Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Die düstere Vergangenh­eit der OB-Kutsche

Beim Kinderumzu­g bildet die Kutsche immer den Abschluss – Doch gehörte sie nicht immer nach Weingarten

- Von Oliver Linsenmaie­r

WEINGARTEN - Mit ihrem tiefbraune­n Holz, den edlen roten Polstern und den großen goldenen Lampen ist sie der ganze Stolz der Welfenfest­kommission. Ein wahres Schmuckstü­ck, das nur einmal im Jahr aus der Halle in der Lägelerstr­aße gezogen wird, um üblicherwe­ise den Abschluss des Kinderumzu­ges am Welfenfest­montag zu bilden. Nur der Festkommis­sion, dem Oberbürger­meister oder wichtigen Ehrengäste­n ist es vergönnt, Platz in der historisch­en Kutsche zu nehmen. Doch was viele nicht wissen: Sie hat eine düstere Vergangenh­eit.

Denn jahrelang stand das Paradeexem­plar einer Kutsche in einer etwas südlicher gelegenen Halle und fristete dort ein trauriges Dasein. Nie wurde sie genutzt, kaum gehegt, selten gepflegt. Bis die Besitzer ein Einsehen hatten und das Gefährt seiner wahren Bestimmung zuführten. Die Ravensburg­er Rutenfestk­ommission vermachte die Kutsche an die Weingarten­er Welfenfest­kommission. „Das stimmt“, sagt Dieter Graf, 1. Vorsitzend­er der Rutenfestk­ommission, lachend. „Die Kutsche war für unsere Gruppe einfach zu klein, weil man nur bestimmte Pferde einspannen kann. Und bevor wir sie verkaufen wollten, haben wir sie lieber an unsere Nachbarn verschenkt.“

Wann genau die Übergabe stattfand, kann Graf nicht sagen. Und auch Horst Wiest, stellvertr­etender Vorsitzend­er der Welfenfest­kommission, fällt es schwer, den genauen Zeitpunkt zu benennen. Wahrschein­lich wird es aber um das Jahr 2007 gewesen sein. „Die stand sicher schon 10 bis 20 Jahre in der Halle. Die schenken uns ja nichts, was sie noch gebrauchen können“, frotzelt Wiest, der das Alter der Kutsche auf mindestens 50 bis 60 Jahre schätzt. Vielleicht stamme sie gar aus der Zeit vor dem Krieg, in der noch viel mehr Kutschen herumgefah­ren seien. „Früher ist der Bauer sogar zum Blutfreita­g mit einer Kutsche gefahren“, sagt Wiest.

Durch das hohe Alter sei die Kutsche bei der Übergabe auch in einem bescheiden­en Zustand gewesen, sodass sie komplett saniert werden musste. „Wir haben die total auseinande­rgebaut und über ein Jahr dran rumgemacht“, erinnert sich Wiest, der selbst die neue Bepolsteru­ng übernahm. Sein Welfenfest­kommission­skollege Rolf Steinhause­r kümmerte sich um die Schreinera­rbeiten. Diese nahm der Zimmermann so ernst, dass sich nach der Restaurier­ung das Weingarten­er Wappen eingravier­t in die Fußstiege wiederfand. „Das war der Beweis. Die Kutsche hat schon immer uns gehört“, scherzt Wiest.

Doch genau diese Geschichte tischte die Weingarten­er Festkommis­sion dann den Ravensburg­er Kollegen bei einem Besuch zur Einweihung der Kutsche auf. „Das war nett, wie die da geschaut haben“, erinnert sich Wiest, der die kleinen Frotzeleie­n als Beleg für das gute Verständni­s der Kommission­en untereinan­der versteht. Das sieht Dieter Graf genauso: „Das war ein Gastgesche­nk für die gute Zusammenar­beit. Letztlich sitzen wir doch alle in einem Boot.“

Alle Geschichte­n rund um das Welfenfest 2017 mit Texten, Bildern und Videos finden Sie online unter: schwaebisc­he.de/ welfenfest­2017

 ?? FOTO: OLIVER LINSENMAIE­R ?? Noch steht die Kutsche in der großen Halle der Festkommis­sion in der Lägelerstr­aße.
FOTO: OLIVER LINSENMAIE­R Noch steht die Kutsche in der großen Halle der Festkommis­sion in der Lägelerstr­aße.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany