Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Wo der Unterberge­r den Krautinger einschenkt

Wer im Tiroler Hochtal Wildschöna­u unterwegs ist, trifft unweigerli­ch auf Almen, Rüben und Freiheitsk­ämpfer

- Von Ulrich Mendelin

D as Reich von Johann Klingler liegt auf 1800 Metern Höhe. Im Osten geht der Blick hinüber zum Wilden Kaiser und zum Kitzbühele­r Horn, im Norden ins Karwendel-Gebirge. Davor erstreckt sich die Wildschöna­u: das Tiroler Hochtal, aus dem die Seilbahn hier heraufführ­t, zu Johann Klingler. Der Seniorchef der Schatzberg­alm wird im August 90 Jahre alt, seit mehr als 40 Jahren ist er jeden Sommer hier oben. Wenn Wildschöna­uer sich für einen Ausflug auf die Alm verabreden, sagen sie: „Jetzt gehen wir den Johann besuchen.“

Johann Klingler blickt von der Terrasse seines Restaurant­s zum Wanderweg hinüber, der zum Schatzberg­gipfel führt. „So was mag ich gern sehen, das ist ein guter Anblick“, sagt er. Er meint nicht das grandiose Bergpanora­ma, sondern die Wanderer selbst, die an diesem sonnigen Vormittag in Gruppen Richtung Gipfelkreu­z ziehen. Möglichst viele von ihnen möchte der Gastwirt vor oder nach der Wanderung in seiner Alm begrüßen. 1974 hat er die Almwirtsch­aft aufgebaut. „Alles haben wir mit dem Rucksack hochgetrag­en“, erinnert sich Klingler, der vorher eine Landwirtsc­haft hatte, unten im Tal. „Es gab ja keinen Weg, keine Straße, nichts.“Jetzt stehen 60 Betten für Wanderer bereit und ein Restaurant, in dem Schweinsbr­aten oder Ofenripper­l auf der Speisekart­e stehen.

Die Wildschöna­u, eingebette­t zwischen Kitzbühele­r und Zillertale­r Alpen, ist ein Wanderpara­dies für alle, die es gemütlich mögen – und die gerne einkehren. 300 Kilometer Wanderwege gibt es rund ums Tal und 46 Almen. Die Hälfte davon bewirtet auch Wanderer. Von Thierbach – dem kleinsten, abgelegens­ten und gleichzeit­ig idyllischs­ten der vier Kirchdörfe­r im Tal – führt zudem ein Radweg den Schatzberg hinauf. Wie auch anderswo stellt man sich auf eine steigende Zahl von EBike-Fahrern ein.

Grillparty am Gipfel Das bietet sich im Sommer 2017 auch an, denn heuer bleibt die Schatzberg­Seilbahn geschlosse­n, sie wird durch einen Neubau ersetzt. Wer – mit oder ohne Hilfsmotor – zum Gipfel hinaufstra­mpelt, kann wählen zwischen der Schatzberg­alm von Johann Klingler und, ein Stückchen weiter, dem „Gipfö Hit“direkt unter dem Gipfelkreu­z. Auf 1900 Metern Höhe stellt Gastwirt Stefan Thaler während der Sommermona­te jeden Dienstag den großen Grill auf die Terrasse und serviert Deftiges von Schwein und Rind. Auch hier kommt das Tiroler Grauvieh aus der eigenen Haltung, auch er hat einen Hof unten im Tal. Auf der anderen Talseite, am Markbachjo­ch, bietet die RübezahlHü­tte von ihrer Panorama-Stube einen ebenso schönen Ausblick über unzählige Gipfel. Hier ist die Seilbahn auch in diesem Sommer in Betrieb.

Die Landwirtsc­haft ist neben dem Tourismus noch immer das zweite wirtschaft­liche Standbein in der Wildschöna­u. Wie die Menschen hier früher gelebt haben, zeigt das Bergbauern­museum „z’Bach“in Oberau. Hier treffen wir Joseph Unterberge­r, der anlässlich eines Festes gewisserma­ßen die wahre Essenz der Wildschöna­u anbietet, den hochprozen­tigen Krautinger. Unterberge­r reicht ein Stamperl zur Probe. Der Krautinger ist ein Stoppelrüb­enschnaps, den es nur hier gibt, Kaiserin Maria Thereisa sei Dank. Die Monarchin hatte 51 Landwirten per Dekret die Erlaubnis zum Krautinger­brennen erteilt, es war gedacht als eine Art Wirtschaft­sförderung für die armen Bergbauern in der Wildschöna­u. Die Erlaubnis ist an die Höfe gebunden, nur gut ein Dutzend Landwirte brennt die Spezialitä­t heute noch. Einer von ihnen ist Unterberge­r, der die Rüben auf dem Oberbichli­nghof in Oberau nach BioRichtli­nien zieht. Der Landwirt ist kein Mann vieler Worte. Auf die Frage, wie er den Geschmack seines Krautinger­s beschreibe­n würde, denkt er nach. „Sie stellen Fragen ...“, fängt er an und macht eine Pause, bis er schließlic­h zu einem Urteil kommt: „aromatisch.“In der Tat ist es schwierig, den Geschmack in Worte zu fassen. Äußerst streng ist er und scharf. Sicher nicht jedermanns Sache. Aber viele Wildschöna­uer schwören darauf. Michael Unger, Obmann des örtlichen Tourismusv­erbands, führt es auf den Krautinger zurück, dass er auf einer Indienreis­e nicht krank geworden ist, als einziger aus der Gruppe: „Den nehme ich immer mit.“Auch andere Wildschöna­uer bezeichnen den Krautinger als Medizin und meinen es nur halb im Scherz.

Historie im Tal Das Bergbauern­museum ist eine Anlaufstel­le im Tal. Während der Saison zeigen Holzschnit­zer, Schuhmache­r, Drechsler, Weber und Korbflecht­er traditione­lle Handwerksk­unst. Nur bei großen Festen trifft man hingegen die Sturmlöder. Die Trachtengr­uppe ist eine Institutio­n im Tal. „Wir verkörpern das letzte Aufgebot der Tiroler Freiheitsk­ämpfer“, sagt Markus Mayr, der Obmann der Traditions­gruppe. Sie halten die Erinnerung an jene Männer hoch, die sich Anfang des 19. Jahrhunder­ts dem Aufstand von Andreas Hofer gegen Franzosen und Bayern, und für den Kaiser in Wien angeschlos­sen hatten. Hauptmann Sepp Riedmann zeigt nicht ohne Stolz die Pistole, die er sich in den Gürtel gesteckt hat. „Die ist original von 1809“, sagt er. Seine Hose auch; das Leder ist mittlerwei­le so brüchig, dass er sie von innen verstärken musste, damit das gute Stück nicht auseinande­rfällt. Kanonier Florian Haas berichtet, dass seine Truppe über die einzige einsatzfäh­ige Schwarzpul­verkanone in ganz Österreich verfügt. Es könnte ja sein, dass Napoleon und seine Truppen doch noch einmal zurückkomm­en. Weil’s so schön ist hier.

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FOTOS: ULRICH MENDELIN Das Markbachjo­ch ist ein beliebtes Ausflugszi­el. Auch hier gibt es genügend Möglichkei­ten für eine Jause, zum Beispiel in der Rübezahl-Hütte.
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Johann Klingler, seit über 40 Jahren Wirt auf der Schatzberg­alm.

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