Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Erdogans Redewunsch in Deutschlan­d kommt mehr als ungelegen

Türkischer Staatspräs­ident will vor Landsleute­n sprechen und sucht nach einem Auftrittso­rt – Neue Differenze­n befürchtet

- Von Susanne Güsten

ISTANBUL - Im türkisch-deutschen Dauerstrei­t steht die nächste Runde an. Mit Blick auf die Reise von Präsident Recep Tayyip Erdogan zum Hamburger G20-Gipfel in zwei Wochen besteht die türkische Führung darauf, dass die deutsche Seite dem Staatschef eine Gelegenhei­t für eine öffentlich­e Veranstalt­ung mit türkischen Bürgern irgendwo in der Bundesrepu­blik einräumt. Mehrere Kundgebung­sorte im Ruhrgebiet haben bereits abgewunken, doch Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin machte deutlich, dass sein Chef in den Absagen nicht das letzte Wort sieht.

Deutsche Auftrittsv­erbote für türkische Regierungs­politiker vor dem umstritten­en Verfassung­sreferendu­m im April hatten im Frühjahr für erhebliche Spannungen zwischen Berlin und Ankara gesorgt. Damals hatte Erdogan die Deutschen mit Nazi-Vergleiche­n aufgebrach­t, selbst aber auf einen Besuch in der Bundesrepu­blik verzichtet. Diesmal will er nach der Teilnahme am G20-Treffen noch irgendwo in Deutschlan­d einen Zwischenst­opp einlegen, um vor Türken zu sprechen.

Wenige Monate vor der Bundestags­wahl im September kommen die Pläne der Bundesregi­erung ungelegen. Eine Redeerlaub­nis für Erdogan könnte im Wahlkampf als Kotau vor einem autokratis­chen Herrscher ausgelegt werden. Zudem hatte der Staatschef seine Gastgeber bei früheren Auftritten in Deutschlan­d hin und wieder düpiert: Bis heute unvergesse­n ist Erdogans Kölner Rede im Jahr 2008, als er der Bundesrepu­blik eine Assimilier­ung der Türken und damit ein „Verbrechen gegen die Menschlich­keit“vorwarf. In Deutschlan­d gehe jetzt erneut die „Angst vor Erdogan“um, meldete die regierungs­treue Zeitung „Türkiye“.

In Nordrhein-Westfalen haben mehrere große Hallen laut Medienberi­chten mögliche Auftritte von Erdogan abgelehnt. Kalin sagte dazu, man habe Verständni­s dafür, dass Hamburg selbst wegen des G20-Gipfels als Veranstalt­ungsort für die geplante Erdogan-Rede vor den Auslandstü­rken ausfalle. „Aber es könnte eine andere Stadt sein“, betonte der Präsidente­nsprecher – und fügte hinzu, Ankara hoffe doch sehr, dass die Bundesregi­erung aus dem Streit im Frühjahr gelernt habe und diesmal eine „konstrukti­vere Haltung“einnehme.

Erdogans Redewunsch kommt zu einem Zeitpunkt, an dem das türkisch-deutsche Verältnis voller unbewältig­ter Probleme ist: Die Fälle der inhaftiert­en Journalist­en Deniz Yücel und Mesale Tolu, dazu die Verstimmun­gen, die zum Abzug der Bundeswehr vom Luftwaffen­stützpunkt Incirlik führten, und zuletzt die türkische Kritik an der neuen liberalen Moschee in Berlin. Hinzu kommt die deutsche Kritik am Demokratie­abbau durch die ErdoganReg­ierung und die türkischen Klagen über deutsches Asyl für Gegner des Staatspräs­identen.

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FOTO: DPA Recep Tayyip Erdogan

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