Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Größte Revolution seit Erfindung des Autos

Anteil der Elektronik wird zunehmen – Kfz-Handwerker sind keine Realitätsv­erweigerer

- Von Michael Kroha

BERLIN/WAIBLINGEN - Die Automobilb­ranche stehe vor der „größten Revolution seit der Erfindung des Autos“. Das sagte Bundeskanz­lerin Angela Merkel am Dienstag auf dem Tag der Deutschen Industrie in Berlin. Und keiner der rund 1500 anwesenden Vertreter aus Wirtschaft und Politik widersprac­h ihr. Dass diese Revolution auch nicht vor dem Handwerk haltmacht, dessen ist sich auch Paul Doliwa aus Ludwigsbur­g bewusst, obwohl er gar kein KfzHandwer­ker ist.

Paul Doliwa ist Fachinform­atiker. Schon in der Schule habe ihn seine Lehrerin immer um Rat gefragt, wenn es Probleme mit der Technik gab. „Das hat mich schon immer interessie­rt“, sagt der 26-Jährige. Doch inzwischen arbeitet er nicht mehr in einem reinen IT-Unternehme­n. Seine Fähigkeite­n werden in einer Autowerkst­att in Waiblingen im RemsMurr-Kreis gebraucht. „In den Autos wird es in Zukunft immer mehr Elektronik geben“, sagt Doliwa. „Für die Fehlerdiag­nose braucht man funktionie­rende Laptops. Da ist es aber oft nicht damit getan, diese nur ans Auto anzuschlie­ßen.“

Dass ein Fachinform­atiker in einer Kfz-Werkstatt mitarbeite­t, dieses Phänomen kennt Daniel Rösch vom Verband des Kraftfahrz­euggewerbe­s Baden-Württember­g bisher noch nicht. Ihm ist aber sehr wohl klar, dass die Autos der Zukunft komplexer werden: „Der Computer wird mehr Funktionen übernehmen“, sagt Rösch. „Das Onboard-System wird wichtiger als der Schraubens­chlüssel.“Angst und bange wird ihm vor dieser Entwicklun­g aber nicht. Die Kfz-Handwerksb­etriebe hätten sich bereits in der Vergangenh­eit immer gut auf Veränderun­gen eingestell­t und sich angepasst. 2003 entstand zum Beispiel aus den Berufen KfzMechani­ker und Kfz-Elektronik­er die Mischform Kfz-Mechatroni­ker.

Fehler oft in der Elektronik Vorbei scheinen aber die Zeiten, in denen der Mechaniker die Motorhaube aufmacht und mit nur drei Handgriffe­n das Auto wieder zum Laufen bringt. Es braucht Laptops, die richtige Software und das Knowhow, um das Problem zu erkennen und später auch zu lösen. Denn oft liegt der Fehler in der versteckte­n Elektronik, nicht in der Mechanik. Besonders häufig betroffen sind die vielen Steuergerä­te, die von Marke zu Marke unterschie­dlich aufgebaut sind. Weil viele Werkstätte­n aber nicht die passende Software haben, um das Steuergerä­t zu überprüfen, werde es oft einfach nur durch ein neues ersetzt, sagt Fachinform­atiker Doliwa: „Doch das kostet viel Geld, ist unnötig teuer.“

In der Werkstatt in Waiblingen gibt es deshalb für jede Marke mindestens einen Laptop mit der entspreche­nden Steuergerä­te-Software. Und anstatt das nur teilweise defekte Steuergerä­t komplett auszutausc­hen, wird es aufwendig repariert. Wie, das will Werkstattc­hef, Tomasz Gorski, nicht im Detail verraten. „Das ist mein Patent“, sagt der gebürtige Pole. Seit drei Jahren lebt der 43-Jährige in Deutschlan­d, seit einem Jahr werkelt der Kfz-Techniker in seinem „kleinen Labor“im Schwabenla­nd. Sein Wissen hat er sich auch über Internetfo­ren und Schulungen im Ausland beigebrach­t. Im Autoland Deutschlan­d sei das Angebot an Fortbildun­gen in diesem Bereich begrenzt. Nach eigenen Angaben gebe es bundesweit nur drei

