Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Die düstere Vergangenheit der OB-Kutsche
Beim Kinderumzug bildet die Kutsche immer den Abschluss – Doch gehörte sie nicht immer nach Weingarten
WEINGARTEN - Mit ihrem tiefbraunen Holz, den edlen roten Polstern und den großen goldenen Lampen ist sie der ganze Stolz der Welfenfestkommission. Ein wahres Schmuckstück, das nur einmal im Jahr aus der Halle in der Lägelerstraße gezogen wird, um üblicherweise den Abschluss des Kinderumzuges am Welfenfestmontag zu bilden. Nur der Festkommission, dem Oberbürgermeister oder wichtigen Ehrengästen ist es vergönnt, Platz in der historischen Kutsche zu nehmen. Doch was viele nicht wissen: Sie hat eine düstere Vergangenheit.
Denn jahrelang stand das Paradeexemplar einer Kutsche in einer etwas südlicher gelegenen Halle und fristete dort ein trauriges Dasein. Nie wurde sie genutzt, kaum gehegt, selten gepflegt. Bis die Besitzer ein Einsehen hatten und das Gefährt seiner wahren Bestimmung zuführten. Die Ravensburger Rutenfestkommission vermachte die Kutsche an die Weingartener Welfenfestkommission. „Das stimmt“, sagt Dieter Graf, 1. Vorsitzender der Rutenfestkommission, lachend. „Die Kutsche war für unsere Gruppe einfach zu klein, weil man nur bestimmte Pferde einspannen kann. Und bevor wir sie verkaufen wollten, haben wir sie lieber an unsere Nachbarn verschenkt.“
Wann genau die Übergabe stattfand, kann Graf nicht sagen. Und auch Horst Wiest, stellvertretender Vorsitzender der Welfenfestkommission, fällt es schwer, den genauen Zeitpunkt zu benennen. Wahrscheinlich wird es aber um das Jahr 2007 gewesen sein. „Die stand sicher schon 10 bis 20 Jahre in der Halle. Die schenken uns ja nichts, was sie noch gebrauchen können“, frotzelt Wiest, der das Alter der Kutsche auf mindestens 50 bis 60 Jahre schätzt. Vielleicht stamme sie gar aus der Zeit vor dem Krieg, in der noch viel mehr Kutschen herumgefahren seien. „Früher ist der Bauer sogar zum Blutfreitag mit einer Kutsche gefahren“, sagt Wiest.
Durch das hohe Alter sei die Kutsche bei der Übergabe auch in einem bescheidenen Zustand gewesen, sodass sie komplett saniert werden musste. „Wir haben die total auseinandergebaut und über ein Jahr dran rumgemacht“, erinnert sich Wiest, der selbst die neue Bepolsterung übernahm. Sein Welfenfestkommissionskollege Rolf Steinhauser kümmerte sich um die Schreinerarbeiten. Diese nahm der Zimmermann so ernst, dass sich nach der Restaurierung das Weingartener Wappen eingraviert in die Fußstiege wiederfand. „Das war der Beweis. Die Kutsche hat schon immer uns gehört“, scherzt Wiest.
Doch genau diese Geschichte tischte die Weingartener Festkommission dann den Ravensburger Kollegen bei einem Besuch zur Einweihung der Kutsche auf. „Das war nett, wie die da geschaut haben“, erinnert sich Wiest, der die kleinen Frotzeleien als Beleg für das gute Verständnis der Kommissionen untereinander versteht. Das sieht Dieter Graf genauso: „Das war ein Gastgeschenk für die gute Zusammenarbeit. Letztlich sitzen wir doch alle in einem Boot.“
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