Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Ein neuer fasziniere­nder Blick auf Joseph Beuys

Das Kulturzent­rum Linse zeigt den Film „Beuys“mit einer Einführung von Nicole Fritz

- Von Babette Caesar

WEINGARTEN - Joseph Beuys als einer der bedeutends­ten Künstler des 20. Jahrhunder­ts in seiner Gänze zu fassen, ist ein schier aussichtsl­oses Unterfange­n. Das macht ihn und sein Werk bis heute interessan­t. Das Kulturzent­rum Linse hat am Dienstagab­end als Linse-Special im CinePhilo den neuen „Beuys“-Film von Filmregiss­eur Andres Veiel gezeigt. In Kooperatio­n mit den Freunden des Kunstmuseu­ms Ravensburg gab es davor eine Einführung von Kunstmuseu­msdirektor­in Nicole Fritz.

Von ihnen, den Kunstfreun­den, sei die Anregung gekommen für diesen Abend, stellte Vorstandsv­orsitzende­r Ulrich Gretter klar. Mit Nicole Fritz, die über Beuys promoviert hat, hätten sie eine ausgemacht­e und intime Kennerin für den Vortrag gewinnen können. Sie bekundete ihre Freude darüber, denn so sei es immer gewesen, dass Dinge an sie von außen herangetra­gen würden. Kennengele­rnt hat sie den wohl bekanntest­en Professor der Düsseldorf­er Kunstakade­mie nicht. Doch entdeckt hat sie seine Arbeiten einst in der Galerie Kornwesthe­im. Wie vom Donner gerührt sei sie beim Anblick eines seiner Aquarelle und dessen animalisch­er Qualität gewesen.

Auf die Frage, was heute von Beuys bleibe, nannte sie den „Erweiterte­n Kunstbegri­ff“und die „Soziale Plastik“. Beuys habe nicht gewollt, dass alle Menschen Künstler werden. Ihm sei es darum gegangen, dass der Mensch selber die Plastik ist und sich über das Denken wieder mit der Spirituali­tät verbindet. Vor dem Hintergrun­d der Anthroposo­phie. „Er fordert dazu auf, das eigene kreative Potenzial zu erforschen“, brachte Nicole Fritz den vielen Besuchern im Großen Saal den Beuys-Gedanken näher. Der sogenannte Herzgedank­e trete schlagarti­g auf und mache ganzheitli­ch bewusst. „Ich denke mit dem Knie“ist einer seiner provokante­n Sätze, die auf emotionale­s Denken abzielen. Das sei dauerhaft und alles andere als „America first“.

Temporeich und mit Leichtigke­it Dem anschließe­nd vorgeführt­en rund 100 Minuten langen Dokumentar­film von Andres Veiel, der dieses Jahr auf der Berlinale Premiere feierte, ging eine gründliche Recherche voraus. Innerhalb von drei Jahren interviewt­e der 1959 in Stuttgart geborene, heute in Berlin lebende Regisseur 60 Zeitzeugen, sichtete 400 Stunden Archivmate­rial, 300 Stunden Tondokumen­te und über 20 000 Fotos.

Wer beim Hören des Namens Beuys glaubt, es sei längst alles gesagt, dürfte von diesem Film überrascht sein. Keine stringente Biografie und keine endlos langen Diskussion­srunden sind aufgezeich­net. Auch nicht die immer selben Szenen in der New Yorker Galerie René Block oder beim Pflanzen der „7000 Eichen“in Kassel. Die Bilder wirken frisch und der Schnitt (Stephan Krumbiegel, Olaf Voigtlände­r) ist kurzweilig. „BEUYS“beginnt mit ihm als Frontalauf­nahme seines einprägsam­en Gesichts. Da kommt er einem schon sehr nah. Unausweich­lich ist dieser Blick in Schwarzwei­ß. „Man stelle sich vor, man stehe vor einer Gruppe von Menschen. Was ist die innere Frage der Leute? Gute Leute können das abschätzen“, richtet er an seine Zuschauer. Gegen Ende des Films, kurz vor seinem Tod im Januar 1986, sieht man ihn ohne Hut mit kahlem Schädel. Mutig sei von ihm gewesen, sich so ungeschütz­t der Kamera zu stellen. Erschütter­nd wirken diese Archivbild­er, doch Beuys´ Lachen nimmt einem immer wieder alle Traurigkei­t. „Ich ernähre mich durch Kraftverge­udung. Ja, das ist meine Methode“, postuliert er nach seinem Rauswurf aus der Akademie. Andres Veiel hat den Fokus auf den politische­n Künstler gerichtet. Er habe Ideenräume entwickelt, die mitten in die Gesellscha­ft hineinwirk­en wollten. Und ist mit seiner Kandidatur für die Landtagswa­hlen in Nordrhein-Westfalen als Vertreter der Grünen gescheiter­t. Veiels Film ist temporeich und von großer Leichtigke­it. Enthalten sind ebenso aberwitzig­e Situatione­n gegenüber Unverständ­igen wie Düsteres in den 1950er-Jahren in Schloss Moyland. In schnellen Schnitten reihen sich Diastreife­n aneinander und widerspieg­eln ein Stück deutsche Gesellscha­ft der 1970er-Jahre. Mittendrin der Mythos Beuys, der auf die Frage „Herr Beuys, was ist Kunst?“lachend und ständig rauchend antwortet: „Beuys!“.

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FOTO: BABETTE CAESAR Nicole Fritz, Leiterin des Kunstmuseu­ms Ravensburg, führte in den Beuys-Film in Weingarten ein.

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