter Ravensburger Jugendlichen inzwischen so beliebt, dass es inzwischen mehr Interessierte gibt als freie Plätze. Und bei der sich deutsche und jüdische Schüler, trotz der schrecklichen Vergangenheit, auf eine offene Weise kennenlernen.
124 Mitglieder hat die Gesellschaft für christlich-jüdische Begegnung derzeit, „natürlich sind wir überaltert“, sagt Frank Jacoby-Nelson. Stolz berichtet er, dass sein Verein sich nur von Spenden und Zuwendungen finanziert, ernst wird er, wenn er auf die sich verändernden Aufgaben der Gesellschaft angesprochen wird: wieder aufkeimender oder zumindest immer offener geäußerter Antisemitismus in der Gesellschaft, Fremdenfeindlichkeit, Fanatismus; nicht nur von islamistischer Seite.
Aber er lächelt auch, Frank Jacoby-Nelson, wenn er von dem dreisten Vorgehen seines Vereins berichtet, er benutzt das jiddische Wort Chuzpe, um möglichst immer wieder prominente und profilierte Referenten und Gäste ins oberschwäbische Hinterland zu locken. Der israelische Botschafter, der Weihbischof, der hochbetagte, renommierte Rabbiner: Sie und viele andere haben die Ehrenamtlichen der Gesellschaft für christlich-jüdische Begegnung mit ihrem Engagement schon nach Oberschwaben gebracht. Weil ihnen ihre Idee, das Verstehen durch Kennenlernen, am Herzen liegt.