Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Freibad-Ärger wegen Eintrittspreisen
Gemeinderat hat mit Bäderkonzeption auch vergünstigte Zehner-Karte für kinderreiche Familien abgeschafft
Vergünstigte 10er-Karte für kinderreiche Familien in Weingarten abgeschafft.
WEINGARTEN - Dass die Stadt Weingarten eigentlich immer sparen muss, ist wohl jedem Bürger längst klar. Doch dass nun Familien mit vielen Kindern, die nicht als sozial schwach gelten, die klamme Stadtkasse füllen sollen, wussten wohl nur die wenigsten. So wurde auch die sechsköpfige Weingartener Familie Bulling überrascht, als sie sich unlängst ihre vergünstigten 10er-Karten für Frei- und Hallenbad holen wollte. Doch im Zuge der Bäderkonzeption, die im Oktober vom Gemeinderat verabschiedet wurde, gibt es solche Vergünstigungen nur noch für sozial schwache Familien und Alleinerziehende.
Daher muss die Familie Bulling nun die ganz normalen Karten kaufen. Die Konsequenz: Sie haben dem Freibad Nessenreben weitestgehend den Rücken gekehrt und besuchen nun andere Bäder in der Region. „Man kann sagen: Die Kundenbindung wurde einseitig gekündigt“, sagt Vater Stephan Bulling.
Abkehr von Weingarten Daher geht er mit seiner Frau Andrea, den Söhnen Tom (13 Jahre alt) und Luke (11) sowie den Töchtern Nelly (11) und Kate (3) nun meist nach Eriskirch, Bad Waldsee, Salem, Wangen, Ravensburg oder an den Bodensee. Denn obwohl beide Elternteile berufstätig sind, müsse man immer aufs Geld schauen. „Unser Familienmanagement ist bis ins letzte Detail logistisch und finanziell durchgetaktet“, sagt Stephan Bulling. „Das mag sich komisch anhören, bedeutet aber, dass wir genau darauf achten, wie wir unser Geld einsetzen und was wir für unser Geld bekommen – danach richten wir unsere Entscheidung mit allen Konsequenzen aus.“
6,30 Euro anstatt 2,25 Euro Und die ist beim Blick auf die konkreten Auswirkungen der städtischen Sparmaßnahme, die im Zuge des neuen Bäderkonzeptes vom Gemeinderat im Oktober 2016 getroffen wurde und seit Januar dieses Jahres umgesetzt wird, wenig überraschend. Zahlten die Bullings bislang 75 Cent pro Eintritt und Kind (bei einer 10er-Karte für 7,50 Euro) sind es aktuell 2,10 Euro für einen jugendlichen Einzeleintritt. Da Kinder unter sechs Jahren noch kostenlos ins Freibad Nessenreben dürfen, müssen die Bullings für Tochter Kate noch nichts zahlen. Doch für Tom, Luke und Nelly müssen jeweils 2,10 Euro gezahlt werden, was 6,30 Euro pro Besuch mit den Kindern bedeutet – anstelle von bisher 2,25 Euro.
Fast 80 Euro mehr im Jahr Hochgerechnet auf durchschnittlich 20 Besuche im Jahr in Frei- und Hallenbad, die die Familie jedes Jahr verbucht, würde das 126 Euro bedeuten. Bislang hatte man für die Kinder jährlich 45 Euro gezahlt. „Es fühlt sich an, dass man es mit den Familien wieder machen kann“, sagt Vater Stephan Bulling, der für sich und seine Frau noch einmal rund 150 Euro zahlen muss. Daher hat er nur wenig Verständnis für die Maßnahme. Schon als Kind sei er nach Nessenreben gekommen, habe einen persönlichen Bezug zu dem Freibad und die dortige Gastronomie gern unterstützt.
Stets habe man sich dort auch mit anderen Familien verabredet. Aber auch das mache man nun in anderen Bädern. Maximal jeder dritte Freibadbesuch führt sie noch nach Nessenreben. „Vor allem hat sich das Verabreden mit den anderen Familien beziehungsweise Freunden ja auch geändert – so eine Art Dominoeffekt. Man nimmt Freunde jetzt woanders mit oder trifft sich woanders, inklusive der Nutzung der lokal ansässigen Gastronomie“, sagt Bulling.
Sorge vor Stigmatisierung Für ihn ist es nicht nachvollziehbar, wo der Unterschied zwischen alleinerziehend, einer Familie mit einem Kind oder einer nicht sozial schwachen Familie mit vier Kindern sein soll. Mit vier Kindern reiche heute ein einziges Gehalt nicht mehr aus, um der Teilhabe am Leben und der Ausbildung der Kinder gerecht zu werden. Auch bedauert die Familie, dass in der heutigen Gesellschaft die Kombination von Familie, Kindern und Finanzen ein Tabuthema sei. „Familien sollten viel mehr Mut zugesprochen bekommen, offen über die Defizite sprechen zu dürfen, ohne gleich als asozial stigmatisiert zu werden“, meint Bulling. „Wir wünschen uns, dass Familien, die dem normalen Familienmodell folgen wie wir, nicht unter den Tisch gekehrt werden.“