Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Nach zehn Minuten muss Hilfe beim Bürger sein“
Kreisbrandmeister Oliver Surbeck spricht über Zeitdruck von Rettungskräften und Sonderregeln im Straßenverkehr
RAVENSBURG - Wenn es brennt, zählt jede Sekunde. Die Rettungskräfte müssen schnellstmöglich vor Ort sein. Um das zu gewährleisten, haben Feuerwehrleute bestimmte Sonderrechte im Straßenverkehr. Und diese Rechte gelten nicht erst, wenn sie im Feuerwehrauto sitzen, sondern schon dann, wenn sie mit ihrem privaten Fahrzeug zum Feuerwehrhaus fahren. Jasmin Bühler hat mit Kreisbrandmeister Oliver Surbeck über die Sonderrechte, ihre Grenzen und das Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer gesprochen.
Herr Surbeck, der Einsatz der Feuerwehr beginnt mit der Alarmierung über den Piepser. Wie geht es dann weiter? Erst einmal muss man dazu wissen, dass die Feuerwehr kein Verein ist. Sie ist eine kommunale Pflichtaufgabe und damit eine Organisationseinheit der Kommune. Im Landkreis Ravensburg wird das zu 100 Prozent im Ehrenamt geleistet. Und das heißt, dass die Feuerwehrangehörigen – egal, wo sie sind, ob im Bett, bei der Arbeit oder im Garten – erst einmal zum Feuerwehrhaus müssen, um sich dort auszurüsten. Schließlich rücken sie gemeinsam zum Einsatz aus.
Gibt es dafür eine vorgegebene Zeitspanne? Die zeitlichen Vorgaben sind in den sogenannten „Hinweisen zur Leistungsfähigkeit einer Feuerwehr“des Innenministeriums geregelt. Diese besagen: Nach spätestens zehn Minuten – ab dem Zeitpunkt der Alarmierung – muss die erforderliche Hilfe beim Bürger sein. Bei zeitkritischen Einsätzen, wie bei einem Brand oder einem Verkehrsunfall, muss das erste Fahrzeug daher nach maximal fünf Minuten das Feuerwehrhaus verlassen. Bei diesen Einsätzen wird mit Sondersignal, also mit Blaulicht und Martinshorn, gefahren.
Das heißt, dass die Feuerwehrleute gerade einmal fünf Minuten Zeit haben, um von zu Hause oder der Arbeit zum Feuerwehrhaus zu fahren und sich dort für den Einsatz fertig zu machen. Zieht man 1,5 Minuten als Rüstzeit im Feuerwehrhaus ab, so bleibt für die Feuerwehrangehörigen eine maximale Fahrzeit von 3,5 Minuten. Das ist schon ein enormer zeitlicher und damit auch psychischer Druck.
Das ist ziemlich wenig Zeit, wenn man auch noch durch den Berufsverkehr muss und die Verkehrsregeln beachten soll. Das stimmt. Weil bei den zeitkritischen Einsätzen höchste Eile geboten ist, gibt es Sonderrechte für die Feuerwehrleute. Geregelt sind diese in der Straßenverkehrsordnung, vor allem in Paragraf 35. Die Sonderrechte dürfen in Anspruch genommen werden, wenn dies zur Gefahrenabwehr „dringend geboten“ist. Ob ein Einsatz dringend ist, entscheidet die Leitstelle aufgrund des Meldebildes des Anrufers. Der Feuerwehrangehörige bekommt die Dringlichkeitsstufe über den Meldeempfänger mitgeteilt.
Welche Sonderrechte sind das denn? Hier muss man unterscheiden, ob jemand gerade zum Feuerwehrhaus fährt oder schon einsatzfertig im Feuerwehrauto sitzt. Wer sich noch in der Anfahrt zur Wache befindet, hat Sonderrechte. Dazu gehören beispielsweise die Überschreitung von zulässigen Höchstgeschwindigkeiten, das Parken im absoluten Im Landkreis Ravensburg gibt es insgesamt 45 Feuerwehren: 38 kommunale Feuerwehren und sieben Werkfeuerwehren. Im vergangenen Jahr sind sie zu 2600 Einsätzen ausgerückt. Die Hälfte der Einsätze wurde mit Sondersignal (Blaulicht und Martinshorn) gefahren. Das heißt, dass es sich dabei um zeitkritische Einsätze handelte, darunter Brandeinsätze, Halteverbot oder das Fahren entgegen einer Einbahnstraße. Auch dürfen streng genommen rote Ampeln überfahren werden; zwingend zu beachten ist jedoch, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung stets gewährleistet werden muss. Andere Verkehrsteilnehmer dürfen nicht gefährdet werden.
Und was ist mit dem Einsatzfahrzeug erlaubt? Im Feuerwehrauto mit Blaulicht und Martinshorn gilt neben den Sonderrechten auch das Wegerecht. Das Wegerecht ist in der Straßenverkehrsordnung Paragraf 38 geregelt und besagt, dass andere Verkehrsteilnehmer auf die Seite müssen.
Haben private Fahrzeuge auch das Wegerecht? Nein. Das private Auto hat in der Regel weder Blaulicht noch Sondersignal. Verkehrsunfälle oder Gefahrguteinsätze. Im Stadtgebiet Ravensburg ist die Feuerwehr 400 Mal alarmiert worden. In 2016 haben sich laut Kreisbrandmeister Oliver Surbeck sechs Rettungskräfte während eines Einsatzes schwer verletzt. Zu Verkehrsunfällen bei der Anfahrt zum Einsatz komme es hingegen selten, so der Kreisbrandmeister. (jab) Das Wegerecht gilt hier deshalb nicht. Manchmal sieht man auf Privatautos gelbe Dachaufsetzer mit der Aufschrift „Feuerwehr im Einsatz“. Diese ersetzen aber weder Blaulicht noch Sondersignal. Das Schild ist eher ein Appell an andere Verkehrsteilnehmer, den Feuerwehrleuten freiwillig Platz zu machen.
Was können andere Verkehrsteilnehmer tun, um die Rettungskräfte zu unterstützen? Wichtig ist in jedem Fall, aus dem Weg zu gehen und eine Rettungsgasse zu bilden. Viele Zivilisten sind allerdings überfordert, sobald sie ein Einsatzfahrzeug hören oder sehen. Dabei dürfen sie auch über rote Ampeln fahren, um einen Rettungswagen durchzulassen. Ein großes Problem ist, dass die Autos immer massiver und schalldichter und die Bassanlagen immer lauter werden. Und manch einer ist durch sein Smartphone abgelenkt. Dann bemerkt man die Rettungsfahrzeuge natürlich nicht und reagiert leider auch nicht.
Eine ausführliche Version des Interviews finden Sie online unter www.schwaebische.de/ feuerwehr-sonderregeln. Dort steht auch, wie die Feuerwehrleute auf Verkehrssituationen vorbereitet werden und was passiert, wenn es zu einem Unfall kommt.