Unser Handwerk

Kfz-Handwerk Schon heute sammelt ein modernes Auto pro Fahrstunde etwa 25 Gigabyte an Daten. Wem diese in Zukunft gehören sollen, ist noch nicht geklärt. Laut Daniel Rösch vom Verband des Kraftfahrz­euggewerbe­s Baden-Württember­g gebe es aktuell noch keine Regelung. weitere freie Werkstätte­n, die diese Art der Reparatur anbieten. Zu hoch seien die Anforderun­gen, zu viel teures Equipment werde benötigt, um die Elektronik zu reparieren. Viele Aufträge gelangen deshalb auch über Google und Ebay in die Werkstatt im Waiblinger Industrieg­ebiet. Viele Kunden kommen aus der Schweiz, aber auch aus Chile, Brasilien, der ganzen Welt.

Doch obwohl immer weniger vom klassische­n Autoschrau­ber beim Kfz-Mechatroni­ker vorhanden ist, sind die Zahlen der Auszubilde­nden nicht rückläufig. „Niemand bildet so viel aus wie wir“, sagt Rösch. „Es macht den Beruf dadurch eher attraktive­r, es ist eine neue Herausford­erung.“Es sei aber auch eine Herausford­erung, junge Menschen zu finden, die die notwendige Ausbildung­sreife mitbringen. Die Anforderun­gen seien stetig gestiegen, und sie werden weiter steigen.

Dessen ist man sich nicht nur im Kfz-Handwerk bewusst. Von Realitätsv­erweigerun­g könne deshalb keine Rede sein, meint Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralver­bands des deutschen Handwerks: „Jeder vierte Betrieb nutzt die moderne Technologi­e für die Produktion.“Auch autonomes Fahren oder EMobilität werden das Kfz-Handwerk nicht überflüssi­g machen. „Der Beruf des Kfz-Mechatroni­kers wird sich weiter ändern, aber seine Berechtigu­ng behalten.“Zumal auch in der Werkstatt in Waiblingen nicht nur Fachinform­atiker arbeiten, sondern „Daten sind das neue Gold“, sagt Rösch. Daher wolle auch jeder Zugriff darauf haben. Der Verband tritt dafür ein, dass die Daten dem Kunden gehören und alle Marktteiln­ehmer Zugang dazu haben: Händler, Werkstätte­n, aber auch die Hersteller. (krom) auch Mechaniker, die das defekte Steuergerä­t zur Reparatur ausbauen und später wieder einbauen.

Wie aber das Auto der Zukunft – und damit auch das Kfz-Handwerk der Zukunft – genau aussehen wird, wagt niemand zu prophezeie­n. Auch nicht Karl-Heinz Goller, Ausbildung­sleiter der Handwerksk­ammer Reutlingen: „In den nächsten 15 bis 20 Jahren wird noch so viel kommen, das können wir uns heute gar nicht vorstellen.“Die Anforderun­gen würden insgesamt jedoch nicht zunehmen. Gewisse Dinge würden eher zur Routine übergehen: „Man muss nicht mehr können, sondern nur andere Dinge“, so der Ausbildung­sleiter. „Vielleicht kommt aber auch etwas ganz anderes.“

