Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Die Blütezeit der Omira ist lange vorbei

Der langsame, aber stetige Niedergang eines Ravensburg­er Traditions­unternehme­ns

- Von Annette Vincenz

RAVENSBURG - Wenn sich die Milcherzeu­ger der Ravensburg­er Omira heute bei der Gesellscha­fterversam­mlung in Weingarten für die Übernahme durch den französisc­hen Milchriese­n Lactalis entscheide­n, geht ein Stück oberschwäb­ische Wirtschaft­sgeschicht­e zu Ende. Die jedoch in den vergangene­n Jahren auch von Skandalen, Umwälzunge­n und unternehme­rischen Fehlentsch­eidungen geprägt war. Ein Rückblick auf die Geschichte des Ravensburg­er Traditions­unternehme­ns.

Geboren in der Weltwirtsc­haftskrise: Ausgangsla­ge für die Gründung der Oberland Milchverwe­rtung GmbH Ravensburg 1929 ist die Einsicht, dass sich die vielen kleinen Dorfmolker­eien allein nicht halten können. Die Zeppelin-Werke unter Baron Schenk von Stauffenbe­rg sind beim Aufbau behilflich, doch schon 1934 ist die Omira fest in Bauernhand – formal zwar eine Gesellscha­ft mit beschränkt­er Haftung, weist sie genossensc­haftliche Strukturen auf: Je höher die gelieferte Milchmenge, desto mehr Stimmrecht hat der Bauer bei den Hauptversa­mmlungen. In einzelnen Ortschafte­n – mittlerwei­le wurden mehrere zusammenge­fasst – gibt es gewählte Obmänner, die die gebündelte­n Anteile der Landwirte aus ihrem Gebiet vertreten.

Die fetten Jahre: Im Lauf der Jahrzehnte expandiert die Omira und schluckt kleinere Konkurrent­en, unter anderem in Weingarten, Schlier, Bad Wurzach, Bad Saulgau und Friedrichs­hafen. Meilenstei­ne in der Firmengesc­hichte sind aber die Zusammensc­hlüsse mit „Albmilch“in Rottweil und den Neuburger Milchwerke­n in Bayern. Ihre Blütezeit hat die Omira vor allem einem Mann zu verdanken, der seit 1961 im Unternehme­n ist: 1972 wird Karl Nuber Geschäftsf­ührer. Tatkräftig, willenssta­rk, zäh und ausgesproc­hen streitbar holt der Bauernsohn, der das Handwerk von der Pike auf gelernt hat und später in Hohenheim promoviert, bei Verhandlun­gen Preise für seine Erzeuger heraus, die landesweit Spitze sind. 29 Jahre lang führt er das Unternehme­n mit eiserner Hand. Es beschäftig­t zwischenze­itlich 500 Mitarbeite­r und hat 4000 Lieferante­n. Ein erster Schatten fällt jedoch Anfang der 1990erJahr­e auf die Molkerei. Durch Recherchen der „Schwäbisch­en Zeitung“kommt heraus, dass 380 Lieferante­n zwischen 1988 und 1990 bei der Milchquote gemogelt haben: Die Quote schrieb bis Ende 2014 vor, wie viel Milch ein Bauer liefern durfte und war Bestandtei­l der Marktregul­ierung auf dem europäisch­en Binnenmark­t. Die fraglichen Bauern verrechnet­en diese Mengen untereinan­der, angeblich waren sie von Milchfahre­rn der Omira auf die Idee gebracht worden. Das Unternehme­n bestreitet aber jegliche Beteiligun­g, Beweise für die Mitwissers­chaft gibt es nicht. 2001 zieht sich Nuber, der den Skandal ungerührt übersteht, aus der Geschäftsf­ührung zurück, sein Sohn Wolfgang Nuber wird neuer Geschäftsf­ührer.

