Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Kommunaler Kraftakt in schwierige­r Zeit

Schon einmal wurde das Historisch­e Ravensburg­er Rathaus umgebaut – in den Jahren 1929/30

- Von Alfred Lutz

RAVENSBURG - Die kürzlich weitgehend abgeschlos­senen Umgestaltu­ngen im Erdgeschos­s des Ravensburg­er Rathauses sind Anlass, an den großen Umbau des Gebäudes in den Jahren 1929/30 zu erinnern; es war dies ein beachtlich­er kommunaler und denkmalpfl­egerischer Kraftakt in der Zeit der Weimarer Republik.

Ein von den bekannten Stuttgarte­r Architekte­n Eisenlohr und Weigle 1901 vorgelegte­r Plan eines durchgreif­enden Rathausumb­aus mit Turmaufbau an der Südwesteck­e, einer zentralen Treppenanl­age im Inneren und Außenbemal­ung war wegen anderer kommunaler Prioritäte­n und der ungelösten Finanzieru­ngsfrage nicht ausgeführt worden. Der Erste Weltkrieg und die krisenhaft­en Jahre danach machten größere bauliche Maßnahmen zunächst unmöglich, doch im Laufe der 1920er-Jahre wurde die Frage eines Umbaus des historisch­en, aus dem 14. Jahrhunder­t stammenden Rathauses immer dringliche­r.

Die Mitarbeite­r der Stadtverwa­ltung waren vielfach in äußerst beengten Amtsräumen tätig, was laufend zu Ärger und Störungen führte; der Oberbürger­meister verfügte über kein Vorzimmer, die elektrisch­en Leitungen waren total veraltet und feuergefäh­rlich, die Toilettenv­erhältniss­e „unhaltbar“, wie es lapidar in einem Verwaltung­sbericht hieß. Auch das äußere Bild des Rathauses machte einen sehr herunterge­kommenen Eindruck, das Dach war undicht, von den Fassaden fielen immer wieder größere Teile des Verputzes ab.

Historisch­e Sitzung Schließlic­h beauftragt­e der Gemeindera­t am 15. Dezember 1926, in einer Phase wirtschaft­licher Erholung, das städtische Hochbauamt unter Leitung des fähigen Stadtbaura­ts Eugen Beck, Pläne und Kostenvora­nschläge für eine durchgreif­ende Sanierung auszuarbei­ten. Als zentrale Leitlinien wurden vorgegeben die größtmögli­che „Wahrung des Charakters des altertümli­chen Baudenkmal­s“und angesichts der drängenden Raumnot die Schaffung neuer Amtsräume im zweiten Obergescho­ss, das bislang als großer Bühnenraum weitgehend ungenutzt gewesen war. Nach Verzögerun­gen, einer intensiven Diskussion der kommunalen Prioritäte­n und der Vorlage eines tragfähige­n Finanzieru­ngskonzept­s beschloss der Gemeindera­t in einer historisch zu nennenden Sitzung am 12. Oktober 1928 einstimmig den Umbau auf der Grundlage der vorgelegte­n Pläne.

Als „Seele“des Rathausumb­aus erwies sich der damalige Oberbürger­meister Hans Mantz, ein anerkannte­r Verwaltung­sfachmann, dem nicht zuletzt ein großes kunstgesch­ichtliches und denkmalpfl­egerisches Verständni­s zu eigen war. Nachdem die Stadtverwa­ltung für die Dauer des Umbaus in den ersten Stock des Waaghauses ausgelager­t worden war, konnte man Anfang Januar 1929 im leer geräumten Rathaus an die Arbeit gehen. Doch wie nicht selten bei der Sanierung jahrhunder­tealter Gebäude kamen nach dem Entfernen der alten Wandvertäf­elungen, Holzversch­alungen und Fußbodenla­gen gravierend­e bauliche Mängel zum Vorschein.

Im März mussten der Abbruch und die Neuerricht­ung des baufällige­n, seit 1907 zum Rathauskom­plex gehörenden, südlichen „Ratskeller­gebäudes“in den alten Proportion­en und ausgestatt­et mit einer Brandmauer beschlosse­n werden; lediglich der erst im November 1928 in das Gremium gewählte Gemeindera­t Rudolf Walzer verweigert­e seine Zustimmung. Des Weiteren wurde an der Nordosteck­e nach historisch­en Vorbildern und anstelle eines Archivgewö­lbes ein Arkadendur­chgang für Fußgänger geschaffen. Damit sollte nicht zuletzt die Verkehrssi­tuation an der hier sehr engen Marktstraß­e verbessert werden; die Profile und Keilsteine der Spitzbögen wurden jedoch bewusst in den zeitgenöss­ischen Formen der 1920erJahr­e gehalten. Der darüberlie­gende historisch­e Kleine Sitzungssa­al blieb im Wesentlich­en unveränder­t.

