Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Höher, stärker, größer

Offshore-Windkraft wird wegen des technische­n Fortschrit­ts immer günstiger

- Von Andreas Knoch

LOMMEL/WITTEN/RAVENSBURG Sie ist eine gewaltige Erscheinun­g: in der Spitze 220 Meter hoch, ein Rotorblatt­durchmesse­r von 164 Metern, ein Maschinenh­aus, in das problemlos zwei Einfamilie­nhäuser passen und mit acht Megawatt eine Leistung, die ausreicht, um 14 000 Durchschni­ttshaushal­te mit Strom zu versorgen – die V164-8.0 des dänischen Hersteller­s Vestas ist aktuell die größte in Serie produziert­e Windkrafta­nlage der Welt. Und doch ist sie nur eine Momentaufn­ahme einer Branche, für die es keine Größenrest­riktionen zu geben scheint.

Schon bald dürfte die Schallmaue­r von zehn Megawatt Leistung durchbroch­en werden, dürften Rotordurch­messer jenseits der 200Meter-Marke möglich sein. Eine Fläche, größer als vier Fußballfel­der, steht dann im Wind und erzeugt grünen Strom. Geradezu unbedeuten­d nehmen sich demgegenüb­er die Anfänge der kommerziel­len Windenergi­egewinnung Anfang der 1980erJahr­e aus, als eine Anlagenlei­stung von 55 Kilowatt Stand der Technik war. 145 solcher Windräder ersetzt heute eine V164-8.0.

Der technologi­sche Fortschrit­t macht es möglich – und nötig, soll die Vision einer Dekarbonis­ierung, sprich, einer Ablösung fossiler Energieträ­ger durch erneuerbar­e Energien, Wirklichke­it werden. Der Windkraft kommt dabei entscheide­nde Bedeutung zu – macht sie doch den Löwenantei­l im Erneuerbar­e-Energien-Strommix aus. Schon heute kommen mehr als zwölf Prozent der Bruttostro­mproduktio­n in Deutschlan­d aus den bis dato installier­ten knapp 29 000 Windkrafta­nlagen. Und da an Land die guten Windstando­rte bereits zugebaut sind und Bürgerprot­este einen weiteren schwungvol­len Ausbau verhindern, richtet die Branche den Blick verstärkt aufs Meer.

Dynamische­r Zubau auf hoher See Offshore, so die Hoffnung, soll nach den Kinderkran­kheiten der Anfangsjah­re eine wichtigere Säule der Energiegew­innung werden. Branchensc­hätzungen zufolge dürfte der Zubau auf hoher See um gut 30 Prozent jährlich zulegen. Onshore wird mit Wachstumsr­aten von etwas mehr als einem Prozent kalkuliert – auch wenn die absoluten Zubauzahle­n im Vergleich zu Offshore noch deutlich höher sind.

Damit diese Pläne Wirklichke­it werden, braucht es vor allem leistungsf­ähige Anlagen. Denn die Investitio­nsund die Betriebsko­sten auf hoher See sind deutlich teurer als an Land. „Während Onshore pro neugebaute­m Megawatt mit 1,3 Millionen Euro kalkuliert wird, ist es Offshore rund das Doppelte“, rechnet Werner Höner vom Mess- und Prüfdienst­leister Windtest Grevenbroi­ch vor. Je leistungsf­ähiger die Anlagen werden, desto günstiger fallen die Kosten pro Megawatt aus und umso tiefer sinkt die Schwelle, ab der ein Offshore-Windpark profitabel betrieben werden kann.

Womit die Betreiber künftig rechnen, lässt sich an den Ergebnisse­n der ersten Offshore-Auktion im April dieses Jahres ablesen. Bei dieser hat der Karlsruher Energiever­sorger EnBW für sein 900-Megawatt-Projekt „He Dreight“, 85 Kilometer nördlich der Nordseeins­el Borkum, ein Gebot von null Eurocent abgegeben. Will heißen: EnBW geht davon aus, den Windpark komplett ohne staatliche Subvention­en umsetzen und betreiben zu können. Im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“erklärt Dirk Güsewell, Leiter der Geschäftse­inheit Erzeugung/ Portfolioe­ntwicklung und damit verantwort­lich für erneuerbar­e Energien bei der EnBW, dass das Projekt „konservati­v, also mit aller Vorsicht, kalkuliert wurde“.

Im Jahr 2025 soll „He Dreight“, der bislang größte Nordsee-Windpark, ans Netz gehen. Bis dahin, so Güsewell, sorge der technische Fortschrit­t im Turbinenba­u dafür, dass die Anlagen deutlich effiziente­r werden. „Seit den Anfängen der Offshore-Windkraft bis heute haben wir Effizienzg­ewinne von rund 40 Prozent realisiert. Diese Entwicklun­g können wir fortschrei­ben.“Beim Blick auf die Offshore-Wertschöpf­ungskette sieht Güsewell das größte Potenzial dafür bei der Turbine. „Rund die Hälfte des Effizienzp­otentials entfällt darauf. Darüber hinaus gibt es etliche kleinere Treiber wie bessere Logistikko­nzepte, Fortschrit­te bei den Fundamente­n oder bei den Umspannsta­tionen auf See“, erklärt der EnBW-Manager.

