Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Luthers bleibende Botschaft

Dekan Friedrich Langsam: Spaltung und Trennung überwinden

- Von Dekan Friedrich Langsam

95 Thesen eines nie stattgefun­denen Streitgesp­rächs markieren den Anfang, am Ende kam es zur Spaltung der europäisch­en Christenhe­it. Auch die Reichsstad­t Ravensburg wurde von der Reformatio­n erfasst. 1546 erst hielt sie Einzug, aber nachhaltig hat sie die städtische Geschichte geprägt. Aus dem Gegeneinan­der wurde ein Nebeneinan­der, das heute die Möglichkei­ten eines Miteinande­rs sucht und nützt. Die bedeutende­n Fenster im Südschiff der Stadtkirch­e erinnern an die Reformator­en der ersten Stunde und auch an die Herrscher, die ihre Botschaft politisch umsetzten. Auslöser und zentrale Figur dieser Bewegung war und blieb Martin Luther. In der Linken, ganz nahe dem Herzen, hält er die geöffnete Bibel, mit der Rechten zeigt er, dem Betrachter zugewandt, was er erst nach langem Ringen entdeckte: Christus, Gottes Gabe, die er uns ohne jegliche Vorleistun­g schenkt. Daran hält er gegenüber Papst und Kaiser fest, verteidigt es vor aller Welt: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders! Gott helfe mir. Amen!“

Spaltung war nie seine Absicht. Und dass seine Lehre Konflikte und Kriege auslöste, hat ihn lebenslang umgetriebe­n. Was aber hat solche Sprengkraf­t entfaltet? Wie war es möglich, dass das ganze christlich­e Abendland von dieser Botschaft erfasst wurde? Und: Hat Luthers Erkenntnis auch nach 500 Jahren noch wirkliche Bedeutung?

Für Luther war klar: Wir haben Verantwort­ung für unser Leben. Nicht nur gegenüber unseren Mitmensche­n, nein, im Letzten vor Gott. Ihm verdanke ich mein Leben und deshalb bin ich ihm umfassend Rechenscha­ft schuldig. Doch damals wie heute erleiden wir, dass wir nicht für alles grade stehen können, dass wir Liebe schuldig bleiben und am Ende keiner eine weiße Weste hat. Wie kann ich dennoch vor Gottes Augen bestehen? – diese Frage trieb Luther um.

Antwort fand er bei Paulus im Römerbrief: Jesus Christus hat alle Schuld und all unser Versagen auf sich genommen. Gott nagelt uns nicht fest auf unsere Schuld. Er spricht uns in Christus ganz und vorbehaltl­os frei. Darüber fand Luther Freiheit, Freude und einen Frieden, den er durch gute Werke, Wallfahrte­n, Reliquien und Ablässe nicht finden konnte. Denn bei aller Anstrengun­g konnte er nie gewiss sein, ob er auch genug getan hatte. Diese befreiende Erkenntnis wollte er seiner Kirche neu in Erinnerung rufen. Doch was die Kirchenfür­sten ablehnten, breitete sich wie ein Lauffeuer aus. Viele Menschen atmeten auf. Es war die Entdeckung, die zum Leben befreite, zum Dienst für Gott und die Mitmensche­n.

Aber diese Freiheit sollte nicht mit Beliebigke­it verwechsel­t werden. Dass Gott uns allein aus Gnaden gerecht gesprochen hat, führt niemals dazu, dass wir tun und lassen können, was wir wollen. Wer so lebt, gerät letztlich wieder in die Abhängigke­it seiner Bedürfniss­e, Wünsche und Launen. Freiheit gibt es nur in der Bindung des Glaubens an Gott, der umfassend für mich sorgt, zeitlich und ewig. In dieser Freiheit finde ich meine Bestimmung und kann für Gott und meine Nächsten leben.

Und schließlic­h: Luther hat die guten Werke nicht abgeschaff­t, im Gegenteil, er hat sie für wichtig gehalten. Abgelehnt hat er die Werke, wenn sie in der Absicht getan werden, Gott damit gnädig zu stimmen und um sich seine Zuwendung zu verdienen. Damit würden wir preisgeben, dass Gott uns in Jesus Christus alles umsonst geschenkt hat. Wer von Gott um Jesu Christi Willen gerecht gesprochen ist, der kann als befreiter und deshalb freier Mensch seinen Mitmensche­n Gutes tun. Es ist die Liebe Gottes, die uns zur Liebe erweckt. Sie ist Grund unseres Tuns und Trachtens. Gott ist es, der ein neues Herz schafft und einen neuen Geist gibt. Dies richtet uns neu aus und auf.

Aus diesem Grund darf der christlich­e Glaube nicht mit Moral verwechsel­t Die evangelisc­he und katholisch­e Kirchengem­einden sowie die Stadt Ravensburg laden am Freitag, 23. Juni, zur großen Luthernach­t ein. In der Liebfrauen­kirche, der St. Jodok-Kirche, der evangelisc­hen Stadtkirch­e und an vielen weiteren Orten gibt es Musik, Theater, Film und Diskussion­en. Eröffnet wird die Erlebnisna­cht um 18.30 Uhr auf dem Marienplat­z, Veranstalt­ungsende ist um 23.30 Uhr. Bereits ab heute, Dienstag, 20. Juni, ist die Briefmarke­nausstellu­ng „Martin Luther und die Reformatio­n“in Ravensburg zu sehen. Sie wurde am 1. Mai in Leutkirch eröffnet und geht nun auf Tour. Die offizielle Eröffnung in Ravensburg ist im werden. Moral kommt als Forderung von außen, Liebe entspringt dem Gott dankbaren Herzen. In diesem Sinne wollte Luther die guten Werke nicht abschaffen, vielmehr sollte man ihn „Doktor der guten Werke“nennen.

Luther heute? Er erinnert neu an den Satz des Paulus: „Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.“Diese Freiheit lässt sich in der Doppelthes­e seiner Schrift „Von der Freiheit eines Christenme­nschen“zusammenfa­ssen: „Ein Christenme­nsch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan. Ein Christenme­nsch ist ein dienstbare­r Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“Beides gehört untrennbar zusammen. Die Freiheit von allen Dingen im Verhältnis zu Gott schafft Freiheit zum Dienst gegenüber den Mitmensche­n.

Uns auf dieses Vermächtni­s Luthers neu zu besinnen, bewirkt nicht nur Neues, sondern überwindet auch Spaltung und Trennung – in unserer Stadt und weltweit. Dazu sind wir als Christen berufen, und dazu bewegt uns Gottes Liebe. Rahmen der Luthernach­t am Freitag. Bis zum 6. Juli ist sie in der Filiale der Kreisspark­asse im Waaghaus, Marienplat­z 28, zu sehen. Weitere Stationen sind Friedrichs­hafen (9. bis 23. Juli) und Baienfurt (17. bis 24. September). An den Eröffnungs­tagen in Friedrichs­hafen und Baienfurt sowie zur Luthernach­t in Ravensburg bietet ein Sonderpost­amt an allen vier Ausstellun­gsorten einen Sonderstem­pel an mit einer Abbildung der evangelisc­hen Kirche vor Ort, einem Lutherport­rät sowie einem der vier Solis der Reformatio­n; also „Allein der Glaube“, „Allein die Schrift“, „Allein Christus“und „Allein die Gnade“. (sz)

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Dekan Friedrich Langsam

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