Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Die letzten Tage der DDR
Matti Geschonneck macht aus Eugen Ruges Bestseller „In Zeiten des abnehmenden Lichts“eine Tragikomödie
RAVENSBURG - Der Roman „In Zeiten des abnehmenden Lichts“von Eugen Ruge aus dem Jahr 2011 ist ein Abgesang auf die DDR. Regisseur Matti Geschonneck hat aus diesem großen Werk eine Geschichte herausgefiltert und erzählt eine Tragikomödie vor dem Hintergrund der sterbenden DDR.
Ruges teils autobiographischer Roman, 2011 ein Bestseller und vielfach preisgekrönt, ist eine große Montage. Der Autor erzählt eine umfassende Familienhistorie über vier Generationen hinweg. Wer das Buch gelesen hat und jetzt den Film sieht, wird möglicherweise enttäuscht sein. Von den zahlreichen Episoden ist exakt eine übrig geblieben, die Handlung konzentriert sich auf den 1. Oktober 1989. Eine Familienfeier an einem Tag im Herbst, von dem sich später herausstellen wird, dass es einer der letzten Tage der DDR war.
Zerfall eines Staates Aus dieser vermeintlichen Schwäche der umfassenden Streichung und Reduzierung zieht der Film seine Stärke. Der Tag ist der 90. Geburtstag Wilhelm Powileits (Bruno Ganz), hochdekoriertes SED-Mitglied, Urgestein des ostdeutschen Staates, Patriarch der Familie. Neben den Verwandten rücken sie alle an, die Nachbarn, die Genossen, die Vertreter des Staates, der bereits in Agonie liegt – was manche ahnen, andere verdrängen, wieder andere wissen. Es fehlt Powileits Enkel, Sascha, der sich bereits in den Westen abgesetzt hat. Das darf offiziell niemand wissen, vor allem Wilhelm nicht. Aus der Feier mit ihren wenigen glücklichen Momenten und ihren Peinlichkeiten wird eine Art Totentanz.
Der Zuschauer erlebt den Zerfall einer Familie, die auf ihre Art durchaus großbürgerlich ist; schon der Roman wurde häufig mit „Buddenbrooks“verglichen.
In der Geburtstagsfeier zerfällt aber nicht nur eine Familie, sondern auch im Kleinen ein Staat, der seine Lehren aus der Nazizeit ziehen wollte und eine Spießbürgerhölle wurde. Vieles an diesem Tag ist symbolisch, allen voran der alte, große Tisch, auf dem Büfett mit Würstchen und Salaten aufgebaut ist und der bald zusammenbrechen wird – Wilhelm hatte ihn dilettantisch aufgebaut und vernagelt.
Hinter dem überzeugenden Schauspieler-Ensemble dieses Kammerspiels stehen zwei erfahrene Männer, die die DDR noch aus eigener Erfahrung kennen: Regisseur ist Matti Geschonneck („Boxhagener Platz“), der sein Heimatland 1978 nach der Biermann-Ausbürgerung verlassen hat, und vor allem Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase, der so unnachahmliche Dialoge schreiben kann.
Kohlhaase („Solo Sunny“, „Die Stille nach dem Schuss“, „Sommer vorm Balkon“) destilliert aus Ruges ausschweifendem Roman eine Episode, die sich auf einen Ort konzentriert, jenes gediegene Haus in einem der nobleren Viertel Ostberlins, wo die besseren Sozialisten und ihre Lebenslügen wohnen. Das trägt zeitweise auch unfreiwillig komische Züge, wenn diese bemühten Uniformträger, diese Stasioffziere ihre traurigen Pflicht-Blumensträuße überreichen und die Realität so nachdrücklich ausblenden.
Der schon leicht senile Wilhelm Powileit ist da schon weiter: „Das wird mein letzter Geburtstag!“– und er meint nicht nur seinen eigenen.
In Zeiten des abnehmenden Lichts. Regie: Matti Geschonneck. Mit Bruno Ganz, Sylvester Groth, Gabriela Maria Schmeide, Hildegard Schmahl, Alexander Fehling. Deutschland 2017. 101 Minuten. Ohne Altersbeschränkung.