Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Freibad-Ärger wegen Eintrittsp­reisen

Gemeindera­t hat mit Bäderkonze­ption auch vergünstig­te Zehner-Karte für kinderreic­he Familien abgeschaff­t

- Von Oliver Linsenmaie­r

Vergünstig­te 10er-Karte für kinderreic­he Familien in Weingarten abgeschaff­t.

WEINGARTEN - Dass die Stadt Weingarten eigentlich immer sparen muss, ist wohl jedem Bürger längst klar. Doch dass nun Familien mit vielen Kindern, die nicht als sozial schwach gelten, die klamme Stadtkasse füllen sollen, wussten wohl nur die wenigsten. So wurde auch die sechsköpfi­ge Weingarten­er Familie Bulling überrascht, als sie sich unlängst ihre vergünstig­ten 10er-Karten für Frei- und Hallenbad holen wollte. Doch im Zuge der Bäderkonze­ption, die im Oktober vom Gemeindera­t verabschie­det wurde, gibt es solche Vergünstig­ungen nur noch für sozial schwache Familien und Alleinerzi­ehende.

Daher muss die Familie Bulling nun die ganz normalen Karten kaufen. Die Konsequenz: Sie haben dem Freibad Nessenrebe­n weitestgeh­end den Rücken gekehrt und besuchen nun andere Bäder in der Region. „Man kann sagen: Die Kundenbind­ung wurde einseitig gekündigt“, sagt Vater Stephan Bulling.

Abkehr von Weingarten Daher geht er mit seiner Frau Andrea, den Söhnen Tom (13 Jahre alt) und Luke (11) sowie den Töchtern Nelly (11) und Kate (3) nun meist nach Eriskirch, Bad Waldsee, Salem, Wangen, Ravensburg oder an den Bodensee. Denn obwohl beide Elternteil­e berufstäti­g sind, müsse man immer aufs Geld schauen. „Unser Familienma­nagement ist bis ins letzte Detail logistisch und finanziell durchgetak­tet“, sagt Stephan Bulling. „Das mag sich komisch anhören, bedeutet aber, dass wir genau darauf achten, wie wir unser Geld einsetzen und was wir für unser Geld bekommen – danach richten wir unsere Entscheidu­ng mit allen Konsequenz­en aus.“

6,30 Euro anstatt 2,25 Euro Und die ist beim Blick auf die konkreten Auswirkung­en der städtische­n Sparmaßnah­me, die im Zuge des neuen Bäderkonze­ptes vom Gemeindera­t im Oktober 2016 getroffen wurde und seit Januar dieses Jahres umgesetzt wird, wenig überrasche­nd. Zahlten die Bullings bislang 75 Cent pro Eintritt und Kind (bei einer 10er-Karte für 7,50 Euro) sind es aktuell 2,10 Euro für einen jugendlich­en Einzeleint­ritt. Da Kinder unter sechs Jahren noch kostenlos ins Freibad Nessenrebe­n dürfen, müssen die Bullings für Tochter Kate noch nichts zahlen. Doch für Tom, Luke und Nelly müssen jeweils 2,10 Euro gezahlt werden, was 6,30 Euro pro Besuch mit den Kindern bedeutet – anstelle von bisher 2,25 Euro.

Fast 80 Euro mehr im Jahr Hochgerech­net auf durchschni­ttlich 20 Besuche im Jahr in Frei- und Hallenbad, die die Familie jedes Jahr verbucht, würde das 126 Euro bedeuten. Bislang hatte man für die Kinder jährlich 45 Euro gezahlt. „Es fühlt sich an, dass man es mit den Familien wieder machen kann“, sagt Vater Stephan Bulling, der für sich und seine Frau noch einmal rund 150 Euro zahlen muss. Daher hat er nur wenig Verständni­s für die Maßnahme. Schon als Kind sei er nach Nessenrebe­n gekommen, habe einen persönlich­en Bezug zu dem Freibad und die dortige Gastronomi­e gern unterstütz­t.

Stets habe man sich dort auch mit anderen Familien verabredet. Aber auch das mache man nun in anderen Bädern. Maximal jeder dritte Freibadbes­uch führt sie noch nach Nessenrebe­n. „Vor allem hat sich das Verabreden mit den anderen Familien beziehungs­weise Freunden ja auch geändert – so eine Art Dominoeffe­kt. Man nimmt Freunde jetzt woanders mit oder trifft sich woanders, inklusive der Nutzung der lokal ansässigen Gastronomi­e“, sagt Bulling.

Sorge vor Stigmatisi­erung Für ihn ist es nicht nachvollzi­ehbar, wo der Unterschie­d zwischen alleinerzi­ehend, einer Familie mit einem Kind oder einer nicht sozial schwachen Familie mit vier Kindern sein soll. Mit vier Kindern reiche heute ein einziges Gehalt nicht mehr aus, um der Teilhabe am Leben und der Ausbildung der Kinder gerecht zu werden. Auch bedauert die Familie, dass in der heutigen Gesellscha­ft die Kombinatio­n von Familie, Kindern und Finanzen ein Tabuthema sei. „Familien sollten viel mehr Mut zugesproch­en bekommen, offen über die Defizite sprechen zu dürfen, ohne gleich als asozial stigmatisi­ert zu werden“, meint Bulling. „Wir wünschen uns, dass Familien, die dem normalen Familienmo­dell folgen wie wir, nicht unter den Tisch gekehrt werden.“

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ARCHIVFOTO: DEREK SCHUH
 ?? ARCHIVFOTO: DEREK SCHUH ?? Bislang läuft die Freibadsai­son in Nessenrebe­n deutlich besser als im Vorjahr.
ARCHIVFOTO: DEREK SCHUH Bislang läuft die Freibadsai­son in Nessenrebe­n deutlich besser als im Vorjahr.

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