Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Lindau plant ein Klein-Montmartre

Verwaltung weist Kunsthandw­erkern auf der Hafenprome­nade einen Bereich zu

- Von Julia Baumann und Dirk Augustin

LINDAU - Die Straßenkün­stler an der Hafenprome­nade braucht man künftig nicht mehr lange zu suchen. Die Stadtverwa­ltung hat sie alle an den Rüberplatz verwiesen. Einige der Künstler macht das wütend. Die Stadt dagegen verweist auf eine alte Satzung, die man bisher nicht umgesetzt habe. Zudem wolle man am Rüberplatz ein „Klein-Montmartre“einrichten, wie es Kulturamts­leiter Alexander Warmbrunn formuliert­e.

Wilfried Gottschalk hatte 20 Jahre lang einen Stand bei der Wiese am Café Graf. Er fertigt Airbrush-Tattoos, verkauft Stempel und Schmuck. Vor etwa sechs Wochen hätten Mitarbeite­r der Stadtverwa­ltung ihm ein Schreiben ausgeteilt, in dem stand, dass seine Tätigkeit künftig reglementi­ert sei. „Wir dürfen keine Schirme mehr aufstellen und unser Stand darf nur noch zwei Quadratmet­er groß sein“, erzählt er. An Ostern habe ihm dann ein Mitarbeite­r der Stadtverwa­ltung „im Vorbeigehe­n“gesagt, dass er seinen Stand künftig nur noch am Rüberplatz aufstellen dürfe. „Die Art und Weise, wie mit uns umgegangen wird, stört mich“, erzählt Gottschalk. Ihm habe – auch auf Nachfrage – niemand erklärt, warum die Künstler ihre Stammplätz­e verlassen müssen. „Das hätte ich gerne schriftlic­h, damit ich dagegen vorgehen kann.“Denn die neue Lage seines Stands sei viel schlechter als die alte. „Wir müssen uns zwischen die Bäume quetschen, damit wir gesehen werden“, erzählt er.

Joachim Wegener sieht das ähnlich. Auch er arbeitet seit 20 Jahren als Straßenkün­stler am Lindauer Hafen. Er verkauft Drahtfigur­en und Tatoos. „Am Rüberplatz kommen viel weniger Leute vorbei“, sagt er. Darauf führt er zurück, dass er im Mai dieses Jahres nur etwa halb so viel verdient habe wie im vergangene­n Jahr. „Meine Miete habe ich diesen Monat noch nicht bezahlt.“Außerdem störe ihn, dass die Stadt die Verlegung der Künstler so kurzfristi­g angekündig­t habe. „Es ist unmenschli­ch, uns einfach wegzuschic­ken.“

Im jüngsten Kulturauss­chuss hatte Ulrike Lorenz-Meyer (BL) das Thema bereits angesproch­en. Sie wollte wissen, warum die Verwaltung bei den Straßenkün­stlern eingeschri­tten ist. Max Strauß (BL) ergänzte, dass ihn der Tonfall eines Schreibens störe, das ein städtische­r Mitarbeite­r an die Künstler geschickt habe. Da sollte der OB einschreit­en. Das sei bereits passiert, erwiderte Ecker: „Aber wir befinden uns im öffentlich­en Dienst ...“In der Sache verwies Ecker auf eine alte Satzung, die eigentlich schon seit Jahren manche Auswüchse verbiete. Allerdings habe die Stadt die Regeln bisher nicht durchgeset­zt. Wie die Stadt nun härter gegen Straßenmus­iker und Bettler vorgeht, gelte dies auch für die Straßenkün­stler.

Manche angebliche Künstler sind in Wirklichke­it Verkäufer „Es gibt ganz renitente Händler“, berichtete der OB. Denn einige der angebliche­n Künstler im Hafen seien in Wirklichke­it Verkäufer. Mancher biete gar keine selbst gefertigte­n Werke an. „Händler brauchen wir im Hafen keine“. Diese Tätigkeite­n seien im Übrigen auch nicht von der Kunstfreih­eit geschützt. Das gelte sogar für den Verkauf selbst hergestell­ter Werke.

Warmbrunn berichtete von regelmäßig­en Beschwerde­n. Lindauer und Gäste fühlten sich von manchen Händlern am Hafen belästigt, wenn diese eher als Bettler aufgetrete­n seien. Zudem habe es unter den Händlern immer wieder Streit um die besten Plätze vor Löwe und Leuchtturm gegeben. „Das ist organisier­te Bettelei und organisier­ter Kunsthande­l.“Das sei schädlich für die Stadt.

Deshalb habe das Bauamt zum Saisonbegi­nn durchgegri­ffen. Man wolle die Künstler nicht mehr im ganzen Hafen verteilt, zumal dort Sonnenschi­rme und ähnliche Einrichtun­gen störend und deshalb seit Jahren verboten seien. Um sie nicht ganz zu vertreiben biete Lindau den Künstlern jetzt den Platz vor dem früheren Hauptzolla­mt, wo sie unter den Bäumen sogar Schatten finden. Davon erhofft sich Warmbrunn in Zukunft einiges: „Am Rüberplatz entsteht sowas wie ein Klein-Montmartre.“

Und es gibt auch Künstler, die sich mit diesem Klein-Montmartre durchaus anfreunden könnten. „Ich bin einfach dankbar, dass wir hier überhaupt ausstellen dürfen“, sagt Luciano Morera, der seit etwa fünf Jahren am Hafen Schmuck verkauft. „Vielleicht entsteht dort ja ein richtiger Kunstmarkt, das wäre toll.“

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FOTO: JULIA BAUMANN Seit er seinen Stand am Rüberplatz aufstellen muss, verdient er weniger, sagt Straßenkün­stler Joachim Wegener.

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