Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
May möchte die Mitte für sich gewinnen
Eine Mainstream-Regierung für die breite Bevölkerungsmehrheit“– mit dieser Positionierung in der Mitte der Gesellschaft hat sich die britische Premierministerin Theresa May am Donnerstag an die Wähler der Oppositionsparteien Labour und Ukip gewandt. Bei der Vorstellung des Programms ihrer konservativen Partei für die Unterhauswahl in drei Wochen betonte die Regierungschefin Tugenden wie Arbeit und Disziplin. Es dürfe niemand wegen sozialer Herkunft, Hautfarbe, Religion oder sexueller Orientierung benachteiligt sein, sagte May im nordenglischen Halifax: Wohlhabende Pensionisten müssen erheblich mehr zur Pflege im Alter beitragen, auch wächst die Rente langsamer als bisher.
Wie zwei Tage zuvor die oppositionelle Labour-Party unter ihrem weit links stehenden Vorsitzenden Jeremy Corbyn (67) hatten sich auch die Konservativen eine nordenglische Stadt als Schauplatz ihres Wahlspektakels erkoren. Die Region gilt als Labour-Hochburg, verzeichnete bei der letzten Unterhauswahl aber einen hohen Ukip-Anteil und stimmte im vergangenen Jahr überwiegend für den EU-Austritt. Den Wahlkreis Halifax gewann die Oppositionspartei nur mit hauchdünnem Vorsprung.
Das 84-seitige Programm mit der Überschrift „Gemeinsam voran“identifiziert fünf wichtige Punkte: erfolgreiche Wirtschaftspolitik, ein gelungener EU-Austritt, der Umgang mit neuer Technik, die Beseitigung sozialer Missstände sowie eine Antwort auf die Herausforderungen einer stetig alternden Bevölkerung. Zu verantwortungsvollem Regierungshandeln gehöre es, betonte die 60-Jährige in ihrer 15-minütigen Ansprache, den Wählern offen und ehrlich Probleme darzulegen und dafür Lösungen anzubieten.
Wohltaten für die Älteren Bei den letzten beiden Wahlen lagen die Konservativen nicht zuletzt deshalb vorn, weil sie Erhöhungen von Einkommen- und Mehrwertsteuer sowie Rentenversicherung ausschlossen und älteren Wählern, ihrer Hauptklientel, allerlei Wohltaten versprachen. Davon ist diesmal nicht die Rede. Offenbar fühlt sich May angesichts hervorragender Umfragewerte stark genug, sich für die schwierigen Jahre der Brexit-Turbulenzen Spielräume freizuhalten. Zwar konnte Labour Boden gutmachen, liegt nun bei 33 Prozent. Der Abstand zu den Torys (48 Prozent) bleibt aber so groß, dass May mit einer riesigen Unterhaus-Mehrheit rechnen kann, zumal die Liberaldemokraten schwächeln und die EUfeindliche Ukip vielerorts auf eigene Kandidaten verzichtet hat.
Für viele ältere Menschen hält das Tory-Programm bittere Medizin bereit. Die bisher geltende Garantie auf stets wachsende Renten wird aufgeweicht, einen Heizzuschuss von jährlich 350 Euro erhalten nur noch Bedürftige. Hingegen hält Labour an beidem fest. Die Pflege im Alter will die Oppositionspartei wie bisher aus dem Steueraufkommen bestreiten; hierfür sollen Spitzenverdiener und Unternehmen stärker zur Kasse gebeten werden. Die Torys schließen zwar Steuererhöhungen nicht aus, kündigen aber auch keine an.