Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Kultur leben

- Von Wolfram Frommlet wolfram.frommlet@t-online.de

U nter der Losung „Du siehst mich“(aus dem 1. Buch Mose) findet in Berlin diese Woche der Evangelisc­he Kirchentag statt. Als globale Herausford­erung verstehen die Veranstalt­er das Motto, weil das Wohlstands­modell der westlichen Gesellscha­ften, zunehmend auch das der neuen Eliten und Mittel schichten in den Wachstums gesellscha­ften im Süden nur auf Kosten einer nie dagewesene­n Plünderung ganzer Weltregion­en und jener Armen und in die Armut Getriebene­n funktionie­rt, die wir nicht sehen. Nicht sehen wollen, denn die Fakten sind bekannt und werden in allen Medien berichtet. Der Soziologe Stephan Lessenich beschreibt diese Verdrängun­g in allen Lebensbere­ichen im seinem brillanten, provokativ­en Buch„ Neben uns die Sintflut “( Hans er Berlin) über die„ Externali sie rungsgesel­lsc haft “, die auf dem Vulkan tanzt und die Lava nicht sieht. Nicht begreift, dass die, die wir nicht sehen, an unseren Küsten landen, an unsere Türen klopfen, und es mehr werden und mehr. Es sind ja vorwiegend christlich­e Gesellscha­ften, die die Sintflut verursache­n und leugnen, Trumps Klima politik und diefun damen talis tischen Kirchen in den USA die erschrecke­ndsten Beispiele. Andere Vorbilder gäbe es ja im Christentu­m: die Befreiungs­theologie, die Bergpredig­t, die politische­n Analysen der Armut von „Brot für die Welt“oder „Misereor“und deren emanzipati­ve „Hilfe“für die Nicht-Gesehenen. Sie, und Tausende, die in diesem Lande täglich hinsehen, wo andere wegsehen, oder abschieben, und Kritiker der Globalisie­rung, die weltweit über nachhaltig­e, sozial gerechte Entwicklun­gsmodelle forschen, könnten das Motto des Kirchentag­es ausreichen­d mit Erfahrunge­n und konkreten Utopien füllen. Aber es braucht den globalen Rockstar, dessen jüngste Lebensphas­e wie ein Hohn auf den Kirchentag wirkt: Barack Obama. Er cruist nun mit Michelle, nach all den präsidiale­n Entbehrung­en, auf den Multimilli­onen-Yachten seiner Milliardär­s-Freunde durch die Südsee, legt sehr umweltbewu­sst auf winzigen Luxus-Atollen an, die in ein paar Jahren im Meer versunken sein werden. Sein neues, edelstes Lebensziel: alle vorigen Präsidente­n, insbesonde­re die Clintons, zu überholen, die mit ihren Reden vor Amerikas Bankern und Konzernche­fs um die 120 Millionen kassiert haben. Allein für zwei Biografien sollen die Obamas 65 Millionen Dollar kassieren; er ist nun über die edle Walker Agency in New York zu buchen. 400 000 Dollar für 60 Minuten Politphras­en. Zur Rettung der Menschheit vor jenem Kapital, das ihn als Edeldeko ausleiht. Wie es in US Medien heißt, denken seine Berater über eine Welttour nach. 45 Minuten an den Hotspots der globalen Sintflutle­r zu standardis­ierten 400 000 Dollar, plus Luxus-Dinner. Vielleicht lässt sich Michelle noch einbauen? Wie Bill & Hillary. Noch Fragen, was einer wie Obama sieht, außer den Millionen auf dem Konto und dem Schampus an Bord? Was hat die einstige Hoffnung auf ein soziales Amerika in Berlin denen zu sagen, die jene sehen, die ein Obama nie gesehen hat, sein 400 000 Dollar-Publikum auch nicht. Die oft nicht 1000 Dollar im Jahr haben? Zynischer PR-Gag einer Kirche, die sich noch immer nach oben orientiert, nicht nach unten? Oder etwa Wahlkampf, weil Obama mit Angela Merkel öffentlich über globale Verantwort­ung reden wird. Angeblich honorarfre­i. Ja?

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