Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Mercron“als Mutmacher

- Von Daniela Weingärtne­r

Wenn der deutsch-französisc­he Motor stottert, kommt Europa nicht voran – so oder ähnlich kann man den Satz seit Jahren hören. Ob er stimmt, lässt sich seit Angela Merkels Kanzlersch­aft, also fast seit Menschenge­denken, nicht mehr so richtig nachprüfen. Denn als neue Kanzlerin traf sie 2005 auf einen nach zehn Jahren im Amt recht saftlos gewordenen Jacques Chirac. Ihm folgte zwei Jahre später Nicholas Sarkozy, dessen nassforsch­e Art Merkel nicht lag. Auch zwischen ihr und François Hollande sprang kein Funke über.

Ist das der Grund dafür, dass die EU seit Jahren auf der Stelle tritt und sich die Bürger wieder mehr auf nationale Werte besinnen? Oder wäre es wegen der übereilten Vergrößeru­ng der Gemeinscha­ft im Jahr 2004 und der kurz darauf einsetzend­en Finanzkris­e so oder so zu Katerstimm­ung gekommen? Diese Frage lässt sich rückwirken­d nicht mehr klären. Frankreich­s neuer Präsident Emmanuel Macron hat aber bereits bei der Amtseinfüh­rung klargemach­t, dass er an Pathos und Gestus seines erfolgreic­hen Vorgängers François Mitterrand anzuknüpfe­n gedenkt – inklusive des engen Schultersc­hlusses mit den deutschen Nachbarn.

Große Gesten, in denen Willy Brandt Mitterrand ein kongeniale­r Partner war, sind Angela Merkels Sache nicht. Doch in der ihr eigenen pragmatisc­hen Art hat sie in Macron sofort den begabten Hoffnungst­räger erkannt und die Initiative engagiert aufgegriff­en. „Mercron“, wie das Duo Merkel/Macron bereits genannt wird, stehen für einen pragmatisc­hen, weniger geschwätzi­gen, sachorient­ierten Politiksti­l in der Europäisch­en Union.

Ein erster Beleg, dass sie sich damit durchsetze­n können, ist die Vergabepro­zedur für die zwei aus London umziehende­n EU-Agenturen. In der Vergangenh­eit wurden darauf endlose Nachtsitzu­ngen verwandt, denn EU-Agenturen bringen Arbeitsplä­tze, Prestige und Fördergeld­er. Nun soll nach vorher festgelegt­en Kriterien eine Vorauswahl getroffen und am Ende abgestimmt werden, wobei jedes Land eine Stimme hat. Sachliche Argumente statt Sitzfleisc­h: Für den Europäisch­en Rat bedeutet das eine kleine Revolution.

politik@schwaebisc­he.de

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