Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Stillleben mit Schwangere­r

Beate Zschäpe als Bühnenfigu­r: „Das Erbe“an den Münchner Kammerspie­len

- Von Jürgen Berger

MÜNCHEN - Er ist der Shooting-Star unter den Regisseure­n. Jetzt hat Ersan Mondtag an den Münchner Kammerspie­len Beate Zschäpe, die wegen Beihilfe zu den NSU-Morden Angeklagte, zum Gegenstand eines Theaterabe­nds gemacht. Der Text zur Uraufführu­ng stammt von der Autorin Olga Bach.

Wäre die Hölle ein kosmisches Labor, würden dort Lemuren geistern, wie sie jetzt an den Münchner Kammerspie­len zu sehen sind. Aufgeschos­sene Rotgesicht­e mit langem Strähnenha­ar, auf dem Hinterkopf eine Tonsur, als wandelten verhärmte Novizinnen in knielangen Kleidern und mit Kniestrümp­fen durch ein teuflische­s Kloster. Heilig ist dieser Ort nicht. Im Gegenteil: Was Rainer Casper da als Bühne gebaut hat, könnte eine riesige Weltbiblio­thek sein, in der alles zu finden ist, was die Menschheit in Jahrtausen­den gesammelt hat. Die Schönheit der Kunst und Kultur, aber auch all das Grauen der Weltgeschi­chte. „Das Erbe“nennt Ersan Mondtag seinen jüngsten zusammen mit der Autorin Olga Bach und dem Videokünst­ler Florian Seufert entwickelt­en Theaterabe­nd. Mondtag wurde innerhalb kurzer Zeit zweimal zum Berliner Theatertre­ffen eingeladen. Inzwischen kann er es sich aussuchen, an welchem Theater er eines seiner szenischen Gesamtkuns­twerke inszeniere­n möchte.

Im Untertitel der Uraufführu­ng steht „Eine Assoziatio­n zum NSU“. Gemeint ist das Trio des nationalso­zialistisc­hen Untergrund­s, das im Wohnmobil durch Deutschlan­d reiste und neun Männer türkischer und griechisch­er Herkunft ermordete. Die Mordschütz­en Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos richteten sich selbst. Beate Zschäpe, von der man bis heute nicht weiß, welche Rolle sie im rechtsradi­kalen Hinrichtun­gskommando spielte, sitzt immer noch auf der Anklageban­k des Münchner Landgerich­ts und schweigt sich wund. Was sich im Hirn dieser Frau wohl abspielt, fragte sich vor drei Jahren schon Elfriede Jelinek im ebenfalls an den Münchner Kammerspie­len uraufgefüh­rten „Das schweigend­e Mädchen“. Olga Bach, die jetzt für den Text verantwort­lich ist, widmet sich ebenfalls dieser Frage. Ihr Text ist aber nicht zu vergleiche­n mit dem der Nobelpreis­trägerin, und auch Ersan Mondtag hat völlig anders inszeniert als Johan Simon, der ehemalige Kammerspie­l-Intendant und Regisseur der Jelinek-Uraufführu­ng.

Assoziativ­es Kunterbunt Olga Bach schreibt so dicht wie knapp. „Das Erbe“umfasst gerade mal zwanzig Seiten, holt aber trotzdem zu einem kulturgesc­hichtliche­n Rundumschl­ag aus. In einer knappen Bildbeschr­eibung geht es um das „Bildnis eines bartlosen Mannes und Bildnis einer Frau“von Lucas Cranach dem Älteren. Es folgen Textpartik­el von Sophokles, Schiller, Kafka, Böll, Heiner Müller. Mitten im assoziativ­en Kunterbunt sprechen dann aber plötzlich zwei nicht näher definierte Menschen über Beate Zschäpe. Eigentlich sehe sie „fast wie ein zartes Mädchen aus“, meint der eine. Darauf der andere: „Sie sieht völlig verblödet aus.“In der Uraufführu­ng geht an dieser Stelle mitten in der Fake-Bibliothek eine große Schiebetür auf und öffnet den Blick auf einen dahinterli­egenden Raum, in dessen Mitte eine Schauspiel­erin in einem jener Körperanzü­ge liegt, die Nacktheit vortäusche­n. Tina Keserovic sieht wie Beate Zschäpe aus und erweckt in ihrem Bodysuit den Eindruck, sie sei schwanger. Später wird sie mit einem Unschuldsl­ächeln über die Bühne wandeln, sich wie ein trotziges Kind schreiend winden und schließlic­h ihr eigenes Hirn gebären. Jetzt aber liegt sie reglos, und wir verstehen: Hier wurde ein Studienobj­ekt der Menschheit­sgeschicht­e konservier­t. Mit ihm werden sich die maskenhaft­en Lemuren (Jonas Grundner-Culemann, Thomas Hauser, Jelena Kuljic, Lena Lauzemis, Wiebke Puls, Damian Rebgetz) näher beschäftig­en.

Ersan Mondtag inszeniert, als seien Nachkommen der heutigen Menschheit mit einem Raumschiff unterwegs. Robo-Wissenscha­ftler, die durch ein großes Fenster ins Nichts des Alls blicken und kühl gezirkelt das Erbe der Menschheit analysiere­n. Nirgendwo ist da Empathie oder Grauen, auch nicht, wenn sie unvermitte­lt einen Vers aus Gustav Mahlers „Kindertote­nliedern“singen. Das „Oft denk’ ich, sie sind nur ausgegange­n!“wirkt, als wollten sie die Angehörige­n der NSU-Opfer darauf aufmerksam machen, der Tod sei nichts Endgültige­s. Der Eindruck, man sei in einem gefühllose­n Labor gelandet, stellt sich auch ein, wenn es um den Schwaben Ernst August Wagner geht, der im September 1913 nahe Stuttgart seine gesamte Familie ermordete und auf der Straße mit zwei Mauser-Pistolen wahllos um sich schoss.

Der erste amtlich registrier­te Amokläufer schrieb ganz nebenbei Theaterstü­cke und wälzte herrenmens­chliches Gedankengu­t. Nachdem er gestorben war, wurde sein Gehirn seziert, und da habe man, schreibt Olga Bach, einen Schaden im limbischen System festgestel­lt, also in jener Hirnregion, die für unsere Emotionali­tät zuständig ist. Und weiter: „Wagner war wahnsinnig. Keine politische Motivation. Schwere dependente Persönlich­keitsstöru­ng, schwere seelische Abartigkei­t.“Und was soll das bedeuten? Dass Beate Zschäpe am Ende des Münchner Prozesses in eine psychiatri­sche Klinik eingeliefe­rt wird?

Eine ganz andere Frage stellt man sich nicht, denn das wäre ja nicht cool: Ist Ersan Mondtags ästhetisch­es Überwältig­ungstheate­r nicht ein etwas schlaffer Zugriff angesichts der Morde des NSU?

Nächste Vorstellun­gen am 24. und 27. Juni, 2. und 4. Juli. www.muenchner-kammerspie­le.de

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FOTO: ARMIN SMAILOVIC „Das Erbe“zeigt Beate Zschäpe (liegend Tina Keserovic) als Studienobj­ekt der Menschheit­sgeschicht­e.

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