Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Die Energie reicht – zu Gold unter Brüdern
Schwedens Torhüter Henrik Lundqvist hält drei Penaltys und sichert somit auch Zwilling Joel den WM-Titel
KÖLN - Mit William Nylander hatte Henrik Lundqvist nicht gerechnet. Nicht so. William Nylander war nicht zu halten. Mitch Marners Penalty schon – Mitch Marners Penalty. Weltmeister! Eishockey-Weltmeister 2017! Arme und Kelle riss Henrik Lundqvist nach oben, sein Blick suchte die Ferne. Zu sehr war Schwedens Torhüter noch bei sich selbst, um Schwedens Topscorer rechtzeitig wahrzunehmen. William Nylander aber hatte Fahrt aufgenommen, hob ab, wollte Henrik Lundqvist in der Arme springen ... und checkte ihn letztlich zu Boden. Keiner verletzt, nette Episode – ein bemerkenswert rarer Moment zudem an diesem 21. Mai 2017, bei diesem 2:1 nach Penaltyschießen (0:0, 1:0, 0:1/1:0) über Kanada: Kaum einmal hatte Henrik Lundqvist bis dahin nicht die Kontrolle behalten. 42 Schüssen verwehrte der 35-Jährige den Weg ins Netz, dann den Penaltys von Nate MacKinnon, Brayden Point und (nach Pfostentreffer Ryan O’Reillys) eben Mitch Marner. Weltmeister-Trainer Rikard Grönborg: „Er gibt uns die Möglichkeit, solche Spiele zu gewinnen.“
Die Geschichte von seinem ersten Spiel erzählt Henrik Lundqvist noch immer dann und wann. Ein 0:12 war’s, in frühester Jugend. Die Gegentreffer sind weniger geworden seither für den Mann aus Åre, auch wenn die Stürmer zugelegt haben: Henrik Lundqvist hält für die New York Rangers übers Jahr, seit 2005. 870 Einsätze in der National Hockey League weisen seine Statistiken aus, darunter 71 Zu-Null-Spiele (Shutouts). Bei 24 792 Schüssen sah sich Henrik Lundqvist gefordert, 1982 nur ließ er passieren. Zahlen, die Rangers-Trainer Alain Vigneault einmal zum anerkennend-hübschen Wort vom „Monster im Tor“veranlasst haben.
Zwei Wochen ist es her, dass das Monster ziemlich frustriert war: Playoff-Aus gegen die Ottawa Senators, 2:4 in der Serie, Sommerpause! So enden, beschloss Henrik Lundqvist, sollte seine Saison nicht. „Ich habe ein paar Tage überlegt, ob ich noch genug Energie habe. Das ist so.“Und Flüge nach Köln gibt es hinreichend aus New York. Gründe, eine WM zu spielen, auch. Der wichtigste ist 35 Jahre alt, in Åre geboren und gleicht Henrik Lundqvist, wie sich nur eineiige Zwillinge gleichen können. Joel ist Stürmer – Mittelstürmer –, Kapitän der Frölunda Indians und der schwedischen Nationalmannschaft. Zwölf Jahre hat es den doppelten Lundqvist in einem Team nicht mehr gegeben; das erste Bully beim 4:2 über Dänemark vorvergangenen Sonntag war also „für uns beide ein ganz spezieller Moment“. 139 Sekunden später hieß es 1:0. Torschütze: Joel Lundqvist.
Eine Woche später hieß es: Weltmeister Schweden! Nach 60 vor allem taktisch hochinteressanten Minuten, nach einer Verlängerung mit offenem Visier. Nach drei parierten Penaltys. „Bleib ruhig!“, hatte sich Henrik Lundqvist gesagt, als Kanadas erster Schütze Nate MacKinnon anlief; „ziemlich entspannt“, bekannte Joel Lundqvist, sei er da gewesen. So unter Brüdern. Unter Zwillingsbrüdern.
„Es war einfach an der Zeit“Jetzt stemmten sie gemeinsam den WM-Pokal, bekamen sie gemeinsam Gold. Für Henrik Lundqvist war es eine Premiere; Olympiasieger ist er 2006 in Turin geworden, Silber hat er in Sotschi 2014 geholt. Höchste WMMeriten aber vereitelte 2003 und 2004? Kanada. Nun die Revanche. „Es war einfach an der Zeit.“Schöner Nebeneffekt: Joel Lundqvist, Weltmeister schon 2006 und 2013, hatte seinen Hattrick. Ein NHL-Intermezzo übrigens findet sich auch in seiner Vita. In 159 Partien stand er für die Dallas Stars auf dem Eis.
Henrik Lundqvist hat einen Vertrag bis 2021 in New York. Sieben Jahre Laufzeit, abgeschlossen im Dezember 2013. Gehaltsvolumen 59,5 Millionen Dollar, sprich: durchschnittliches Jahressalär 8,5 Millionen Dollar. Dafür haben die Rangers einen Schlussmann, der sie 2014 ins (gegen die LA Kings verlorene) Stanley-Cup-Finale geführt hat, der in keiner NHL-Saison eine Fangquote unter 91 Prozent aufwies. Gar überragende 94,57 Prozent waren es bei Henrik Lundqvists fünf WM-Auftritten in Köln und Paris. „Er ist“, sagte Rikard Grönborg am frühen Montag unwidersprochen, „natürlich einer der besten Goalies der Welt. Das hat man gerade wieder gesehen.“
Joel Lundqvist hat, ziemlich entspannt, ganz genau hingeschaut. William Nylander offenbar auch. Aus den Startlöchern.