Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Arm in Arm mit Oma
Wenn meine Oma einst von mir verlangte, ich solle sonntags Arm in Arm mit ihr die Seestraße hoch, über den Marienplatz und durch die Kirchstraße in die Liebfrauenkirche gehen, bekam ich mit 16 Jahren die Krise. Sie hängte sich dann rechts bei mir ein und trug links ihre ewige Handtasche. Darin war gewiss ein gebügeltes Spitzentaschentuch, aber auch ein Päckchen Tempo, falls ich wegen des Weihrauchs einen Niesanfall bekommen sollte. Im Geldbeutelchen steckten Scheine und genügend Kollektemünzen. In den Tiefen ihrer Handtasche ruhte ein kleines Büchslein Nivea sowie ein ebenso kleines Penatencreme-Döschen.
War Nivea für Gesicht und Hände, entzog sich mir der Zweck der Penatencreme. Das Fläschen 4711 aber war von universaler Bedeutung. Daran schnüffelte meine Oma, wenn sie auf dem Umweg über die Treppe zum Mehlsack einen kurzzeitigen Schwächeanfall erlitt. Gelegentlich nahm sie auch ein Schlückchen Kölnisch Wasser auf einem Zuckerwürfel zu sich, um ganz klar im Kopf zu bleiben.
Meine Oma hatte auch diverse Sterbebildchen und zeitlebens die Ravensburger Mantelmadonna bei sich in ihrer Handtasche. Auch eine kleine Tafel Milchschokolade, ihr Gesangbuch, das Döschen mit dem Rosenkranz, ihre Ersatzbrille und die Gebiss-Haftcreme waren in dieser Handtasche aus Leder, samt einem ominösen Pillendöslein. Meine Oma wohnt schon lange auf dem Friedhof, hoffentlich auch im Himmel.