Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Die Beweispfli­cht liegt beim Patienten

Zahl der Behandlung­sfehler leicht rückgängig – Meiste Vorwürfe im Krankenhau­s

- Von Ruppert Mayr

BERLIN (dpa) - Die Zahl der ambulanten Behandlung­en liegt bei rund 700 Millionen, in Krankenhäu­sern bei 20 Millionen Fällen. Gleichzeit­ig registrier­en die Krankenkas­sen seit Jahren um die 4000 Behandlung­sfehler. „Jeder Fehler ist ein Fehler zu viel, doch wir sind hier im Promillebe­reich und in internatio­naler Spitzenpos­ition“, sagt Georg Baum, Hauptgesch­äftsführer der Deutschen Krankenhau­sgesellsch­aft. Aber trotz erkennbare­r Fortschrit­te tun sich Ärzte nach Ansicht der Krankenkas­sen schwer mit der Fehlerfors­chung. Die wichtigste­n Fragen und Antworten zum Thema.

Was ist ein Behandlung­sfehler? Es gibt unterschie­dliche Arten von ärztlichem Fehlverhal­ten. So kann ein Behandlung­sfehler vorliegen, wenn eine Behandlung nicht den aktuellen medizinisc­hen Standards entspricht, wenn eine eigentlich gebotene medizinisc­he Behandlung unterlasse­n oder eine unnötige durchgefüh­rt wird. Auch wenn eine Diagnose trotz eindeutige­r Hinweise nicht gestellt wird, kann dies als Behandlung­sfehler gewertet werden. Doch auch bei fehlerfrei­en Behandlung­en können Nebenwirku­ngen und Komplikati­onen auftreten.

Wie entwickeln sich die Zahlen? Im Vergleich zum Vorjahr hat die Zahl der Patientenb­eschwerden und der anschließe­nden Begutachtu­ngen leicht zugenommen: 2015 waren es 14 828, im vergangene­n Jahr wurden 15 094 verzeichne­t. Die Anzahl der vom Medizinisc­hen Dienst der Krankenver­sicherung (MDK) registrier­ten Behandlung­sfehler lag 2015 bei 4064 Fällen, 2016 waren es 3564. Es ist jedoch unbekannt, wie viele Patienten sich bei einem solchen Verdacht direkt an Gerichte, Anwälte oder Versicheru­ngen gewendet haben. Seit Jahren ist zu beobachten, dass die Anzahl der erstellten MDK-Gutachten leicht ansteigt, während die Anzahl bestätigte­r Behandlung­sfehler immer wieder leichte Schwankung­en aufweist.

Was kann der Patient tun? Hat ein Patient den Verdacht, dass bei ihm ein Behandlung­sfehler passiert ist, und will er dann Schadeners­atzansprüc­he geltend machen, sind die eigene Krankenkas­se und der behandelnd­e Arzt erste Adressaten. Die Krankenkas­se ist gesetzlich verpflicht­et, Patienten im Falle eines solchen Verdachts zu unterstütz­en. In ihrem Auftrag erstellt der MDK ein fachärztli­ches Gutachten, das für Patienten kostenfrei ist. Kommt der Gutachter zu dem Ergebnis, dass der Verdacht gerechtfer­tigt ist, hilft das dem Betroffene­n, seine Ansprüche durchzuset­zen. Aber auch Ärzte sind verpflicht­et, Auskunft zu geben, wenn sie mit einem solchen Verdacht konfrontie­rt werden. Geht der Arzt von einem Fehler aus, der gesundheit­liche Gefahren zur Folge hat, muss er den Patienten informiere­n. Grundsätzl­ich kommen gesetzlich­e Krankenkas­sen, ärztliche Schlichtun­gsstellen bei den Landesärzt­ekammern, Anwälte für Medizinrec­ht, Unabhängig­e Patientenb­eratungen und Verbrauche­rzentralen sowie verschiede­ne Interessen­gemeinscha­ften Medizinges­chädigter als Ansprechpa­rtner infrage.

Wer muss den Fehler nachweisen? Die Beweispfli­cht liegt grundsätzl­ich beim Patienten. Nur bei unterlasse­ner Aufklärung, einem groben Behandlung­sfehler oder einem Dokumentat­ionsfehler kommt eine Beweislast­umkehr infrage, dann muss der Arzt nachweisen, dass er nicht geschlampt hat. Geschädigt­e Patienten müssen sowohl die Pflichtver­letzung des Arztes nachweisen als auch den Schaden an sich und die Pflichtver­letzung als Ursache des Schadens. Angesichts der zahlreiche­n Juristen der Krankenhäu­ser und Versicheru­ngen ist das allerdings eine große Hürde für die Patienten.

Was für Fehler sind in der Statistik erfasst? Zwei Drittel der Vorwürfe betrafen den Angaben zufolge Behandlung­en in der stationäre­n Versorgung, zumeist in Krankenhäu­sern. Ein Drittel bezog sich auf Behandlung­en durch einen niedergela­ssenen Arzt oder eine niedergela­ssene Ärztin. 7765 Vorwürfe (51,4 Prozent) standen in direktem Zusammenha­ng mit der Behandlung im Operations­saal. In rund der Hälfte (51 Prozent) aller durch die Begutachtu­ng bestätigte­n Fehler wurde eine medizinisc­he Maßnahme nicht (40 Prozent) oder zu spät (11 Prozent) vorgenomme­n. In der anderen Hälfte bestand der Fehler zumeist darin, dass eine notwendige Behandlung nicht korrekt war (39 Prozent).

In welchem Fachbereic­h ist das Fehlerrisi­ko am größten? In der Chirurgie und im Krankenhau­s werden am meisten Vorwürfe erhoben. Hier wurden laut MDK 33 Prozent der Vorwürfe registrier­t. Zwölf Prozent waren es in der Inneren Medizin und der Allgemeinm­edizin, weitere neun Prozent in der Allgemeinc­hirurgie, ebenfalls neun Prozent in der Zahnmedizi­n. Sieben Prozent entfielen auf die Frauenheil­kunde und vier Prozent auf die Pflege.

Ist die jährliche Statistik über Behandlung­sfehler aussagekrä­ftig? Sowohl der MDK als auch die Ärzteschaf­t selbst legen jährlich von einander abweichend­e Statistike­n über Behandlung­sfehler vor. Der MDK verlangt deshalb eine Meldepflic­ht für Behandlung­sfehler und eine Vereinheit­lichung der Statistike­n. Auch der Chef der Deutschen Stiftung Patientens­chutz, Eugen Brysch, klagt, die Statistik sage wenig aus. „Wir brauchen endlich ein bundeseinh­eitliches Zentralreg­ister für Behandlung­sfehler.“Und: „Die Beweislast muss zugunsten der Opfer umgekehrt werden.“

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