Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Heimatlos in der Heimat

Bei den 18. Laupheimer Gesprächen ging es um „Jüdische Politiker in Vergangenh­eit und Gegenwart“

- Von Dirk Grupe

LAUPHEIM - Als der Jude und Sozialdemo­krat Ludwig Marum am 16. Mai 1933 in einer Schaufahrt zum KZ Kislau zusammen mit sechs Genossen dem Hohn des Nazi-Mobs ausgesetzt wurde, war der Tiefpunkt der Demokratie­geschichte Badens erreicht. Die Demütigung einer Symbolfigu­r der Republik und eines Repräsenta­nten südwestdeu­tschen Judentums war für die Nazis wie eine Siegesfeie­r nach der Reichstags­wahl. Und sie entlarvte das vermeintli­ch „goldene Zeitalter“der deutsch-jüdischen Geschichte als Mär.

„Jüdische Politiker in Vergangenh­eit und Gegenwart“lautete am Donnerstag das Thema bei den 18. Laupheimer Gesprächen in Schloss Großlauphe­im. Dieser Blick zurück und in die Gegenwart könnte kaum relevanter sein, in einer Zeit, in der sich Minderheit­en Anfeindung­en und Anschlägen ausgesetzt sehen und in der wieder antisemiti­sche Töne in den Parlamente­n zu hören sind. Bezeichnen­derweise tauchte in Laupheim Heinrich Fiechtner auf, der für die AfD im Landtag sitzt und schon den Koran mit „Mein Kampf“ verglichen hat. In Laupheim macht er mit einer kruden und unklaren Äußerung über eine Sonderstel­lung der Juden auf sich aufmerksam, nach der ersten Pause war er weg.

Wie viel interessan­ter war da der Vortrag über Ludwig Marum (18821934), dessen Lebensspan­ne „in sinnfällig­er Weise mit dem Anfang und Ende der jüdischen Emanzipati­on“zusammenfi­el, wie die Karlsruher Wissenscha­ftlerin Monika Pohl ausführte. In Bruchsal aufgewachs­en, fand er nach seinem Jurastudiu­m wie zahlreiche andere Juden eine Heimat in der SPD. Die Sozialdemo­kraten bekämpften den allgegenwä­rtigen Antisemiti­smus und boten jüdischen Menschen „Karrierech­ancen für eine politische Laufbahn“. Marum nutzte diese Chance. Besonders angezogen fühlte sich der junge Politiker von der frühen Hinwendung der badischen SPD zum Reformismu­s und der Abkehr von der Fundamenta­loppositio­n, der Hinwendung zur pragmatisc­hen Realpoliti­k, zur „Revolution mit dem Stimmzette­l."

Nach 1918 wurde er Justizmini­ster, bekleidete in der Weimarer Zeit verschiede­ne Ämter in Regierung und Parlament, er war geschickt und kompromiss­bereit in einem Südweststa­at, der als „Bollwerk der Demokratie“galt.

„Ganz offensicht­lich“, so Pohl weiter, „unterschät­zte Marum das Ausmaß und die Dynamik der modernen Judenfeind­schaft.“Am Ende der Weimarer Zeit wurde er selbst zum Opfer antisemiti­scher Verfolgung und schrieb desillusio­niert aus dem KZ Kislau: „Das ist die Tragik unseres Schicksals, dass wir zum Judentum nicht wollten, dass aber die Deutschen uns nicht wollten, sodass wir heimatlos zwischen den Rassen stehen.“Am 29. März 1934 wurde er in seiner Zelle in Kislau ermordet.

Marum und das Badische stehen somit für eine Zeit, in der die Juden auf eine Teilhabe an der politische­n Gestaltung sowie eine Integratio­n ins gesellscha­ftliche Leben hofften und enttäuscht wurden. Für den Versuch, nach dem Krieg Jüdisches in Deutschlan­d zu etablieren, steht Ignatz Bubis. Doch auch Bubis, den Moderator Johannes Weiß im voll besetzten Saal des Schlosses als „wichtigste jüdische Stimme in Deutschlan­d nach 1945“bezeichnet, stellte am Ende seines Lebens fest: „Ich habe fast nichts erreicht.“

Dieses deprimiere­nde Resümee zog der schwerkran­ke Bubis Ende der 1990er-Jahre und nur wenige Wochen vor seinem Tod in einem „Stern“-Interview. Bubis (Jahrgang 1927) verlor den Großteil seiner Familie im Holocaust und blieb nach dem Krieg dennoch in Deutschlan­d, er wird in Frankfurt ein erfolgreic­her Geschäftsm­ann, vor allem mit Großimmobi­lien. 1977 schreibt Rainer Werner Fassbinder das Theaterstü­ck „Der Müll, die Stadt und der Tod“, mit dem Subtext: „der böse Jude“. Viele wollen damals in Ignatz Bubis den „bösen Juden“erkennen. Und zum ersten Mal kommt es in Deutschlan­d zu jüdischen Protesten – die die Theaterauf­führung schließlic­h verhindern können. „Das war der Beginn eines neuen Storytelli­ng der Juden in Deutschlan­d“, sagt im Film der deutsch-französisc­he und jüdische Politiker David Cohn-Bendit. Hauptprota­gonist der neuen Story: Ignatz Bubis.

Ignatz Bubis vereinnahm­t Bubis wird später zum Vorsitzend­en des Zentralrat­s der Juden in Deutschlan­d. Er erfährt in weiten Teilen der Bevölkerun­g Sympathie, wird von der Politik vereinnahm­t. Über den es in einer gezeigten Dokumentat­ion auch heißt: „Er wurde von deutscher Seite instrument­alisiert, als vorweggeno­mmene Normalität zwischen Juden und Deutschen.“

Bubis, der sich immer für den Schutz von Minderheit­en eingesetzt hat, muss es ähnlich gesehen haben. Unter Tränen besucht er Ostdeutsch­land, wo es zu dieser Zeit zu massiven Ausschreit­ungen gegen Ausländer kommt. Und erlebt eine dunkle Stunde in der Paulskirch­e, als Martin Walser über die „Dauerpräse­ntation unserer Schuld“klagt. Am Ende stellt Bubis fest: „Im öffentlich­en Bewusstsei­n ist die Verantwort­ung für Auschwitz nicht verankert. Ohne einen Blick zurück geht es aber nicht.“Für ihn persönlich vielleicht noch schlimmer ist die Erkenntnis: „Ich bin ein Fremder geblieben.“

In Laupheim stand folgericht­ig die Frage im Raum: Warum ist bis heute die Verantwort­ung für Auschwitz nicht verankert? Eine Antwort finden die Besucher der Laupheimer Gespräche nicht. Und es bleibt die Erkenntnis, dass auch 20 Jahre nach Bubis’ Tod, Normalität zwischen Juden und Deutschen zwar angestrebt wird, sich mancherort­s aber als genauso schwer erweist wie das Verhältnis zu Flüchtling­en und anderen Minderheit­en.

Hoffnung machen Menschen wie Marian Offman, der schon lange für die CSU im Münchner Stadtrat sitzt. Der Jude, der den Großteil seiner Familie im Holocaust verlor, berichtete in Laupheim, wie er im Sommer 2015 am Münchner Hauptbahnh­of stand und die zahlreiche­n Flüchtling­e mit der Botschaft empfing: „Willkommen in Deutschlan­d – hier seid ihr sicher."

 ?? FOTO: DPA ?? Ignatz Bubis, gest. 1999
FOTO: DPA Ignatz Bubis, gest. 1999

Newspapers in German

Newspapers from Germany