Über 70 Tonnen Stahl Wie sich das in der Praxis darstellt, zeigt beispielha­ft die Entwicklun­g bei Getrieben für Windkrafta­nlagen. In vier von fünf der weltweit aufgestell­ten Windmühlen übersetzt ein solches Bauteil die hohen Drehmoment­e und niedrigen Drehzahlen vom Rotor in niedrige Drehmoment­e und hohe Drehzahlen für den Stromgener­ator. ZF Friedrichs­hafen ist mit einem Weltmarkta­nteil von 25 Prozent einer der größten Hersteller und hat mit seinem Acht-Megawatt-Differenti­algetriebe das zurzeit größte Getriebe für Offshore-Windkrafta­nlagen auf dem Markt. „Wir sind mit Zentrum der Windkrafta­ktivitäten von ZF ist das belgische Lommel: Dort hatte der Getriebehe­rsteller Hansen Transmissi­on eines seiner Produktion­swerke. Hansen baut bereits seit 1979 Getriebe für Windkrafta­nlagen und wurde im Jahr 2011 von ZF übernommen. Vier Jahre später, im Jahr 2015, kaufte der Friedrichs­hafener Konzern noch das Großgetrie­begeschäft von Bosch Rexroth in Witten dazu. Neben den Standorten in Deutschlan­d und Belgien unterhält die Sparte zudem Werke in China, Indien und den USA. Leiter des Geschäftsb­ereichs, mit dem im Jahr 2016 rund 820 Millionen Euro umZF Größe groß geworden“, sagt Ulrich Reinders, Geschäftsf­ührer der ZF Industriea­ntriebe Witten GmbH.

In der Stadt im Ruhrgebiet fertigt ZF unter anderem seine Multimegaw­att-Offshore-Getriebe, die mit bis zu 70 Tonnen Gesamtgewi­cht zu den größten und schwersten Produkten des Konzerns gehören; im belgischen Lommel, dem Zentrum der ZFWindkraf­taktivität­en, die Kleineren. „Noch in diesem Jahr stellen wir den Prototyp eines 9,5-Megawatt-Getriebes fertig“, lässt sich Jan Willem Ruinemans, Leiter des ZF-Geschäftsf­elds Windkraft, in die Karten schauen. Perspektiv­isch, so der Belgier, sind zwölf Megawatt möglich.

Doch das Streben nach mehr Leistung ist nur eine Seite der Medaille für ZF. Bislang wurde Offshore mit einem Getriebeta­usch über die Lebensdaue­r einer Windkrafta­nlage von 25 Jahren kalkuliert, was pro Windrad mit rund einer Million Euro zu Buche schlägt. Das, so Ruinemans, können sich die Betreiber künftig sparen. ZF verspricht für seine neuen Windkraftg­etriebe eine Lebensdaue­r von 25 Jahren, ein Austausch wird nicht mehr nötig – was unter anderem mit einer auf die tatsächlic­he Belastung des Getriebes Acht-Megawatt-Getriebe von ZF.

gesetzt wurden und bei dem weltweit 3100 Mitarbeite­r beschäftig­t sind, ist Jan Willems Ruinemans. abgestimmt­en Wartung möglich sein soll. „Damit schließt sich die Kostenlück­e, und wir können die Kosten des Windstroms in Richtung konvention­ell erzeugter Energie drücken“, ist sich Ruinemans sicher.

Für den Windpark „He Dreight“, prognostiz­iert EnBW-Mann Güsewell, dürften bereits Anlagen jenseits der Zehn-Megawatt-Klasse mit einem Rotordurch­messer größer als 200 Metern zum Einsatz kommen. Bis Mitte der kommenden Dekade könnten die Stromerzeu­gungskoste­n der Offshore-Windkraft dann mit denen anderer konvention­eller Energieträ­ger konkurrenz­fähig sein. Werner Höner von Windtest Grevenbroi­ch ist da noch viel optimistis­cher: „Rechnet man die externen Kosten bei der Stromerzeu­gung mit fossilen Energieträ­gern hinzu – die Umweltbela­stung durch Kohlendiox­id und Feinstaub oder die Endlagerun­g radioaktiv­en Restmülls – ist die Windkraft schon heute konkurrenz­fähig.“

Einblicke in die Getriebepr­oduktion bei ZF an den Standorten Lommel und Witten sehen Sie unter: schwaebisc­he.de/windkraft liefert Windkraftg­etriebe aller Größenklas­sen und Einsatzgeb­iete – von 0,8 bis acht Megawatt, für Onshore- wie für Offshore-Anwendunge­n. Nach eigenen Angaben führend ist der Konzern vom Bodensee vor allem im Segment der Multimegaw­att-Getriebe. Weltweit, so ZF, laufen Windkraftk­apazitäten im Volumen von 100 Gigawatt (entspricht der Leistung von rund 70 Kernkraftw­erken) mit ZF-Getrieben. Die größten Kunden sind Vestas, General Electric, Gamesa und Nordex. Wettbewerb­er von ZF bei Windkraftg­etrieben sind Siemens und der chinesisch­e Hersteller Nanjing Highspeed. (ank)

 ?? FOTOS: ANDREAS KNOCH ?? Montage eines Windkraftg­etriebes bei ZF in Witten: Der Konzern vom Bodensee ist Marktführe­r bei Multi-Megawatt-Getrieben für Windkrafta­nlagen.
FOTOS: ANDREAS KNOCH Montage eines Windkraftg­etriebes bei ZF in Witten: Der Konzern vom Bodensee ist Marktführe­r bei Multi-Megawatt-Getrieben für Windkrafta­nlagen.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany