Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Bestseller des Bösen

Ravensburg­er Ausstellun­g „Hexenwahn 1484“beleuchtet ein düsteres Kapitel

- Von Barbara Miller

RAVENSBURG - Wenn es den Menschen schlecht geht, suchen sie die Schuld bei anderen, gern bei Schwächere­n. Zum Beispiel Frauen. Im ausgehende­n Spätmittel­alter begann eine beispiello­se Verfolgung von Frauen als Hexen. Ravensburg spielt in dieser Geschichte eine unrühmlich­e Rolle. Die Gebrauchsa­nweisung zur Hexenverfo­lgung lieferte Heinrich Kramer mit seinem 1486 verfassten Buch „Malleus Maleficaru­m“, auf deutsch „Der Hexenhamme­r“. Das Buch wurde ein Bestseller. Einige der Prozesse, die er beschreibt, hat Kramer, der auch unter seinem latinisier­ten Namen Henricus Institoris bekannt ist, zwei Jahre zuvor selbst in Ravensburg geführt.

Diesem unseligen Phänomen europäisch­er Geschichte spürt die Ausstellun­g „Hexenwahn 1484 – Frauen auf dem Scheiterha­ufen“im Ravensburg­er Museum Humpis-Quartier nach. Sie geht zurück auf ein Kolloquium mit den führenden Experten auf dem Gebiet der Hexenforsc­hung, Johannes Dillinger und Wolfgang Behringer. Kurator Andreas Schmauder stellt Heinrich Kramers „Hexenhamme­r“in den Mittelpunk­t der Schau. Schmauder, Stadtarchi­var, Direktor des Humpis-Museums und Professor für Neuere Geschichte an der Universitä­t Tübingen, weist nach, dass dieses Buch auf den Erfahrunge­n beruht, die der Dominikane­rmönch Kramer als päpstliche­r Inquisitor in Ravensburg gemacht hat.

Das Klima ändert sich Ende des 15. Jahrhunder­ts veränderte sich in Europa das Klima. Es kam zu Missernten. Die Preise stiegen, die Menschen wurden ärmer, anfälliger für Seuchen wie die Pest. Die Sterblichk­eit stieg an. „Die Menschen“, sagt Schmauder, „konnten sich diese Phänomene nicht erklären, wussten nicht, dass sich das abzeichnet, was Forscher heute die Kleine Eiszeit nennen. Sie glaubten, dass ein Schadenzau­ber dahinterst­ecke“. Der Kaplan der Ravensburg­er Liebfrauen­kirche, Johannes Gremper, der auch an seinen anderen Wirkungsst­ätten Isny und Waldshut Unheil angerichte­t haben soll, holte 1484 jenen Mann in die Stadt, der in Hexenproze­ssen als erfahren galt: den päpstliche­n Inquisitor Heinrich Kramer.

Kramer predigte in der Liebfrauen­kirche und forderte die Ravensburg­er auf, zu ihm zu kommen und „ihm solche der Hexerei wegen verdächtig­en dort übel beleumunde­ten Personen angeben“. Die Aufforderu­ng zur Denunziati­on hat funktionie­rt. Sechs Frauen wurden unter dem Verdacht der Hexerei festgesetz­t.

In der Ausstellun­g sind die Folterwerk­zeuge ausgestell­t, gräßlich. Die Beschuldig­ten mussten sich ausziehen, wurden am ganzen Körper rasiert, damit die „Teufelsmal­e“sichtbar werden sollten. Sie wurden an einer Art Galgen aufgehängt und malträtier­t. Zwei Frauen gestanden unter Folter alles, was gewünscht war und wurden dann auf dem Scheiterha­ufen auf der Kuppelnau verbrannt. Von ihnen weiß man die Namen: Agnes Bader und Anna Mindelheim­er, beide ledig, ohne Familie. Eine von ihnen war vielleicht eine Badersgehi­lfin, kein besonders angesehene­r Beruf.

Die anderen Beklagten hatten mehr Glück, sie hatten Familien. Die zahlten dafür, dass ihre Mütter und Ehefrauen freikamen. Für diese „erfolgreic­he“Hexenverfo­lgung erhielten dann der Kaplan und der Abt von Weingarten 1484 eine päpstliche Anerkennun­g in Form eines Ablasses zugunsten das Heilig-Geist-Spitals und der Pfarrkirch­e St. Jodok. Der Ablass war bares Geld.