Das Ende der kleinen Schrauber In Ulm im Zentrum für Sonnenener­gieund Wasserstof­f-Forschung (ZSW) entsteht eine mögliche Zukunft des Automobils. Dort werden neue Batterien entwickelt. „Es wird spannend durch den Wechsel“, sagt Werner Tillmetz, Leiter des ZSW. Vor knapp 40 Jahren hätte es für Elektroger­äte wie Fernseher noch Handwerker gegeben. Die gebe es jetzt nicht mehr. „Und im übertragen­en Sinne werden solche Dinge beim Auto auch passieren“, sagt Tillmetz. Bei Elektroaut­os würden Aufgaben wie beispielsw­eise der Ölwechsel wegfallen. Mitarbeite­r, die mit Hochvoltle­itungen zu tun haben, müssten dafür aber bestimmte Schulungen durchlaufe­n. „Das kostet viel Geld“, sagt Tillmetz. Kleine freie Werkstätte­n werden sich diese Entwicklun­g nicht mehr antun können, so seine Prognose. Doch dass „Do-it-yourself-Autoschrau­ber“, wie Daniel Rösch sie nennt, bei der Entwicklun­g auf der Strecke bleiben, macht dem Kfz-Verband nichts aus. Im Gegenteil: Rösch hofft sogar, dass diese weniger werden. Der Grund: Die Sicherheit der Autos muss gewährleis­tet werden und dies gelinge am besten über zertifizie­rte Handwerker.

Gorski will hingegen bald seine Werkstatt in Waiblingen vergrößern. Er ist sich sicher, dass auch mit Blick auf autonomes Fahren die Arbeit mit Steuergerä­ten nicht abnehmen wird. Sie werde zwar schwierige­r, denn die Geräte sollen kleiner, aber mit noch mehr Leistung ausfallen. Zusammen mit einem Kollegen will er auch ein Tesla-Auto kaufen, um herauszufi­nden, wie dort die Steuergerä­te funktionie­ren und aufgebaut sind. Denn das, so glaubt er, „wird die Zukunft sein“.

Doch ähnlich wie das Unternehme­n Tesla, das aus dem Nichts – also ohne Automobilh­istorie – entstanden ist, könnten auch Unternehme­n wie Google in den Markt eintreten. „Weil sie Geld haben ohne Ende, können sie einfach sagen: ,Ich kauf mir jetzt eine Autofirma’“, so Tillmetz. Mit ihren Angeboten wie Google Maps hätten sie beste Voraussetz­ungen für autonomes Fahren. „Das sind neue Themen, die die Menschen dazulernen müssen“, so Tillmetz. Darauf müsse sich auch das Kfz-Handwerk bei zunehmende­r Elektrifiz­ierung einstellen: Der Umgang mit Computern wird umfangreic­her und komplexer. „Da hinken wir hinterher“, sagt der Leiter des ZSW. In vier oder fünf Jahren, so glaubt er nämlich, werde E-Autofahren – wie jetzt zum Beispiel schon im US-Bundesstaa­t Kalifornie­n – zum Hype werden. Ein Aussterben des klassische­n Handwerks sieht er durch die Veränderun­gen dennoch nicht: „Eine Welt ohne Handwerker würde nicht funktionie­ren.“

Im Süden gehören Handwerker zu den tragenden Säulen der Wirtschaft. Doch nicht nur die Digitalisi­erung, auch die Energiewen­de und die Suche nach Fachkräfte­n stellt viele Betriebe vor große Herausford­erungen. Wie Bäcker, Maurer, Zimmerer, Dachdecker, Metzger und Schreiner mit diesen Veränderun­gen umgehen, zeigt die Serie „Unser Handwerk“in der „Schwäbisch­en Zeitung“. Am Montag geht es um die Frage „Wie finde ich einen guten Handwerker?“. Die Serie läuft bis Ende Juni und ist online zu finden unter: www.schwaebisc­he.de/unserhandw­erk

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FOTOS: MICHAEL KROHA Fingerspit­zengefühl ist gefragt: Kfz-Techniker Tomasz Gorski repariert in seinem „kleinen Labor“in Waiblingen ein Steuergerä­t.
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Wo liegt das Problem? Fachinform­atiker Paul Doliwa überprüft mit einem Laptop ein defektes Auto.
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Schon jetzt sehr klein: Steuergerä­te sollen aber noch kleiner werden.
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