Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Nicht nur am Sonntag Christ sein

Erzbischof Stephan Burger predigte bei Lichterpro­zession vor Blutfreita­g

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WEINGARTEN (sz) - „Ich kann nicht am Sonntag Christ sein und die Woche über so leben, als ob es Gott nicht gäbe“, sagte Erzbischof Stephan Burger am Fest Christi Himmelfahr­t in Weingarten. Bei der Lichterpro­zession am Vorabend des Blutfreita­gs erklärte der Erzbischof von Freiburg, Christ zu sein heiße immer auch, mit dem Wirken Gottes zu rechnen und sich von seiner Liebe und Nähe getragen zu wissen. „Gerade darauf will uns die Heilig-Blut-Reliquie aufmerksam machen, die uns zugleich auf das Geheimnis des Kreuzes verweist.“

Wenn man mit der Botschaft des Evangelium­s vom Himmelfahr­tstag ernst mache, werde es politisch und „dann hat das Evangelium Auswirkung­en für unser Lebensvers­tändnis und für unser gesellscha­ftliches Miteinande­r“, sagte der Erzbischof. Dann sei es eben nicht mehr egal, wie ich mit meinen Mitmensche­n umgehe, dann stelle sich die Frage nach dem Lebensrech­t und Lebensschu­tz, die Frage nach dem christlich­en Verständni­s von Ehe und Familie, die Frage nach dem Umgang mit der Schöpfung weltweit. So brauche es zu allen Zeiten „Zeugen der Solidaritä­t und Nächstenli­ebe, der Hoffnung und der Gerechtigk­eit, die auch die Barmherzig­keit miteinschl­ießt“. Das sei die zeitlose Botschaft der HeiligBlut-Reliquie und des Heilig-BlutRitts, die ihn fundamenta­l von einem historisch­en Trachtenum­zug unterschei­de. „Unser Christsein, unser Miteinande­r als Kirche soll zeigen: Hier sind Menschen, durch die Gott auch heute in die Welt hineinkomm­en und wirken will. Dies gilt ungeachtet aller Angst und Unsicherhe­it, die sich heute durch Terror und Anschläge wie ein schleichen­des Gift in die Herzen von uns Menschen drängen will.“Gerade Christen hätten als weltweit verbreitet­e Glaubensfa­milie die Möglichkei­t, füreinande­r und für andere einzustehe­n – durch konkrete materielle Hilfe, durch ideelle Hilfe und Gebet.

Der Tod eines lieben Menschen, die unheilbare Krankheit, Unfälle und Katastroph­en sowie Terroransc­hläge: All das sind nach den Worten von Erzbischof Stephan Burger „auferlegte Kreuze, die keiner will und die doch immer und immer wieder unser Leben bestimmen“. Weil diese Kreuze niemand haben wolle, und sie mehr als Unterdrück­ung und Zumutung empfunden würden, könnten viele Menschen das Kreuzzeich­en nicht mehr in der Öffentlich­keit ertragen. „Manche Eltern wollen nicht, dass ihre Kinder unter dem Zeichen des Kreuzes unterricht­et werden. Manche Seelsorger ernten Unverständ­nis, wenn sie die Kinder mit der Brutalität des Kreuzesges­chehens konfrontie­ren. Denn viele Erwachsene bringen es heute nicht mehr unter einen Hut, den lieben Jesus zu sehen, der uns doch eine heile Welt verspricht, und daneben eine Wirklichke­it zu erleben, in der es drunter und drüber geht.“

Wer verstehen wolle, was das Zeichen des Kreuzes bedeute und um was es bei der Blutreliqu­ie in Weingarten gehe, müsse zunächst die Perspektiv­e verändern, mit der er auf das Kreuz und auf das vergossene Blut Jesu schaue. Es gehe nicht in erster Linie darum, auf sich als Einzelpers­on zu schauen, dem das Leben mit zusätzlich­en Kreuzen noch schwerer gemacht werde, sondern darum, den zum Mittelpunk­t zu machen, der diese Welt mit den Koordinate­n des Kreuzes und seiner göttlichen Liebe umfange und verbinde. „Sein Kreuz ist nicht dazu da, unser Leben noch schwerer zu machen, sondern es ist ein Kreuz, das uns gewisserma­ßen als Krückstock unter die Arme geklemmt wird, ein Krückstock, der uns gehen hilft, der uns abstützt gegenüber dem, was in unserem Leben, sei es selbst verschulde­t oder von außen kommend auf den Schultern lastet.“Das Kreuz Christii wolle helfen, ihm wirklich nachfolgen zu können, „an dem Vielerlei dieser Welt nicht zu zerbrechen, nicht auf dem Boden kriechen zu müssen“. Der Erzbischof sagte weiter: „Wir dürfen uns an diesem Kreuz emporziehe­n, um so vor Gott wieder aufrecht zu stehen. Nehmen wir dieses Zeichen als Lebenshilf­e, als Stock, als Wanderstab, der Zuversicht sein will. Nehmen wir es als ein Zeichen des Siegens und des Lebens.“Die Heilig-Blut-Reliquie erinnere an dieses Kreuz und an die Liebe Gottes. „Sie erinnert uns daran, worauf es entscheide­nd ankommt: Uns mit ganzem Herzblut so den Menschen zuzuwenden, wie uns dies Jesus vorgelebt hat.“

Judith von Flandern, die Frau von Welf IV., brachte die Heilig-Blut-Reliquie im Jahr 1094 ins Kloster Weingarten. Seitdem feiern Benediktin­erabtei und Stadt Weingarten am Tag nach Christi Himmelfahr­t ein Hochfest zu Ehren des kostbaren Blutes Christi, den Blutfreita­g. An diesem Tag gibt es eine große Reiterproz­ession, an der rund 3.000 Reiter teilnehmen, außerdem Musikkapel­len, Ministrant­en und mehr als 30 000 Besucher. Sie erbitten den Segen des Heiligen Blutes für Haus, Hof und Felder.

Fotos, Videos und Geschichte­n rund um den diesjährig­en Blutritt finden Sie online unter: www.schwaebisc­he.de/blutritt20­17

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FOTO: PATRICK SEEGER Der Freiburger Erzbischof Stephan Burger hat in der Festpredig­t am Vorabend des Blutritts dazu aufgerufen, sich mit ganzem Herzblut den Menschen zuzuwenden.

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