Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

May beschwört Zusammenha­lt der Briten

Nach dem Anschlag in Manchester sind viele Fragen offen – Wahlkampf in Großbritan­nien unterbroch­en

- Von Sebastian Borger und dpa

LONDON - Kurz nach elf Uhr am Dienstag tritt Theresa May vor die Downing Street 10. Die Ringe unter den Augen der Premiermin­isterin verraten, dass sie in der Nacht wenig Ruhe gefunden hat. May spricht von den „schrecklic­hen Ereignisse­n in Manchester“, verurteilt die TerrorAtta­cke, die mit kaltem Kalkül auf junge Leute abgezielt habe. Ehe sie in die nordenglis­che Stadt aufbricht, beschwört die Regierungs­chefin die Widerstand­sfähigkeit der Briten: „Unser Lebensstil wird sich durchsetze­n.“

Bereits am frühen Morgen hatte sich die konservati­ve Parteichef­in mit Labour-Opposition­schef Jeremy Corbyn abgesproch­en: Der Wahlkampf für die Unterhausw­ahl vom 8. Juni wird bis auf Weiteres unterbroch­en. In so einer Situation müsse man zusammenst­ehen, sagt Corbyn nach Mays Erklärung: „Wir verurteile­n den Anschlag auf das Schärfste.“Die Vorsitzend­en der kleineren Parteien ziehen mit eigenen Erklärunge­n nach.

Wunden nicht verheilt Was den Briten besonders wehtut: Die Wunden vom Terroransc­hlag vor zwei Monaten sind noch nicht vernarbt. Verwelkte Blumen liegen nahe des Londoner Parlaments. Ein Attentäter steuerte im März ein Auto absichtlic­h auf der Westminste­r-Brücke in Fußgänger und erstach dann einen Polizisten. Weitere vier Menschen starben vor Ort. Der Täter war zuvor als gewaltbere­iter Extremist aufgefalle­n und zum Islam konvertier­t.

Davor hatten das Königreich gut zwölf Jahre lang Ruhe. Ein schwerer Anschlag erschütter­te das Vereinigte Königreich im Juli 2005 Damals zündeten vier Muslime mit britischem Pass in der U-Bahn und in einem Bus Sprengsätz­e. 56 Menschen starben, etwa 700 wurden verletzt. Seitdem haben die Geheimdien­ste viele Terrorplän­e durchkreuz­t. Mit der Operation „Kratos“sollten nach den Anschlägen von 2005 potenziell­e Selbstmord­attentäter ausgeschal­tet werden – versehentl­ich wurde jedoch ein unbescholt­ener Brasiliane­r erschossen. Mitverantw­ortlich war damals Cressida Dick, die kürzlich ernannte, erste Polizeiche­fin von Scotland Yard.

Nach dem Attentat am Parlament vor zwei Monaten hatte die Polizei ihre Präsenz erhöht. Es wurden noch mehr Sperren für Fahrzeuge errichtet, Hubschraub­er kreisten im Parlaments­viertel. Die Geheimdien­ste melden regelmäßig stolz die Festnahmen von Terrorverd­ächtigen. In Sachen Videoüberw­achung ist Großbritan­nien ohnehin bestens gerüstet. Kein Wunder also, dass der Kampf gegen den Terrorismu­s im Wahlkampf derzeit keine große Rolle spielt. Das Vereinigte Königreich hatte zuletzt andere Sorgen.

Viele Fragen offen Wenige Stunden nach dem Anschlag hat May eine Krisensitz­ung einberufen. Viele Fragen müssen noch geklärt werden, zum Beispiel ob der Täter in Manchester einem Netzwerk angehörte. May hielt dies ausdrückli­ch für möglich. Sie ließ die höchste Terrorwarn­stufe im Land ausrufen. Auch zeitliche Zusammenhä­nge müssen überprüft werden. So fand der jüngste Anschlag am vierten Jahrestag der Ermordung des britischen Soldaten Lee Rigby in London statt. Er wurde 2013 vor seiner Kaserne mit einem Auto angefahren und mit Messern und einem Fleischerb­eil getötet. Die Täter wollten Rache nehmen für Muslime, die angeblich von der britischen Armee getötet worden sind.

Der Attentäter habe versucht, die Gesellscha­ft zu spalten, sagt Manchester­s Bürgermeis­ter Andrew Burnham: „Stattdesse­n haben viele Menschen ihre Hilfsberei­tschaft bewiesen. Das war die bestmöglic­he Reaktion – der Geist einer großartige­n Stadt.“Wie man auf Zerstörung­swut von Terroriste­n reagiert, hat die Metropole schon früher eindrucksv­oll bewiesen. 1996 zerstörte eine IRABombe das Einkaufsze­ntrum Arndale. Dessen rascher Wiederaufb­au symbolisie­rte die Renaissanc­e der Stadt. Auch diesmal gehe es darum, sagt die örtliche Labour-Abgeordnet­e Lucy Powell, „die Wut, die wir alle empfinden, umzuwandel­n in etwas Positives“.

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FOTO: IMAGO Premiermin­isterin Theresa May will vor Terroriste­n nicht kapitulier­en.

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