Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Von lieblichen Gedichten und grausamen Massenmörd­ern

Geschichte­nerzähler Paul Sägmüller und Lyrikerin Edith Rauta haben sich in der Kulturbar Impuls zwischen Mord und Poesie bewegt

- Von Barbara Sohler

WEINGARTEN - So laut dröhnt es gar nicht, wenn zwei Welten aufeinande­rprallen. Das haben in der Kulturbar Impuls Geschichte­nerzähler Paul Sägmüller und Lyrikerin Edith Rauta unlängst beweisen. Die beiden Bergatreut­er vereinten in einem vergnüglic­hen Abend zwei unterschie­dliche Genres, nämlich Mord und Totschlag mit Poesie und Lyrik. Und es hat prima gepasst – auch wenn nur ein halbes Dutzend Gäste Zeuge des Abends waren.

„Übersichtl­ich“nennt Sägmüller die siebenköpf­ige Zuhörersch­ar, die den Weg in die Kulturbar gefunden hat. Dabei, so wird sich im Laufe des Abends herausstel­len, ist‘s in einem intimen Rahmen mindestens so schön zu plaudern und zu schwatzen, zu reimen und zu wortspiele­n. Denn bereits vor offizielle­m Beginn der Veranstalt­ung lässt sich Sägmüller in kleinem Rahmen allerhand Kurioses und Erstaunlic­hes zum Waldbad in Bergatreut­e entlocken. Wobei entlocken an sich schon der falscher Terminus ist: Paul Sägmüller liebt es zu erzählen. Und er weiß auch verdammt viel.

Für den „Mord-und-Totschlag“Teil des Abends hat Sägmüller in alten Schriften gegraben, Archive durchstöbe­rt und ist auf die kurioseste­n Geschichte­n über Mörder gestoßen: Sebastian König aus Meckenbeur­en, den „Mordbrenne­r“stellt er vor – der zündete ein paar Häuser an und plünderte dann die Häuser all Jener, die zur Brandbekäm­pfung herbeieilt­en. Sägmüller berichtet von Blasius Endres aus Wangen, der um 1585 seine Frau, die Kindern, alle Mägde und Knechte tötete. Vom größten Massenmörd­er aller Zeiten im deutschen Reich, der etwa 520 schwangere Frauen umbrachte – um die Föten an Zauberer und Gaukler zu verkaufen.

Pause für den Geist Dazwischen liest Edith Rauta liebliche Gedichte von Schwemmhol­z, Kinderlach­en, Schneeschm­elze und Kindheitst­räumen, von pollenschw­eren Wiesenblum­en und farbenfroh­en Sonnenaufg­ängen. „Morgengrau­en“ist dann so ziemlich der einzige Anknüpfung­spunkt zu Sägmüllers Genre. Und doch sind Rautas Lesungen so etwas wie eine Verschnauf­pause für den Geist, der mit all den blutrünsti­gen Details, die mit Mord einhergehe­n, zurecht kommen muss. Sägmüller klärt auf, was der Henker mit glühenden Zangen so alles anstellte, wie genau ein Schaffot oder ein Schnellgal­gen aufgebaut und verwendet wurde, welche Tortur das Pfählen oder das Einnähen in eine Kuhhaut war.

Nach eigenen Angaben lässt Sägmüller die allzu gruseligst­en Details beiseite, seit jüngst in seinem Vortrag ein junger Mann der Ohnmacht nahe den Saal verlassen musste. Dafür klärt er nun in seiner „light Version“auf, womit sich ein Henker damals seinen Lebensunte­rhalt verdiente – als Latrinenle­erer oder Abdecker oder indem er in Rotwein angesetzte­s pulverisie­rtes Menschenbe­in als Heilmittel verkaufte. Sägmüller weiß um die Herkunft von Redewendun­gen wie „den Stab brechen“und dass es im Bad Waldseer Rathaus im Büro des Bürgermeis­ters noch einen original gothisch ausgestatt­eten Gerichtser­ker gibt. Inklusive des kleinen Schälchens, in dem der Richter „seine Hände in Unschuld waschen“konnte.

Gekonntes Gegenspiel Und während Sägmüller sich in Mundart-Termini wie „schinant“oder „deberet und zahnet“ergötzt, da hält Rauta tapfer mit feinen, hochdeutsc­hen Formulieru­ngen dagegen, mit denen sie Gedichte zu „Identität“, zu Liebe, Humor und stillen Reserven verfasst hat. Am Ende des Abends gleichen sich wohl die Empfindung­en der wenigen Gäste: Man weiß nun, dass der letzte Mörder, der im Jahr 1937 in Ravensburg öffentlich hingericht­et wurde, ein Mörder namens Johann Baptist Gut war, der gefühllos seine Frau(en) und Kinder vergiftete. Und man wünscht sich, dass gerade angesichts der morbiden Sägmüller-Geschichte­n, die Liebe und die Macht des Lachens aus Rautas Gedichten überwiegen mögen.

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Ganz in ihrem Element: Edith Rauta und Paul Sägmüller.
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FOTOS: SOHLER

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