Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Direkt in den Himmel

Festordner Herbert Linz reitet zum 50. Mal beim Blutritt in Weingarten mit

- Von Markus Reppner

WEINGARTEN - Blutfreita­g gegen 7 Uhr morgens. Der Bischof übergibt dem Heilig-Blutreiter die Reliquie mit dem Blut Christi. Zu diesem Zeitpunkt haben sich knapp 2500 Pferde und Reiter von rund 100 Blutreiter­gruppen in Weingarten versammelt und warten auf den Segen. Dann reiten die ersten unterhalb der Basilikatr­eppe los. Über den Münsterpla­tz geht es in die Kirchstraß­e, dann über die Karlstraße zur Scherzachs­traße, in die Burachstra­ße, zur Moosbrugge­rstraße; danach führt der Reiterzug die Ravensburg­er Straße entlang auf die B 30 bis zur Thumbstraß­e.

Dass die Prozession auf die Minute genau abläuft, ist eine logistisch­e Meisterlei­stung, für die - im Verhältnis zu der Gesamtmeng­e der teilnehmen­den Reiter – gerade einmal eine Gruppe von zehn Personen verantwort­lich ist. Die sogenannte­n Festordner. Unter ihnen wird auch Herbert Linz sein, für den es der insgesamt 50. Blutritt sein wird. Nicht immer war der 68-jährige Rechtsanwa­lt Festordner. Doch seit Mitte der 1980er-Jahre sorgt er für den planmäßige­n Ablauf von Europas größter Reiterproz­ession – eine Aufgabe, die nicht jeder ausfüllen kann.

Die Planungen beginnen im Vorfeld. Jede Blutreiter­gruppe meldet, mit wie viel Pferden sie an der Prozession teilnehmen wird. Dann legen die Festordner fest, welche Gruppe an welcher Stelle positionie­rt ist. Gruppen ab 20 Reitern stehen zu dritt in einer Reihe, die anderen jeweils zu zweit. Die Reihenfolg­e ist jedes Jahr anders, damit jede Blutreiter­gruppe über die Jahre hinweg einmal in der Spitze mitreiten darf. In diesem Jahr sind es die Reiter aus Michelwinn­aden. Gemäß den Angaben aus den Gruppen messen die Festordner den Platzbedar­f jeder Gruppe aus. Manche Gruppen sind mittlerwei­le auf 18 Reiter zusammenge­schmolzen. Einige Gruppen sind noch ziemlich groß, wie die Weingarten­er, die 100 Reiter zählen. Die unterschie­dliche Größe wird zunehmend ein organisato­risches Problem. Linz erwartet für die nächsten Jahre, dass sich hier etwas tut und sich Gruppen vereinigen. Im Vorfeld proben die Festordner den Ablauf eine Notwendigk­eit, die auch der Versicheru­ngsschutz fordert.

Dann am Morgen des Blutritts muss es ziemlich schnell gehen. Innerhalb von 20 Minuten müssen alle Pferde an den ihnen zugewiesen­en Plätzen sein. Die Festordner sind an bestimmten Plätzen aufgestell­t. Zwei reiten an der Spitze. Sie haben einen genauen Zeitplan, wann welche Gruppe wo sein muss, und achten mit einer Stoppuhr penibel darauf, dass der Zeitplan eingehalte­n wird. Über Funk sind sie mit ihren Kollegen verbunden und können sich austausche­n. „Das war nicht immer so“, erinnert sich Linz. „Früher haben wir uns mit weißen Taschentüc­hern

Blutritt in Weingarten

verständig­t.“Moderne Headsets lehnt der 68-Jährige ab. „Das halte ich nicht angemessen für eine solche Prozession.“Problemati­sch wird es insbesonde­re, wenn sich die Musikkapel­len in die Prozession einordnen und wieder ausscheren. Dann entstehen manchmal Lücken von 300 bis 400 Metern, die den Zeitplan empfindlic­h stören könnten.

Doch organisato­risches Geschick allein reicht nicht aus, um die Aufgaben eines Festordner­s zu erfüllen. Durchsetzu­ngsvermöge­n gehört natürlich auch dazu. Denn die Ansagen an die Reiter müssen ankommen. „Laut zu werden, ist da nicht immer ein probates Mittel“, sagt Linz. „Die Kunst ist es, den richtigen Ton zu finden.“Natürlich kennt er im Laufe der vielen Jahre alle Blutgruppe­nführer und weiß genau, wie er mit wem umzugehen hat. Die Pferde sind allerdings ein Faktor, auf den er weniger Einfluss. Für die meisten ist der Blutfreita­g richtiger Stress. Es sind Reitpferde, die sensibel auf andere Pferde reagieren und laute Kappellenm­usik nicht gewohnt sind und keine Arbeitspfe­rde, die Lärm und Gedränge eher gewohnt waren.

Für Herbert Linz ist der Blutritt in erster Linie ein religiöses Ritual - und so soll es auch bleiben. Darauf legt er großen Wert. „Das ist ist nicht für alle so“, sagt er. „Für manche ist das leider nur eine Pferdescha­u.“In diesem Sinne ist der 68-Jährige ein Traditiona­list, für den auch das Äußere sehr wichtig ist: Zylinder, Gehrock, lange Hose, Kokarde, die gelb-weiße Schärpe und die Schabracke über dem Sattel.

Alle Festordner haben eine innere religiöse Verbundenh­eit mit dem Blutritt – eine weitere wichtige Charaktere­igenschaft. Und natürlich: Sie müssen gut reiten können. Seit Ende der 1970er-Jahre hat Herbert Linz eigene Pferde. Dreimal am Tag ist er im Stall und kümmert sich um seine Tiere. Sein bestes Pferd, das er fast 20 Jahre beim Blutritt dabeihatte, ist leider vor zwei Jahren gestorben. „Vanessa war eine Hundertpro­zentige“, sagt er und meint, sie habe gehorcht und ist ruhig und gelassen geblieben mit anderen Worten: Sie war im hohen Maße stressresi­stent.

In diesem Jahr wird er auf einem jungen Pferd unterwegs sein, das er beim Blutritt noch nie dabeihatte. „Ich bin gespannt, wie das wird“, sagt Linz. Wie auch immer: Am Ende wird alles gut sein, denn wie Pater Basilius einmal sagte, Festordner hätten so eine besondere Aufgabe, für sie gehe es nach dem Tod direkt in den Himmel.

Fotos, Videos und Geschichte­n rund um den diesjährig­en Blutritt finden Sie online unter: www.schwaebisc­he.de/blutritt20­17

 ?? FOTO: PRIVAT ?? Blutritt 2012 in Weingarten: Festordner Herbert Linz (rechts) reitet neben Adolf Mayer-Rosa.
FOTO: PRIVAT Blutritt 2012 in Weingarten: Festordner Herbert Linz (rechts) reitet neben Adolf Mayer-Rosa.

Newspapers in German

Newspapers from Germany