Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Verbotene Liebe
Rassismus in den USA in den 1950er-Jahren: „Loving“erzählt eine wahre Geschichte
D as Bürgerrechtsdrama „Loving“erzählt die Geschichte einer kaum fassbaren Ungerechtigkeit – Regisseur Jeff Nichols geht diese aber mit betonter Zurückhaltung an. Im Zusammenspiel mit den herausragenden Hauptdarstellern entfaltet die Geschichte einer „gemischtrassigen“Ehe so noch größere Eindringlichkeit.
Mit „Loving“schafft es einer der Oscar-Kandidaten in die deutschen Kinos. Am Montag dieser Woche jährte sich die Urteilsverkündung im Fall Loving v. Virginia zum 50. Mal. Seitdem wird am 12. Juni in den USA der „Loving Day“begangen, die mittlerweile größte multirassische Feier des Landes. In Amerika ist der Konflikt und dessen Ausgang also wohlbekannt. In Deutschland dürfte dies in weitaus geringerem Maße der Fall sein und den Zuschauern klar vor Augen führen, wie jung das Fundament der Bürgerrechte ist.
Bürgerrechte sind noch jung Das Bürgerrecht, das im Zentrum von „Loving“steht, ist das Recht auf Ehe. Ein Recht, mit dem viele andere Ansprüche verbunden sind, etwa gemeinsamer Landerwerb, Status von Kindern oder Erbregelungen. All dies ist Paaren mit unterschiedlicher Hautfarbe im Bundesstaat Virginia im Jahre 1958 noch vorenthalten – genauer gesagt ist die Ehe zwischen Weißen und Nichtweißen gesetzlich untersagt und strafbar. Der weiße Bauarbeiter Richard (Joel Edgerton) heiratet deshalb seine schwangere Partnerin Mildred (Ruth Negga) im liberaleren Washington. Als er mit der Heiratsurkunde in seine Heimat zurückkehrt, um sich dort ein Haus für seine Familie zu bauen, empfinden die Behörden dies aber als Provokation und lassen die beiden verhaften. Ihnen droht eine Gefängnisstrafe, der Richter bietet aber einen Deal an – die Strafe wird ausgesetzt, wenn das Ehepaar sich schuldig bekennt, Virginia verlässt und für 25 Jahre nicht mehr zurückkehrt.
So müssen die beiden Hals über Kopf Heimat, Landbesitz und Familie hinter sich lassen und ziehen nach Washington, wo sie aber nie ganz heimisch werden. Als im Laufe der 1960er-Jahre die Bürgerrechtsbewegung in den USA an Fahrt aufzunehmen beginnt, beschließt Mildred, sich um rechtlichen Beistand zu bemühen. Der kommt in Person von Bernard S. Cohen (Nick Kroll), ein junger Anwalt, der für die Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberties Union (ACLU) arbeitet. Cohen erkennt schnell das weit über das Schicksal der Lovings hinausreichende Potenzial des Falles – und ist bereit, dafür bis vor den Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten zu gehen.
Eine solche Ungerechtigkeit lädt geradezu dazu ein, ein filmisch ähnlich wuchtiges Statement abzugeben. Doch das entspricht nicht dem Stil von Regisseur Jeff Nichols („Midnight Special“) und würde auch den beiden Hauptfiguren nicht gerecht. Denn die waren, wie Filmaufnahmen und Reportagen belegen, sehr bodenständige und zurückhaltende Menschen. Statt Revolution ging es ihnen zunächst nur um die Realisierung eines durchaus konservativen amerikanischen Familienidylls – und die Liebe zueinander. Diese vermitteln die beiden Hauptdarsteller äußerst glaubhaft. Joel Edgerton („Black Mass“) kommen als Richard die Worte meist höchst widerwillig über die Lippen, und in seiner gebückten Haltung richtet er den Blick meist auf den Boden. Wenn er aber mit Mildred zusammen ist, strahlt er eine sehr natürliche Geborgenheit aus. Ruth Negga („Warcraft“), die selber einer gemischten Ehe mit einem äthiopischen Vater und einer irischen Mutter entstammt, legt ihre Mildred ebenfalls bescheiden an, verleiht ihr dann aber zunehmend Selbstbewusstsein und Kampfgeist. Für die Darstellung wurde sie sehr verdient mit dem Oscar ausgezeichnet.
Einigen Zuschauern dürfte der an Originalschauplätzen gedrehte Zwei-Stunden-Film vor allem im ersten Drittel vielleicht etwas zu behutsam daherkommen. Umso stärker ist aber die Wirkung der weiteren Handlung. Und auch an Bedeutung hat die Geschichte um einen Meilenstein der Bürgerrechtsbewegung bis heute nichts verloren: Seit dem Amtsantritt von Donald Trump verzeichnet die ACLU wieder einen enormen Zulauf und hat sich als eine der wichtigsten Stimmen des Widerstands etabliert.
Loving. Regie: Jeff Nichols. Mit Joel Edgerton, Ruth Negga, Marton Csokas. GB/USA. 123 Minuten. FSL ab 6 Jahren.