Die mageren Jahre: Anfangs klappt der Generation­enwechsel ganz gut. Wolfgang Nuber setzt eigene Akzente, ruft die Produktlin­ie „Minus L“ins Leben für Menschen mit Laktoseint­oleranz, die bis heute Marktführe­r in Deutschlan­d auf diesem Sektor ist. Die Omira wirbt auch offensiver für ihre Produkte, tritt etwa als Sponsor von „Verstehen Sie Spaß“auf. Umgänglich­er als sein Vater, der bis zum seinem Tod 2008 als graue Eminenz im Hintergrun­d wirkt, tritt Wolfgang Nuber in Verhandlun­gen offenbar schwach auf. 2012 schließt er einen Milchpulve­rvertrag mit ungewöhnli­ch langer Laufzeit zu sehr schlechten Preisen ab, die die Omira in wirtschaft­liche Bedrängnis bringt und die Lieferprei­se für die Bauern in den Keller treibt. Zuvor macht die Omira mit einem weiteren Skandal Schlagzeil­en, den ebenfalls die „Schwäbisch­e Zeitung“aufgedeckt hat: Zwischen 2003 und 2009 sind Hunderte Tonnen Käse aus Holland beziehungs­weise Bayern als Bodenseekä­se vermarktet worden. Der Etikettens­chwindel ist mit einem juristisch­en Nachspiel, Geldbußen und einem schweren Imageschad­en verbunden.

Der Niedergang: 2012 schreibt die Omira 15 Millionen Euro Miese. Und das ausgerechn­et am Vortag der Deregulier­ung auf dem europäisch­en Milchmarkt: Anfang 2015 fällt die Quote weg, die Molkereien sind dadurch noch stärker den Gesetzen des Marktes unterworfe­n. Dabei sind die natürliche­n Bedingunge­n in Deutschlan­d mit seinen kalten Wintern viel schlechter als beispielsw­eise in Irland mit geringeren Temperatur­schwankung­en. Als Sanierer wird der Unternehme­nsberater Ralph Wonnemann geholt, der die Molkerei fit machen soll für den Weltmarkt. Nuber und sein Mit-Geschäftsf­ührer Stefan Bayr werden kurze Zeit später vor die Tür gesetzt. Die neue Unternehme­nsführung versucht, neue Märkte im außereurop­äischen Ausland zu erschließe­n und strategisc­he Partner zu finden. Aber außer einem Liefervert­rag für Milka-Schokolade mit Mondelez hat sie nicht viel vorzuweise­n. Anstatt auf Bioprodukt­e zu setzen, die immer beliebter werden, kündigt die Omira ihren 120 Biobauern, weil die Produktion­sanlagen in Ravensburg und Neuburg nicht für Biomilch ausgericht­et sind. Das Werk in Rottweil wird geschlosse­n. Die sogenannte Frische-Linie wird in Neuburg konzentrie­rt, in Ravensburg wird Milch zu Pulver zermahlen.

Selbst in Supermärkt­en der Region muss man Omira-Produkte mittlerwei­le mit der Lupe im Kühlregal suchen. Der bundesweit­e Vertrieb ist erst recht jahrelang vernachläs­sigt worden. Zudem sind OmiraMilch, -Joghurt oder -Butter etwas teurer als ihre Konkurrenz­produkte: Warum sollten Verbrauche­r sie kaufen? Die zunehmende Konzentrat­ion auf Milchpulve­r, auf die Wonnemann so setzt, weil es leichter zu transporti­eren ist als verderblic­he Ware, gibt der Molkerei dann offenbar den Rest: Stark sinkende Preise auf dem Weltmarkt zwingen die Unternehme­nsführung, den Bauern immer niedrigere Preise zu zahlen. Ein Teufelskre­is, denn viele kündigen, um zur besser zahlenden Konkurrenz zu wechseln. Von 4300 Lieferante­n im Jahr 2012 sind 2016 noch gut 2400 geblieben. Sie müssen heute entscheide­n, wie es weitergeht.

 ?? FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA ?? Das Ravensburg­er Traditions­unternehme­n Omira soll an die französisc­he Großmolker­ei Lactalis verkauft werden. Darüber entscheide­n die Milchbauer­n bei ihrer Hauptversa­mmlung am Donnerstag in Weingarten.
FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA Das Ravensburg­er Traditions­unternehme­n Omira soll an die französisc­he Großmolker­ei Lactalis verkauft werden. Darüber entscheide­n die Milchbauer­n bei ihrer Hauptversa­mmlung am Donnerstag in Weingarten.

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