Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Mercron“als Mutmacher
Wenn der deutsch-französische Motor stottert, kommt Europa nicht voran – so oder ähnlich kann man den Satz seit Jahren hören. Ob er stimmt, lässt sich seit Angela Merkels Kanzlerschaft, also fast seit Menschengedenken, nicht mehr so richtig nachprüfen. Denn als neue Kanzlerin traf sie 2005 auf einen nach zehn Jahren im Amt recht saftlos gewordenen Jacques Chirac. Ihm folgte zwei Jahre später Nicholas Sarkozy, dessen nassforsche Art Merkel nicht lag. Auch zwischen ihr und François Hollande sprang kein Funke über.
Ist das der Grund dafür, dass die EU seit Jahren auf der Stelle tritt und sich die Bürger wieder mehr auf nationale Werte besinnen? Oder wäre es wegen der übereilten Vergrößerung der Gemeinschaft im Jahr 2004 und der kurz darauf einsetzenden Finanzkrise so oder so zu Katerstimmung gekommen? Diese Frage lässt sich rückwirkend nicht mehr klären. Frankreichs neuer Präsident Emmanuel Macron hat aber bereits bei der Amtseinführung klargemacht, dass er an Pathos und Gestus seines erfolgreichen Vorgängers François Mitterrand anzuknüpfen gedenkt – inklusive des engen Schulterschlusses mit den deutschen Nachbarn.
Große Gesten, in denen Willy Brandt Mitterrand ein kongenialer Partner war, sind Angela Merkels Sache nicht. Doch in der ihr eigenen pragmatischen Art hat sie in Macron sofort den begabten Hoffnungsträger erkannt und die Initiative engagiert aufgegriffen. „Mercron“, wie das Duo Merkel/Macron bereits genannt wird, stehen für einen pragmatischen, weniger geschwätzigen, sachorientierten Politikstil in der Europäischen Union.
Ein erster Beleg, dass sie sich damit durchsetzen können, ist die Vergabeprozedur für die zwei aus London umziehenden EU-Agenturen. In der Vergangenheit wurden darauf endlose Nachtsitzungen verwandt, denn EU-Agenturen bringen Arbeitsplätze, Prestige und Fördergelder. Nun soll nach vorher festgelegten Kriterien eine Vorauswahl getroffen und am Ende abgestimmt werden, wobei jedes Land eine Stimme hat. Sachliche Argumente statt Sitzfleisch: Für den Europäischen Rat bedeutet das eine kleine Revolution.
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