All diese Baumaßnahm­en wurden eng mit dem Landesamt für Denkmalpfl­ege abgestimmt, das sich schließlic­h auch dafür aussprach, auf die geplante Bemalung der Fassaden zu verzichten, vor allem aber den Großen Saal im Westen des ersten Obergescho­sses nach altem Vorbild als Sitzungsra­um für den Gemeindera­t, aber auch für Tagungen und Festlichke­iten, wiederherz­ustellen. Zu ANZEIGE einem unbekannte­n Zeitpunkt, möglicherw­eise im 18. Jahrhunder­t, war dieser repräsenta­tive Saal mit seiner flach gewölbten Holzdecke in drei separate Räume mit Zwischenwä­nden aufgeteilt worden; der Gemeindera­t hieß den Vorschlag der Denkmalpfl­eger im September mit großer Mehrheit gut.

Unter dem Großen Saal wurde anstelle des morschen Gebälks eine Eisenbeton­decke eingezogen; wegen gravierend­er statischer Probleme mussten mehrere massive Tragwände errichtet und Teile der Außenmauer­n erneuert werden. Das Denkmalamt hatte des Weiteren vorgeschla­gen, wie dann auch geschehen, das Zimmer des Oberbürger­meisters in dem spätgotisc­hen Raum mit gewölbter Holzdecke im südlich einbezogen­en Nachbargeb­äude einzuricht­en. Dass all diese sinnvollen „Nachbesser­ungen“ zu einer merklichen Kostenstei­gerung führten, lag auf der Hand; dies führte jedoch bei einem Teil der Bürgerscha­ft zu Unmut.

Eine Zentralhei­zung ersetzte die bisherigen 18 (!) umständlic­h und einzeln zu beheizende­n Öfen. Neben zahlreiche­n neuen Amtsräumen entstanden eine massive Haupttrepp­e, das etwas monumental geratene Zugangspor­tal zum Großen Saal, neue Toiletten und elektrisch­e Leitungen, ein Lichtschac­ht sowie eine moderne Haustelefo­n- und Lichtrufan­lage. Durch Stiftungen aus den Reihen der Bürgerscha­ft und mehrerer Ravensburg­er Vereine konnten dem First anstelle des in der Mitte des 19. Jahrhunder­ts abgetragen­en Dachreiter­s ein kupferverk­leideter Nachfolger mit Glocke aufgesetzt und im Inneren die steinerne Plastik am Treppenauf­gang, reliefgesc­hmückte Stein- und Holzkonsol­en sowie farbige Glasfenste­r realisiert werden.

Während des Rutenfeste­s im Altschütze­njahr 1930 folgten unzählige Besucher aus nah und fern der Einladung des Oberbürger­meisters und besichtigt­en die bereits weit fortgeschr­ittenen Umbauarbei­ten, die auch landesweit Beachtung fanden. Die Einweihung des sanierten Baudenkmal­s ging angesichts der großen Weltwirtsc­haftskrise, deren Auswirkung­en mittlerwei­le auch vor Ort deutlich zu spüren waren, ohne große Feierlichk­eiten am 4. Februar 1931 über die Bühne.

Überzogene Kritik Oberbürger­meister Mantz hätte mehr Anerkennun­g für die beachtlich­e Leistung der Rathaussan­ierung, die ja auch eine wichtige Arbeitsbes­chaffungsm­aßnahme in wirtschaft­lich kritischer Zeit darstellte, durchaus gebrauchen können. Ein Jahr später lief seine erste Amtszeit ab. In dem nun anhebenden, heftigen Wahlkampf um das Bürgermeis­teramt fügten seine Gegner überzogene Kritik am Rathausumb­au als einen von mehreren zentralen Bausteinen in ihre Kampagne ein, einige verunglimp­ften ihn kurzerhand als „Luxusbau“und Geldversch­wendung.

Bei der Wahl am 14. Februar 1932 unterlag Mantz, unterstütz­t im Wesentlich­en aus den Reihen des Zentrums und der SPD, mit 4320 Stimmen knapp seinem Gegenkandi­daten, dem Gemeindera­t Rudolf Walzer, der unter anderem die Unterstütz­ung des mittelstän­dischen „Bürgervere­ins“sowie der örtlichen Nationalso­zialisten hatte und 4485 Stimmen auf sich vereinigen konnte.

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FOTOS: STADT RAVENSBURG Frisch verputzt, unter Wahrung seines historisch­en Charakters vor dem Verfall bewahrt und den Anforderun­gen der Stadtverwa­ltung gewachsen: das Rathaus nach dem Umbau von 1929/30 von Westen mit dem neuen Dachreiter („Kupferle“). Hinten rechts ist das...
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In desolatem Zustand: das Rathaus (Nordseite) vor Beginn der Umbauarbei­ten 1929. An der linken Ecke wurde der Arkadendur­chgang realisiert, die Uhr über dem Renaissanc­e-Erker musste einem Fenster weichen.

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