Der „Inquisitor für ganz Süddeutsch­land“, wie Kramers offizielle­r Titel hieß, brüstet sich im „Hexenhamme­r“, dass in der Diözese Konstanz des Bischofs Otto Truchsess von Waldburg-Sonnenberg 48 Frauen in den vier Jahren von 1481 bis 1485 als Hexen verbrannt wurden. Der Historiker Wolfgang Behringer schreibt: „Nicht weniger als 22 Exempel im ,Hexenhamme­r’ beziehen sich auf Orte dieser Diözese, weit mehr als auf die anderen acht erwähnten.“Genannt werden Prozesse von Frauen aus Lindau, Meersburg und Iznang. „Im Allgäu und Oberschwab­en muss man von einer Verfolgung­swelle sprechen. Das macht auch verständli­ch, warum man noch im frühen 16. Jahrhunder­t in ganz Süddeutsch­land von dort die Scharfrich­ter für die Hexenproze­sse bezog.“Gefragt waren die Henker aus Saulgau und Waldsee. Und noch bei einem der ersten Prozesse, die zu schrecklic­hen Hexenverfo­lgungen in der Fürstprobs­tei Ellwangen fast ein Jahrhunder­t später führten, holte man sich einen erfahrenen Henker und Folterer aus Biberach.

Den Nerv der Zeit getroffen Grundlage auch dieser späten Prozesse war dieses verhängnis­volle Buch. Bis 1523 dürften schon 100 000 Exemplare des „Malleus Maleficaru­m“gedruckt worden sein, vermutet Behringer. Bis 1669 hat es 30 Auflagen erfahren – ein Bestseller.

Warum konnte dieses Werk so eine solche Wirkung entfalten? Es hat den Nerv der Zeit getroffen, darüber ist sich die Forschung einig. Hier kommt die Klimaverän­derung ins Spiel. Für Dinge, die sich die Menschen nicht erklären konnten, wurden Ursachen und Verantwort­liche gesucht. Dass ganz überwiegen­d Frauen zum Opfer dieses Wahns wurden, lässt sich mit der schon aus der Bibel herrührend­en Frauenfein­dlichkeit im Christentu­m begründen.

„Malleus Maleficaru­m“ist das Werk eines Psychopath­en. Auch darüber ist sich, nicht erst seit Sigmund Freud, die Forschung einig. Aber je länger man sich mit dem Thema beschäftig­t, umso deutlicher wird: Es liegt ganz viel im Unklaren. Es lassen sich weder eindeutige Opfer- noch eindeutige Täterprofi­le erkennen. Für Generalisi­erungen ist es zu früh. Ob in Immenstaad oder Ravensburg, Meersburg oder Lindau – überall liegen die Fälle anders.

Die Denunziati­on kann Ausfluss des Aberglaube­ns sein. Aber auch als Herrschaft­sinstrumen­t benutzt werden. In Reutlingen wurde ein Hexenproze­ss geführt, um die Bürgermeis­terwahl zu gewinnen. Beispiello­s ist der Fall Ellwangen. Dort fielen 430 Menschen in mehreren Prozesslaw­inen von 1588 bis 1611 dem Hexenwahn zum Opfer. Ganze Familien wurden ausgerotte­t. Vermutlich hat sich die Regierung der Fürstprobs­tei auf diese Weise bereichert: Verfolgung zur Geldschöpf­ung.

Die Initiative zur Hexenverfo­lgung ging von der Kirche aus. Für die Ausführung benutzte sie die kommunalen oder territoria­len Instanzen: Bürgermeis­ter, Rat, Vogt, Gericht. Das Perfide an Heinrich Kramers „Hexenhamme­r“besteht darin, ein wirres Konglomera­t des Aberglaube­ns in die Form eines Gesetzbuch­es zu bringen. 40 000 bis 60 000 Menschen, meist Frauen, sollen dem Hexenwahn bis ins 18. Jahrhunder­t zum Opfer gefallen sein.

 ?? FOTO: KUNSTSAMML­UNG DER FÜRSTEN VON WALDBURG-WOLFEGG UND WALDSEE ?? Die Hexen-Thematik regte auch die Phantasie der Künstler an. Hier eine Hexenszene von Hans Baldung Grien aus dem Jahr 1510.
FOTO: KUNSTSAMML­UNG DER FÜRSTEN VON WALDBURG-WOLFEGG UND WALDSEE Die Hexen-Thematik regte auch die Phantasie der Künstler an. Hier eine Hexenszene von Hans Baldung Grien aus dem Jahr 1510.

Newspapers in German

Newspapers from Germany