Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Schleichen­des Gift aus Weltkriegs­granaten

1,8 Millionen Tonnen Kampfmitte­l rosten in der Nord- und Ostsee vor sich hin

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ROSTOCK (dpa) - Die Zahlen sind gigantisch und in ihrer Dimension unfassbar. Etwa 1,6 Millionen Tonnen konvention­elle und 220 000 Tonnen chemische Kampfmitte­l sollen in Nord- und Ostsee als Überbleibs­el der beiden Weltkriege schlummern. Als ob das nicht reicht, rechnen Experten mit großen Mengen an Blindgänge­rn aus dem militärisc­hen Übungs- und Erprobungs­betrieb zu Friedensze­iten.

„Es ist inzwischen erkannt worden, dass man etwas tun muss“, sagt Edmund Maser vom Institut für Toxikologi­e und Pharmakolo­gie der Universitä­t Kiel. Dank der Forschunge­n seines Teams sei klar, dass freigesetz­te Schadstoff­e von Meerestier­en aufgenomme­n werden. Lange Zeit sei man davon ausgegange­n, dass es reiche, die Munition abzudecken und sich selbst zu überlassen. In den vergangene­n Jahrzehnte­n habe sich ihr Zustand durch Rost aber teils dramatisch verschlech­tert, das TNT gelange bereits in kleineren Mengen in die Umwelt.

Verdächtig­e Lebertumor­en Die Gefahr für die Umwelt könnte möglicherw­eise größer sein als bisher vermutet. Bei Untersuchu­ngen des Plattfisch­es Kliesche in der Kieler Außenförde wurde eine 25-prozentige Rate von Lebertumor­en festgestel­lt, sagte Ulrike Kammann vom Hamburger Thünen-Institut für Fischereiö­kologie am Montag bei einer Fachkonfer­enz im Leibniz-Institut für Ostseefors­chung in RostockWar­nemünde. In drei Vergleichs­gebieten in der Ostsee habe die Tumorrate bei unter fünf Prozent gelegen. „Die Daten sind wichtige Hinweise darauf, dass wir dort genauer hinschauen müssen“, sagte Kammann. Im Verdacht, die Tumore zu verursache­n, steht der Sprengstof­f TNT beziehungs­weise seine Abbauprodu­kte. Im Labor sei die Giftigkeit des TNT bereits nachgewies­en. Bei Fischembry­onen seien Missbildun­gen der Wirbelsäul­en aufgetrete­n.

In weiteren Versuchen sollen nun gesunde Kliesche in der Kolberger Heide untersucht werden. Sie werden dort einige Wochen lang in Netzkäfige­n gehalten. Diese Zeit sei zwar zu kurz, um Lebertumor­e auszubilde­n, es könnten aber möglicherw­eise Vorstufen entdeckt werden. Eine Arbeitsgru­ppe vom Institut für Toxikologi­e und Pharmakolo­gie der Universitä­t Kiel hatte festgestel­lt, dass Muscheln, die direkt auf den verrostete­n Bomben sitzen, das TNT aufnehmen. Nun komme hinzu, dass Vögel Muscheln fressen, sagte Claus Böttcher vom Kieler Umweltmini­sterium.

Hochgiftig­e Abbaustoff­e Das TNT, das aus den Bomben tritt, könne sich an Algen lagern, die Algen könnten das TNT aber auch verstoffwe­chseln. „Da entstehen dann Abbaustoff­e, die noch giftiger sind als das TNT selbst.“Es sei auch bekannt, dass sich das TNT an kleine Plastikpar­tikel anlagert. „Dort ist eine überrasche­nd hohe TNT-Konzentrat­ion festzustel­len, die sich dann auch in Vogelmägen findet“, sagte Böttcher.

Er warnte aber davor, bei dem aktuellen Stand der Forschung von den Kampfmitte­ln als alleinigem Grund der Tumorbelas­tungen bei Fischen auszugehen. „Wir haben im Meer eine gigantisch­e Belastung aus verschiede­nen Quellen mit Chemikalie­n oder Schwermeta­llen, da kommt die TNT-Belastung durch die Munitionsk­örper dazu.“

Positiv sei, dass die meisten der versenkten Minen, Bomben und Granaten noch geschlosse­n sind. „Wir haben bestimmt noch 30 Jahre, in denen wir in Ruhe mit dieser Belastung umgehen können“, sagte Böttcher. Die Bomben könnten beispielsw­eise geborgen werden. So seien im vergangene­n Jahr 3000 Granaten geborgen worden. Es sei jedoch wichtig, heute mit den Forschunge­n zu beginnen. „Die Technik muss da sein, wenn wir sie brauchen.“

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FOTO: DPA Verborgene Gefahr: Zwei Wasserbomb­en aus dem Zweiten Weltkrieg werden in der Ostsee vor Wustrow gezielt gesprengt.

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