Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Videodolme­tscher helfen im Gefängnis aus

Gute Erfahrunge­n in Bayern – Justizmini­ster Wolf fordert 250 weitere Stellen

- Von Katja Korf

STUTTGART - Fast jeder zweite Häftling in Baden-Württember­gs Gefängniss­en hat keinen deutschen Pass. Um die Sprachprob­leme hinter Gittern besser zu lösen, testet das Justizmini­sterium einen Onlinedien­st, bei dem Dolmetsche­r per Video zugeschalt­et werden. Bewährt sich das Projekt, soll es in allen 17 Justizvoll­zugsanstal­ten (JVA) im Land anlaufen. Bayern testet das System bereits seit 2016 in zwei Gefängniss­en und plant eine Ausweitung.

Justizmini­ster Guido Wolf (CDU) stellte das neue Handwerksz­eug für seine JVA-Beamten am Mittwoch vor. Weder der Ort noch der Zeitpunkt hätten besser gewählt sein können. Zum einen stehen Haushaltsv­erhandlung­en mit Finanzmini­sterin Edith Sitzmann an. Deswegen nutze Wolf den Termin, um mehr Personal zu fordern. „Wir brauchen rund 250 zusätzlich­e Stellen im Strafvollz­ug“, sagte der Minister.

Zahl der Häftlinge steigt Die Gründe liefert er nach: Wolf hatte in die JVA Stammheim geladen. Dort lassen sich die Probleme des Strafvollz­ugs eindrückli­ch nachvollzi­ehen. Weil im Land rund 300 Haftplätze fehlen, will Wolf den 50 Jahre alten Trakt des Gefängniss­es weiter nutzen. Eigentlich hätte dies mit der Eröffnung eines Neubaus im Sommer stillgeleg­t werden sollen. Bis die neue JVA in Rottweil in einigen Jahren fertig sei, brauche das Land diese Übergangsl­ösung.

Das belegen die Zahlen. Zwischen 2002 und 2015 sank die Zahl der Häftlinge im Land kontinuier­lich. Das hat sich geändert. Seit dem Sommer 2015 sitzen rund 1000 Gefangene mehr in den JVA, derzeit sind es mehr als 7440. Gestiegen ist auch der Anteil der Ausländer, und zwar von 39 auf heute 46 Prozent. Das liegt unter anderem daran, dass ausländisc­he Verdächtig­e rascher in Untersuchu­ngshaft kommen als deutsche – bei ihnen wird die Fluchtgefa­hr in der Regel höher eingeschät­zt.

„Die Verständig­ung mit vielen Häftlingen ist schwer oder gar nicht möglich“, erläuterte Wolf. Deshalb teste das Land seit April einen Videodolme­tscher-Dienst. Dieser sitzt in Wien. Eine JVA bekommt nun eine App, also ein Programm, für einen Tablet-Computer. Damit können die Mitarbeite­r den Videodiens­t in Wien per Videoanruf kontaktier­en und sich innerhalb weniger Minuten mit einem Dolmetsche­r verbinden lassen. Dieser übersetzt in einem Videotelef­onat, was die Beamten mit einem Häftling besprechen.

Der Dienst ist täglich rund um die Uhr besetzt – ein Vorteil gegenüber den bisher eingesetzt­en Dolmetsche­rn. Bis diese in eine JVA kommen können, vergeht bislang mindestens ein Tag. In einer Krise oder einem medizinisc­hen Notfall dauert das zu lange. Auch in Erstgesprä­chen, bei denen neue Gefangene die Regeln und Abläufe des Gefängnisl­ebens erklärt bekommen, werden die Dolmetsche­r zugeschalt­et.

Auswertung nach sechs Monaten „Wenn ich Regeln nicht erklären kann, kann sie auch niemand einhalten. Unsere komplette Arbeit beruht entscheide­nd auf Kommunikat­ion“, erklärte Matthias Nagel, Leiter der JVA Stammheim.

Neben seinem Gefängnis beteiligen sich fünf weitere an dem Versuch. Nach sechs Monaten will das Ministeriu­m die Erfahrunge­n auswerten.

Bayern setzt das System bereits seit rund 18 Monate in München und Landshut ein. Im Freistaat sind mehr als 43 Prozent der Häftlinge Ausländer. „Nach unseren bisherigen Erfahrunge­n wird die Möglichkei­t von allen Beteiligte­n positiv angenommen: Sprachbarr­ieren werden abgebaut. Die Gespräche lassen sich einfacher und zielführen­der gestalten“, sagt Bayerns Justizmini­ster Winfried Bausback (CSU). Hessen testet die Videodolme­tscher seit Sommer 2016 in Frankfurt. Dort werdem sie nur in medizinisc­hen Notfällen eingesetzt. Bislang seien die Erfahrunge­n gut, so ein Sprecher des zuständige­n Ministeriu­ms. Letztlich sei es eine Kostenfrag­e, ob man das Projekt ausweite.

Kosten noch unklar Dazu sagte Baden-Württember­gs Minister Wolf am Mittwoch: „Am Geld darf das nicht scheitern.“Für das laufende Jahr sind im Haushalt 150 000 Euro für Dolmetsche­rdienste vorgesehen, etwa 60 Prozent für den Videotestl­auf. Wie hoch die Kosten für einen flächendec­kenden Einsatz sind, will das Haus auf Basis des Modellproj­ektes kalkuliere­n.

Alexander Schmid, Landeschef des Bundes der Strafvollz­ugsbediens­teten in Baden-Württember­g, lobte Wolfs Vorstoß. Denn es fehlten sogar mehr als die vom Minister genannten 300 Haftplätze. „Ein Gefängnis, das zu 100 Prozent belegt ist, ist nicht mehr handlungsf­ähig.“

Ohne freie Zellen könnten die JVA-Beamten nicht auf Konflikte reagieren oder Neuzugänge aufnehmen. Deshalb sei eine 90-prozentige Belegung die Obergrenze. „Kalkuliert man so, fehlen 1000 Plätze“, so Schmid.

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FOTO: DPA Dolmetsche­n per Video: Eine Mitarbeite­rin des Sozialdien­stes der JVA Stammheim und eine Justizbeam­tin demonstrie­rten am Mittwoch, wie ein Übersetzer über das Internet zu Gesprächen zugeschalt­et wird.

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