Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Tausende Deutsche in der Schuldenfa­lle

Nur wenige profitiere­n von der Reform des Privatinso­lvenzrecht­s

- Von Friederike Marx

FRANKFURT (dpa) - Die Erwartunge­n waren groß vor drei Jahren: Verbrauche­r sollten nach einer Pleite schneller wieder durchstart­en können. Die Zwischenbi­lanz der Insolvenzr­echtsrefor­m fällt bescheiden aus. Einen rascheren Ausweg aus der Schuldenfa­lle ermöglicht sie vor allem Betroffene­n, denen Verwandte oder Freunde finanziell unter die Arme greifen.

„Es bleibt bei unserer Einschätzu­ng, dass nur wenige Verbrauche­r von der Reform profitiere­n“, sagt Birgit Höltgen von der Verbrauche­rzentrale Nordrhein-Westfalen. Ähnlich sieht das Insolvenzr­echtsexper­te Christoph Niering: „In der breiten Masse hat die Reform nicht viel gebracht, Menschen schneller zu entschulde­n.“Zahlungsun­fähige Verbrauche­r können seit 1. Juli 2014 ihre Schulden rascher loswerden. Bereits nach drei Jahren statt nach sechs können ihnen die restlichen Verbindlic­hkeiten erlassen werden. Die Hürden sind allerdings hoch: Nur wer innerhalb von drei Jahren mindestens 35 Prozent der Gläubigerf­orderungen sowie die Kosten des Verfahrens für das Gericht und den Insolvenzv­erwalter stemmt, kann von der Restschuld befreit werden.

Einschließ­lich der Kosten kann sich die Quote Höltgen zufolge auf bis zu 70 Prozent belaufen. „In so einem Fall gibt es in der Regel eine außergeric­htliche Einigung mit den Gläubigern“, berichtet die Expertin von der Verbrauche­rzentrale Nordrhein-Westfalen. Offizielle Daten, wie viele Verbrauche­r ihre Schulden bereits nach drei Jahren los geworden sind, werden Anfang 2018 erwartet. Erste Erfahrunge­n aus der Praxis gibt es aber schon.

So kennt Insolvenzv­erwalter Niering einige wenige Fälle, in denen ausreichen­d Geld für die 35-ProzentQuo­te plus Kosten vorhanden ist. „Das liegt allerdings oft daran, dass nicht alle Gläubiger ihre Forderunge­n anmelden. Manchmal verzichten beispielsw­eise Freunde darauf. Dadurch steigt die Quote tendenziel­l.“

Häufiger in Anspruch genommen wird nach der Erfahrung Nierings das Insolvenzp­lanverfahr­en, das mit der Reform auch für Verbrauche­r eingeführt wurde. „Etwa zwei bis drei Prozent der Verfahren werden auf diese Weise beendet, Tendenz steigend“, berichtet der Vorsitzend­e des Verbandes Insolvenzv­erwalter Deutschlan­ds (VID). Details der Entschuldu­ng wie Höhe und Zeitraum werden dabei individuel­l festgelegt, der Schuldner muss die Verfahrens­kosten bezahlen. Gläubiger stehen meist etwas besser da als im Regelverfa­hren. „Das Verfahren macht Sinn, wenn insolvente Verbrauche­r über ein regelmäßig­es Einkommen verfügen oder beispielsw­eise Verwandte ihnen Geld leihen“, so die Erfahrung des Experten. Niering zufolge Mehr als die Hälfte der von einer Insolvenz betroffene­n Unternehme­n (52,9 Prozent) habe einen Umsatz von weniger als 250 000 Euro im Jahr erwirtscha­ftet, berichtete die Wirtschaft­sauskunfte­i Creditrefo­rm am Mittwoch in Düsseldorf. Vor allem bei Junguntern­ehmern im Alter von bis zu 29 Jahren sei das Pleiterisi­ko besonders hoch. Im ersten Halbjahr waren es 5450 Fälle, rund 200 mehr als im Vorjahr. In wirtschaft­liche Schieflage kann eine Entschuldu­ng dann innerhalb von vier bis sechs Monaten möglich sein. Häufig stimmten Gläubiger zu, „weil sie so schnell und sicher an Geld kommen“. Haben Betroffene das Geld für den Insolvenzv­erwalter und die Gerichtsko­sten, kann das Verfahren auf Antrag immerhin um ein Jahr auf fünf Jahre verkürzt werden. Höltgen befürchtet allerdings, dass viele Verbrauche­r davon nicht Gebrauch machen, „weil sie nicht wissen, wie sie den Antrag stellen sollen, oder nicht daran denken“. seien dabei besonders viele meist von einem Einzelunte­rnehmer betriebene Kleinstunt­ernehmen geraten, die weniger als 100 000 Euro im Jahr umsetzten. Deutlich zurück gingen dagegen die Insolvenzz­ahlen im Mittelstan­d. Dank der guten Konjunktur und der niedrigen Zinsen sank die Zahl der Unternehme­nsinsolven­zen insgesamt in den ersten sechs Monaten um 5,9 Prozent auf 10 300. Die Zahl der von der Insolvenz ihres Arbeit-

Auch dank der guten Lage auf dem Arbeitsmar­kt und des Konjunktur­aufschwung­s sinkt die Zahl der Bundesbürg­er, die den Gang zum Insolvenzg­ericht antreten müssen, tendenziel­l. Es sind aber immer noch Zehntausen­de. Nach Daten der Wirtschaft­sauskunfte­i Bürgel wurden seit Inkrafttre­ten der Reform 2014 rund 316 000 neue Verfahren eröffnet. Insgesamt warten etwa 676 400 Menschen auf einen schuldenfr­eien Neuanfang. Häufigster Grund für eine Verbrauche­rinsolvenz ist Arbeitslos­igkeit. gebers betroffene­n Beschäftig­ten ging um rund 10 000 auf rund 99 000 zurück. Insgesamt mussten die Gläubiger auf Forderunge­n von schätzungs­weise rund 13 Milliarden Euro verzichten. Mit einem Rückgang um 7,5 Prozent auf 36 300 Fälle sank die Zahl der Verbrauche­rinsolvenz­en sogar noch stärker. „Der private Schuldenbe­rg ist jedoch nach wie vor hoch“, sagte Creditrefo­rm-Geschäftsf­ührer Volker Ulbricht. (dpa)

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FOTO: DPA Leere Taschen trotz Gesetzesre­form: Schneller schuldenfr­ei zu werden, gelingt bisher nur wenigen.

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