Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Parlamentswahl in Albanien soll Chaos beenden
n Europa dürfte das kleine Balkanland Albanien in vieler Hinsicht einzigartig sein. Nach Jahrzehnten äußerster Isolation durch einen dogmatischen Kommunismus, der den „ersten atheistischen Staat der Welt“ausrief, brachte der Sprung in demokratische Verhältnisse seit Beginn der 1990er-Jahre ein beispielloses Durcheinander. Die staatliche Ordnung brach zusammen, große Teile der drei Millionen Einwohner bewaffneten sich nach der Erstürmung von Armeedepots.
Inzwischen ist das arme Land als „Kolumbien Europas“immer noch das Zentrum des Cannabisanbaus mit Milliarden Euro Drogen-Umsätzen, aber seit 2009 auch Nato-Mitglied. Wo sonst passiert es schon, dass eine Parlamentswahl um eine Woche verschoben werden muss, weil die Opposition sich beharrlich geweigert hatte, daran teilzunehmen. Erst die Kompromissvorschläge des CDU-Europapolitikers David McAllisters, die allerdings von dem USDiplomaten Hoyt Brian Yee mit einer gehörigen Portion Hemdsärmeligkeit durchgeboxt werden mussten, rettete die Abstimmung überhaupt.
Dass sie das Land endlich auf einen besseren Weg führen kann, hofft vor allem das Ausland. Schließlich haben bei einer repräsentativen Umfrage 56 Prozent der Bürger angegeben, wegen der sozialen und wirtschaftlichen Misere so schnell wie möglich ihre Heimat verlassen zu wollen. Die CDU hat die oppositionellen Demokraten intensiv bei der Formulierung eines Wirtschaftsprogramms beraten. Parteichef und Oppositionsführer Lulzim Basha war noch kurz vor der Wahl für einen einzigen Tag in den USA.
Auf der anderen Seite hielten ausländische Diplomaten in Tirana, Washington und Brüssel dem Regierungschef und sozialistischen Parteivorsitzenden Edi Rama in den letzten Jahren die Treue. Sie trauen ihm zu, das Krisenland endlich auf den Weg in einer bessere Zukunft zu bringen. Rama selbst will sich aus der Politik verabschieden, wenn seine Sozialisten den Wahlsieg verpassen sollten. Er strebe eine „radikale Umwandlung“in Staat und Gesellschaft an, wiederholt er gebetsmühlenartig im Wahlkampf. Das sei nur möglich, wenn die Sozis allein regieren könnten und nicht von „korrupten Kleinparteien“behindert würden.
Hauptstreitpunkt zwischen den bitter verfeindeten Lagern ist der illegale Cannabisanbau. Klar ist, dass sich der Hanfanbau trotz staatlicher Bekämpfung deutlich ausgeweitet hat. Vor zwei Monaten hatte Staatspräsident Bujar Nishani gewarnt, dass „mehrere Tonnen Cannabis-Samen ins Land gelangt sind“. In den entlegenen Bergdörfern im Norden und Süden kann die bitterarme Bevölkerung nur mit dem illegalen Drogenanbau überleben. In Absprache mit korrupten Kommunalbeamten, Polizisten und Richtern werden hier Milliarden Euro umgesetzt.
Die Opposition beschuldigt Edi Rama, der „Kommandeur der Drogen-Armee“zu sein, „der das ganze Land in Geiselhaft hält“. Die Regierung betont ihrerseits, allein im letzten Jahr zwei Millionen Cannabispflanzen zerstört zu haben. Die oppositionellen Demokraten lassen sich nur ungern daran erinnern, dass sie von 2005 bis 2013 die Regierung stellten und vor allem in den Drogenanbaugebieten die Macht besaßen durchzugreifen. (dpa)