Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Ein Kessel Buntes
Aerosmith locken 22 500 Fans auf den Münchner Königsplatz
MÜNCHEN - Konnte ja wirklich keiner ahnen, damals, als sich Steven Tyler und Joe Perry im Urlaubsörtchen Sunapee in New Hampshire erstmals über den Weg gelaufen sind. Jetzt steht auf der Homepage ihrer gemeinsamen Band Aerosmith die Nachricht, dass die beiden am selben Tag, am 10. Mai, Großvater geworden sind. Man teilt sich halt fast alles. Seit bald 50 Jahren nun ist das Leben der beiden Kumpels (Toxic Twins) ähnlich verknüpft wie das ihrer englischen Vorgänger Mick Jagger und Keith Richards (Glimmer Twins) von den Rolling Stones, als deren US-amerikanische Entsprechung Aerosmith vielen gilt.
Seit die Hardrocker aus Boston 1973 ihren Erstling veröffentlicht haben, sind 150 Millionen ihrer Scheiben über die Ladentische gegangen. Über mehr als vier Jahrzehnte verteilt hat Amerikas größte Rock’n’Roll-Band 15 Studioalben veröffentlicht. Ein paar davon zählen zum Besten, was das Genre hervorgebracht hat: „Get Your Wings“, „Toys in The Attic“und „Rocks“– allesamt aus der hochproduktiven, kreativen Anfangsphase der Band in den 1970er-Jahren. Nach privaten und künstlerischen Problemen in den frühen 80er-Jahren, als Perry und der zweite Gitarrist Brad Whitford sich für einige Jahre verabschiedeten, schafften es Aerosmith, sich eine zweite Karriere mit neuen, jüngeren Fans aufzubauen. Mit einem weniger kompromisslosen, weichgespülten Sound, der den Fünfen weltweiten kommerziellen Erfolg bescherte: mehrere Grammys, die Aufnahme in die Rock’n’RollHall-of-Fame und sogar ein eigenes „Guitar Hero“-Spiel für die Konsolen. Auf dem 93er-Album „Get A Grip“fanden sich gleich drei Balladen, die die Hitparaden stürmten: „Cryin’“, „Crazy“und „Amazing“. Getoppt wurde das Ganze noch von „I Don’t Wanna Miss A Thing“aus dem Hollywoodfilm „Armageddon“, dem einzigen Nummer-1-Hit von Aerosmith.
Mit dem musikalischen Ursprung der Band hat das nicht mehr so viel zu tun, und das machte sich am Freitagabend auch auf dem Königsplatz bemerkbar. Von der unbändigen Kraft und Wucht früherer Konzerte ist nur noch wenig übrig. Auf der 40-jährigen Strecke zwischen exzessivem Drogenkonsum, MainstreamBalladen und kommerziellem Erfolg hat sich der Schwerpunkt verlagert, die Stringenz ist verloren gegangen. Die 90-minütige Show möchte allen etwas bieten aus den vielen erfolgreichen Jahren, und so vereinen sich Songs aus guten und weniger guten Tagen zu einer leichtgewichtigen Musikrevue, der ein paar alte Kracher wie „Mama Kin“, „Same Old Song and Dance“, „Lord of the Thighs“oder „Back in The Saddle“Gewicht verliehen hätten.
Dass das Beste zum Schluss kommt, ist altbekannte Praxis. Aber die künstlerische Potenz und Stringenz von Genre-Klassikern wie „Dream on“und „Walk This Way“, mit der Aerosmith sein Publikum nach 18 Songs in die Nacht entlässt, hätte dem Konzert von Anfang an einen anderen Schwung verpassen können als der zähe Mittelmaß-Auftakt mit „Let The Music Do The Talking“und „Young Love“.
Alles eine Spur zuviel Aber Aerosmith möchten zeigen, was sie alles draufhaben, und so gibt es sogar einen blueslastigen Mittelteil mit zwei Stücken der alten Fleetwood Mac. Das ist gut gemeint, aber alles eine Spur zu viel. Hier ein wenig Klaviergeklimper, da eine wummernde Orgel, ein überflüssiges Solo oder extravagante Stimmproben Tylers: Die Musik wirkt überladen. Da greift nicht ein Rädchen ins andere zum Wohl des Kollektivs, sondern es drängt sich zuweilen der Eindruck auf, dass einer den andern übertrumpfen möchte. Der einst pure Adrenalinrock der Band ist zugekleistert wie panierter Fisch.
Die beliebige Lightshow tut ein Übriges. Weil Aerosmith trotz der Stadiondimensionen des Königsplatzes auf seitliche Videowände verzichten, ist das Publikum im Rückraum auf die zentrale Videoübertragung im Bühnenhintergrund angewiesen. Vor dem aber tanzen unablässig wie beim Kindergeburtstag die vielen, vielen bunten Lichter der Scheinwerfer und behindern die Sicht.
Bei ihrer Vorband Foreigner hätten Aerosmith studieren können, wie wenig es braucht, um gute Musik gut rüberzubringen. Mick Jones, einziger Überlebender der Urbesetzung, hält alle Fäden zusammen und dirigiert seine hochprofessionelle Band souverän durch die 70 Minuten, die ausschließlich mit Hochkarätern bestritten werden. Wer sich von der Klasse der Band überzeugen möchte, hat dazu bald Gelegenheit: Am 6. Juli spielen Foreigner in Salem am Bodensee.