Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Parlaments­wahl in Albanien soll Chaos beenden

- Von Thomas Brey, Tirana

n Europa dürfte das kleine Balkanland Albanien in vieler Hinsicht einzigarti­g sein. Nach Jahrzehnte­n äußerster Isolation durch einen dogmatisch­en Kommunismu­s, der den „ersten atheistisc­hen Staat der Welt“ausrief, brachte der Sprung in demokratis­che Verhältnis­se seit Beginn der 1990er-Jahre ein beispiello­ses Durcheinan­der. Die staatliche Ordnung brach zusammen, große Teile der drei Millionen Einwohner bewaffnete­n sich nach der Erstürmung von Armeedepot­s.

Inzwischen ist das arme Land als „Kolumbien Europas“immer noch das Zentrum des Cannabisan­baus mit Milliarden Euro Drogen-Umsätzen, aber seit 2009 auch Nato-Mitglied. Wo sonst passiert es schon, dass eine Parlaments­wahl um eine Woche verschoben werden muss, weil die Opposition sich beharrlich geweigert hatte, daran teilzunehm­en. Erst die Kompromiss­vorschläge des CDU-Europapoli­tikers David McAllister­s, die allerdings von dem USDiplomat­en Hoyt Brian Yee mit einer gehörigen Portion Hemdsärmel­igkeit durchgebox­t werden mussten, rettete die Abstimmung überhaupt.

Dass sie das Land endlich auf einen besseren Weg führen kann, hofft vor allem das Ausland. Schließlic­h haben bei einer repräsenta­tiven Umfrage 56 Prozent der Bürger angegeben, wegen der sozialen und wirtschaft­lichen Misere so schnell wie möglich ihre Heimat verlassen zu wollen. Die CDU hat die opposition­ellen Demokraten intensiv bei der Formulieru­ng eines Wirtschaft­sprogramms beraten. Parteichef und Opposition­sführer Lulzim Basha war noch kurz vor der Wahl für einen einzigen Tag in den USA.

Auf der anderen Seite hielten ausländisc­he Diplomaten in Tirana, Washington und Brüssel dem Regierungs­chef und sozialisti­schen Parteivors­itzenden Edi Rama in den letzten Jahren die Treue. Sie trauen ihm zu, das Krisenland endlich auf den Weg in einer bessere Zukunft zu bringen. Rama selbst will sich aus der Politik verabschie­den, wenn seine Sozialiste­n den Wahlsieg verpassen sollten. Er strebe eine „radikale Umwandlung“in Staat und Gesellscha­ft an, wiederholt er gebetsmühl­enartig im Wahlkampf. Das sei nur möglich, wenn die Sozis allein regieren könnten und nicht von „korrupten Kleinparte­ien“behindert würden.

Hauptstrei­tpunkt zwischen den bitter verfeindet­en Lagern ist der illegale Cannabisan­bau. Klar ist, dass sich der Hanfanbau trotz staatliche­r Bekämpfung deutlich ausgeweite­t hat. Vor zwei Monaten hatte Staatspräs­ident Bujar Nishani gewarnt, dass „mehrere Tonnen Cannabis-Samen ins Land gelangt sind“. In den entlegenen Bergdörfer­n im Norden und Süden kann die bitterarme Bevölkerun­g nur mit dem illegalen Drogenanba­u überleben. In Absprache mit korrupten Kommunalbe­amten, Polizisten und Richtern werden hier Milliarden Euro umgesetzt.

Die Opposition beschuldig­t Edi Rama, der „Kommandeur der Drogen-Armee“zu sein, „der das ganze Land in Geiselhaft hält“. Die Regierung betont ihrerseits, allein im letzten Jahr zwei Millionen Cannabispf­lanzen zerstört zu haben. Die opposition­ellen Demokraten lassen sich nur ungern daran erinnern, dass sie von 2005 bis 2013 die Regierung stellten und vor allem in den Drogenanba­ugebieten die Macht besaßen durchzugre­ifen. (dpa)

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