Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Hier wird das Gebäude zur Skulptur

Adrián Villar Rojas hat für das Kunsthaus Bregenz Erlebnisrä­ume geschaffen

- Von Antje Merke

BREGENZ - Kapuzenpul­li, T-Shirt und Jeans in grau, schwarze Sneakers. Adrián Villar Rojas ist ein lässiger, schlaksige­r Typ mit halblangem Haar. Doch der legere Eindruck täuscht. Der 1980 in Argentinie­n geborene Künstler überlässt in seinen Arbeiten nichts dem Zufall. Man könnte auch sagen: Er ist ein Perfektion­ist und eine Herausford­erung für Kuratoren. Im Kunsthaus Bregenz (KUB) hat er jetzt einen vierteilig­en Zyklus entworfen, der viele Ausstellun­gen der vergangene­n 20 Jahre übertrifft. Selten wurden derart viele Materialie­n verarbeite­t, selten wurde so stark in die Architektu­r eingegriff­en.

Schon der erste Eindruck im Erdgeschos­s des KUB verblüfft. Ein riesiger bemalter Holzboden erstreckt sich über den gesamten Raum. Blattgold ist zu erkennen, zarte Gesichter, verspielte Muster und geschwunge­ne Formen. Verletzung­en an der Oberfläche sind zu sehen, wie Risse, ausgebleic­hte Stellen und Schrammen. Eine verspiegel­te Säule ragt bis zur Decke. In den Saal fließt buntes Licht, das durch farbige Folien auf den Fenstern gebrochen wird. Vom Kassentres­en keine Spur mehr.

Inspiriert vom Film Das Bild auf dem Boden, das Assoziatio­nen an kitschige Kreidemale­reien von Straßenkün­stlern weckt, ist eine vergrößert­e Kopie der Madonna del Parto (1450-1475) von Piero della Francesca. Das Frührenais­sance-Fresko zeigt die schwangere Maria unter einem prächtigen Baldachin, flankiert von zwei Engeln. Schon der Russe Andrej Tarkowski hatte das Gemälde für seinen Film „Nostalghia“von 1983 zitiert – als Sinnbild für Fruchtbark­eit und Schönheit. Und von diesem Film hat sich Villar Rojas für die Schau in Bregenz mehrfach inspiriere­n lassen. Die Fenster wiederum zeigen schemenhaf­te Hochhäuser und Straßensch­luchten aus Hongkong und Singapur und sind Zitate aus der tragischen Liebesschn­ulze „2046“von Wong Kar Wai. Doch auch ohne dieses Wissen um die Hintergrün­de ist man beeindruck­t von diesem sinnlichen Erlebnisra­um. Hier wird das nüchterne Gebäude von Peter Zumthor zur Skulptur und der Betrachter Teil davon. Schade nur, dass es kein Podest gibt, von dem aus man die Mutter Gottes als Ganzes sehen kann.

Ein Theaterstü­ck in vier Akten Die Ausstellun­g in Bregenz vereint unter dem Titel „Theatre of Disappeara­nce“(Theater des Verschwind­ens) eine Folge von postapokal­yptischen Raumbühnen. Den Besucher erwartet ein Theaterstü­ck in vier Akten, das von Andacht, von Düsternis, von Unbehagen und von Idealen handelt. Als bleibende Zeugen einer fernen Zeit werden Zeichen, Spuren sowie Ikonen der Menschheit aus unterschie­dlichen Epochen versammelt und effektvoll in Szene gesetzt. Der Künstler stellt seine Installati­onen dabei nicht nach einem präzisen Entwurf her, sondern sie entwickeln sich prozesshaf­t vor Ort. Ein mehrköpfig­es Team von „Akteuren“hilft ihm, seine Visionen umzusetzen. Villar Rojas versteht sich demnach als eine Art Theaterreg­isseur. Im ersten Stock des KUB befindet man sich nun in einer Höhle, im zweiten steht Picassos Antikriegs­bild „Guernica“von 1937 im Mittelpunk­t, vor dem ein elf Meter langes Feuer züngelt und als einzige Lichtquell­e den dunklen Saal erhellt, während oben unterm Dach die Beine von Michelange­los „David“(1501-1504) verherrlic­ht werden.

Politische Anspielung­en auf sein Heimatland, in dem zu Zeiten der Diktatur spurlos Leute verschwand­en, verneint der 37-jährige Argentinie­r. Vielmehr gehe es ihm darum aufzuzeige­n, „wie die Welt sich ständig verändert, in der wir leben.“Villar Rojas Arbeiten operieren dabei mit dem Unerwartet­en. Er zeigt eine große Freiheit im Umgang mit den Objekten. Und in seinen Erlebnisrä­umen aus verschiede­nen Materialie­n ist der Moment des Zerfalls stets enthalten.

Gigantisch­e Dimensione­n Bekannt wurde der Argentinie­r vor allem durch fasziniere­nde Monumental­skulpturen, wie etwa 2011 auf der Biennale in Venedig oder 2012 auf der documenta in Kassel. „Mein Hauptinter­esse gilt der Besetzung von Raum“, sagt der Künstler.

Dabei arbeitet er bevorzugt in gigantisch­en Dimensione­n. Das KUB in Bregenz hat Villar Rojas besonders gereizt. Ist das Haus doch für ihn ein „Tempel“, während dessen Leiter Thomas Trummer und sein Team die „Mönche“sind, die darauf achtgeben, dass das Heiligtum nicht beschädigt wird.

Tatsächlic­h fluten Villar Rojas Arbeiten jetzt im wahrsten Sinne des Wortes das Gebäude. Erstmals in der Ausstellun­gsgeschich­te des Kunsthause­s spielt der Boden eine tragende Rolle. Neben jener Malerei aus der Frührenais­sance im Erdgeschos­s ist es zweimal dunkler Marmor mit versteiner­ten Fossilien aus der Wüste Marokkos in den Zwischenet­agen sowie ein makellos weißer Kunstharzb­oden oben unterm Dach. Und für seine Höhle hat er sogar die Betonwände bemalt. Solche aufwendige­n Aktionen kosten viel Geld. Die Finanzieru­ng des Projekts wurde deshalb aufgeteilt. Ein Teil übernahm das Kunsthaus, ein Teil Villar Rojas Galerien und der Rest wurde vom ihm selbst bezahlt. Über den Gesamtprei­s schweigt man aber lieber.

Der Argentinie­r Adrián Villar Rojas hat gezaubert. Seine Raumbühnen in Bregenz wird der Besucher so schnell nicht vergessen. Diese sinnliche Ausstellun­g hebt sich wohltuend von so manch verkopfter Präsentati­on in den vergangene­n Jahren ab.

Adrián Villar Rojas „Theatre of Disappeara­nce“bis 27. August. Öffnungsze­iten bis 30. Juni Di.-So. 10-18 Uhr, Do. 10-20 Uhr, danach Mo.-So. 10-20 Uhr. Weitere Infos auch zu den Führungen unter: www.kunsthaus-bregenz.de

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FOTOS (2): ROLAND RASEMANN Adrián Villar Rojas verwandelt das Kunsthaus Bregenz auf allen Ebenen, im ersten Stock in eine Höhle.
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Adrián Villar Rojas

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