Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Lindau plant ein Klein-Montmartre
Verwaltung weist Kunsthandwerkern auf der Hafenpromenade einen Bereich zu
LINDAU - Die Straßenkünstler an der Hafenpromenade braucht man künftig nicht mehr lange zu suchen. Die Stadtverwaltung hat sie alle an den Rüberplatz verwiesen. Einige der Künstler macht das wütend. Die Stadt dagegen verweist auf eine alte Satzung, die man bisher nicht umgesetzt habe. Zudem wolle man am Rüberplatz ein „Klein-Montmartre“einrichten, wie es Kulturamtsleiter Alexander Warmbrunn formulierte.
Wilfried Gottschalk hatte 20 Jahre lang einen Stand bei der Wiese am Café Graf. Er fertigt Airbrush-Tattoos, verkauft Stempel und Schmuck. Vor etwa sechs Wochen hätten Mitarbeiter der Stadtverwaltung ihm ein Schreiben ausgeteilt, in dem stand, dass seine Tätigkeit künftig reglementiert sei. „Wir dürfen keine Schirme mehr aufstellen und unser Stand darf nur noch zwei Quadratmeter groß sein“, erzählt er. An Ostern habe ihm dann ein Mitarbeiter der Stadtverwaltung „im Vorbeigehen“gesagt, dass er seinen Stand künftig nur noch am Rüberplatz aufstellen dürfe. „Die Art und Weise, wie mit uns umgegangen wird, stört mich“, erzählt Gottschalk. Ihm habe – auch auf Nachfrage – niemand erklärt, warum die Künstler ihre Stammplätze verlassen müssen. „Das hätte ich gerne schriftlich, damit ich dagegen vorgehen kann.“Denn die neue Lage seines Stands sei viel schlechter als die alte. „Wir müssen uns zwischen die Bäume quetschen, damit wir gesehen werden“, erzählt er.
Joachim Wegener sieht das ähnlich. Auch er arbeitet seit 20 Jahren als Straßenkünstler am Lindauer Hafen. Er verkauft Drahtfiguren und Tatoos. „Am Rüberplatz kommen viel weniger Leute vorbei“, sagt er. Darauf führt er zurück, dass er im Mai dieses Jahres nur etwa halb so viel verdient habe wie im vergangenen Jahr. „Meine Miete habe ich diesen Monat noch nicht bezahlt.“Außerdem störe ihn, dass die Stadt die Verlegung der Künstler so kurzfristig angekündigt habe. „Es ist unmenschlich, uns einfach wegzuschicken.“
Im jüngsten Kulturausschuss hatte Ulrike Lorenz-Meyer (BL) das Thema bereits angesprochen. Sie wollte wissen, warum die Verwaltung bei den Straßenkünstlern eingeschritten ist. Max Strauß (BL) ergänzte, dass ihn der Tonfall eines Schreibens störe, das ein städtischer Mitarbeiter an die Künstler geschickt habe. Da sollte der OB einschreiten. Das sei bereits passiert, erwiderte Ecker: „Aber wir befinden uns im öffentlichen Dienst ...“In der Sache verwies Ecker auf eine alte Satzung, die eigentlich schon seit Jahren manche Auswüchse verbiete. Allerdings habe die Stadt die Regeln bisher nicht durchgesetzt. Wie die Stadt nun härter gegen Straßenmusiker und Bettler vorgeht, gelte dies auch für die Straßenkünstler.
Manche angebliche Künstler sind in Wirklichkeit Verkäufer „Es gibt ganz renitente Händler“, berichtete der OB. Denn einige der angeblichen Künstler im Hafen seien in Wirklichkeit Verkäufer. Mancher biete gar keine selbst gefertigten Werke an. „Händler brauchen wir im Hafen keine“. Diese Tätigkeiten seien im Übrigen auch nicht von der Kunstfreiheit geschützt. Das gelte sogar für den Verkauf selbst hergestellter Werke.
Warmbrunn berichtete von regelmäßigen Beschwerden. Lindauer und Gäste fühlten sich von manchen Händlern am Hafen belästigt, wenn diese eher als Bettler aufgetreten seien. Zudem habe es unter den Händlern immer wieder Streit um die besten Plätze vor Löwe und Leuchtturm gegeben. „Das ist organisierte Bettelei und organisierter Kunsthandel.“Das sei schädlich für die Stadt.
Deshalb habe das Bauamt zum Saisonbeginn durchgegriffen. Man wolle die Künstler nicht mehr im ganzen Hafen verteilt, zumal dort Sonnenschirme und ähnliche Einrichtungen störend und deshalb seit Jahren verboten seien. Um sie nicht ganz zu vertreiben biete Lindau den Künstlern jetzt den Platz vor dem früheren Hauptzollamt, wo sie unter den Bäumen sogar Schatten finden. Davon erhofft sich Warmbrunn in Zukunft einiges: „Am Rüberplatz entsteht sowas wie ein Klein-Montmartre.“
Und es gibt auch Künstler, die sich mit diesem Klein-Montmartre durchaus anfreunden könnten. „Ich bin einfach dankbar, dass wir hier überhaupt ausstellen dürfen“, sagt Luciano Morera, der seit etwa fünf Jahren am Hafen Schmuck verkauft. „Vielleicht entsteht dort ja ein richtiger Kunstmarkt, das wäre toll.“