Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Regierung erwägt Bundeswehr-Abzug aus der Türkei
Verbot des Besuchs von Abgeordneten in Incirlik verschärft die diplomatische Krise
BERLIN - Die Türkei hat Bundestagsabgeordneten erneut einen Besuch bei den deutschen Soldaten auf dem Luftwaffenstützpunkt Incirlik untersagt und damit die Krise in den deutsch-türkischen Beziehungen verschärft. Die Bundesregierung droht nun erstmals mit einem Abzug der deutschen Tornado-Aufklärungsjets, die sich von der Türkei aus am Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) beteiligen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will zunächst weiter in Gesprächen nach einer Lösung suchen, parallel werde aber nach Alternativen für Incirlik gesucht. Auf der Luftwaffenbasis sind etwa 260 deutsche Soldaten stationiert. Favorit unter den Alternativstandorten ist Jordanien. Die türkische Entscheidung nannte Merkel „misslich“.
Das Auswärtige Amt sprach von einem „absolut inakzeptabelen“Verhalten. Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) will morgen in Washington mit den USA über den Anti-IS-Einsatz sprechen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan wird nächste Woche beim NatoGipfel in Brüssel mit Merkel an einem Tisch sitzen. Am Rande könnte es zu einem Gespräch kommen.
SPD, Linke und Grüne verlangen indes den sofortigen Abzug der Truppe. SPD-Verteidigungsexperte Karl-Heinz Brunner aus Neu-Ulm fordert eine möglichst zügige Verlegung. Brunner hatte schon nach der letzten Reise im Oktober 2016 gesagt, er werde nicht mehr nach Incirlik fahren: „Weil mir das Gehabe in der Türkei gegen den Strich läuft.“
„Einen Riesenaffront“sieht auch Verteidigungsexpertin Agnieszka Brugger (Grüne) aus Ravensburg. „Ein Abzug wäre schon längst und mehrfach dringend geboten gewesen“, sagt sie der „Schwäbischen Zeitung“. Brugger hält es für „zynisch und völlig inakzeptabel von der türkischen Regierung, diese Frage mit den Asylverfahren türkischer Soldaten zu verknüpfen“. Die Regierung müsse „endlich aufhören, sich weiter von Erdogan vorführen zu lassen“.
Roderich Kiesewetter, CDU-Abgeordneter aus Aalen, widerspricht: „Die Bundesregierung sollte sich nicht auf Provokationen einlassen.“Er empfiehlt die Einschaltung des Nato-Rats. „Es darf kein Keil zwischen Deutschland und die Nato getrieben werden – ein Abzug wäre zu diesem Zeitpunkt deshalb verfrüht.“
Der Besuch der Obleute des Verteidigungsausschusses war für Dienstag geplant. Am Samstag wurde die Absage dem Auswärtigen Amt mitgeteilt. Als ein Grund wurde die Gewährung von Asyl für türkische Offiziere in Deutschland angegeben.