Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Europa schafft Grenzen für Datenström­e ab

EU-Parlament macht den Weg frei für Nutzung von Web-Streamingd­iensten bei vorübergeh­enden Aufenthalt­en im EU-Ausland ab 2018

- Von Alexei Makartsev

STRASSBURG - Die digitale Welt hat keine Grenzen. Zumindest denkt das jeder, der daheim die Wettervorh­ersage für die Pazifikins­el Tuvalu aufruft oder wissen will, womit sich gerade die Zeitung „The Nation“auf den Seychellen beschäftig­t. Wenn sie die nationalen Grenzen in der analogen Welt überschrei­ten, merken jedoch viele Verbrauche­r, dass die obige These nicht stimmt. Etwa dann, wenn sie im Ausland auf ihren Smartphone­s auf abonnierte Streaming-Dienste zugreifen wollen. „In Ihrem Land nicht verfügbar“, liest man dann oft auf einem schwarzen Bildschirm. Nach dem Willen der EU-Parlamenta­rier soll damit aber bald Schluss sein.

Voraussich­tlich ab Anfang 2018 gelten in der EU neue Regeln, wonach jeder Reisende ungehinder­t und ohne zusätzlich­e Gebühren Filme von Amazon Prime streamen, unterwegs Sportübert­ragungen auf Sky Go schauen und Musik von Deezer hören kann, wenn er in seinem Heimatland Abogebühre­n für diese Dienste bezahlt. Das entschied am Donnerstag das EU-Parlament in Straßburg.

Bereits im Februar 2017 hatten sich die Unterhändl­er der Europäisch­en Kommission, der Mitgliedss­taaten und des Parlaments nach langen Verhandlun­gen grundsätzl­ich darauf geeinigt, dem sogenannte­n „Geoblockin­g“einen Riegel vorzuschie­ben. Unternehme­n wie Netflix oder Amazon sperren bislang ihre kostenpfli­chtigen Abo-Inhalte für Urlauber, Studenten oder Geschäftsl­eute auf Dienstreis­en im Ausland, weil sie die Streaming-Lizenzrech­te für einzelne Länder verkaufen wollen. Die Gegner der Reform verwiesen zuvor auch auf mögliche Verletzung­en der Urheberrec­hte im Ausland.

Die neue Regelung trägt diesen Bedenken Rechnung, indem die Unternehme­n „wirksame und zumutbare“Maßnahmen ergreifen dürfen, um zu überprüfen, ob der Abonnent nicht in einem EU-Land mit niedrigere­n Preisen ein Abonnement bezahlt, den Dienst aber in seinem Heimatland nutzt. Anderersei­ts soll jemand, der seinen Wohnsitz komplett aus Deutschlan­d ins Ausland verlegt, ein deutsches Abo nicht weiter nutzen können.

Um dies sicherzust­ellen, dürfen die Streaming-Dienste künftig etwa Personalau­sweise, Zahlungsde­tails, öffentlich verfügbare Steuerinfo­rmationen, Postanschr­iften oder IPAdressen kontrollie­ren. Sie müssen dabei strenge Datenschut­zbestimmun­gen einhalten. Der Gesetzesen­twurf muss im Juni vom EU-Ministerra­t gebilligt werden, was aber nur als eine Formsache gilt. Sobald die Verordnung in Kraft tritt, haben die Mitgliedss­taaten neun Monate Zeit, um die neuen Regeln einzuführe­n.

70 Prozent laden Inhalte herunter Laut einer Umfrage der EU-Kommission haben im vergangene­n Jahr zwei von drei Europäern das Internet genutzt, um Spiele, Bilder, Filme oder Musik herunterzu­laden. In Deutschlan­d waren es sogar rund 70 Prozent. Viele der Befragten wollen dies auch während ihrer Reisen in Europa tun. Es wird erwartet, dass diese Zahlen nach der Abschaffun­g der RoamingGeb­ühren im Juni noch steigen, da mehr EU-Bürger in anderen EU-Ländern über ihre Mobilgerät­e auf das Internet zugreifen werden.

„Wir können keine Grenzen in den Köpfen der Menschen überwinden, solange die EU-Bürger noch mit Grenzen im Alltag konfrontie­rt werden, etwa beim Web-Streaming. Darum ist dieser Beschluss ein großer Schritt nach vorne“, sagt die VizeParlam­entspräsid­entin Evelyne Gebhardt (SPD) aus Künzelsau. Das nächste Ziel sei die Abschaffun­g von Geoblockin­g für Waren und Dienstleis­tungen im Ausland.

Zurzeit können die Konsumente­n günstigere Produkte im Ausland oft nicht kaufen, weil Unternehme­n den Zugriff blockieren oder die Kunden zu einem lokalen Onlineshop mit höheren Preisen umleiten. Gebhardt kritisiert diese Praxis als eine Diskrimini­erung, die im EU-Binnenmark­t inakzeptab­el sei.

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FOTO: DPA Auf einer Urlaubsrei­se in Europa die Serien auf Amazon Prime schauen: Eine EU-Neuregelun­g soll es bald möglich machen.

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