Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Freche Posse auf das Spießbürge­rtum

Das Theater Ravensburg feiert Premiere mit „Die Affäre Rue de Lourcine“

- Von Babette Caesar

RAVENSBURG - Premiere ist Premiere. Davor ist die Anspannung meist groß, während des Auftritts wächst sie noch und danach können alle aufatmen. Das Ensemble des Theaters Ravensburg hat seine Premiere der Komödie „Die Affäre Rue de Lourcine“mit frechem Spielwitz und französisc­hem Charme am Donnerstag­abend über die Bühne gebracht. Draußen im gut besuchten Innenhof des Theaters bei extrem heißen Temperatur­en.

Akkordeoni­st Lothar Sonntag hat den Einakter von Eugène Labiche um die junge ermordete Kohlenhänd­lerin ganz sanft anklingen lassen. Vom Café aus eine Valse Musette spielend, näherte er sich der Bühne, in deren Mittelpunk­t Regisseur Karsten Engelhardt zusammen mit Bühnenbild­ner Werner Klaus ein überdimens­ionales Bett installier­t hat. Im Stil der Biedermeie­rzeit, doch mit Kippeffekt in Richtung Zuschauerr­aum. Die Akteure stecken ebenfalls in Kostümen aus der Entstehung­szeit des Stücks von 1857. Ana Schlegel als Norine in einem himmelblau­en, weit ausladende­n Kleid, womit sie zum optischen Blickfang in dieser Inszenieru­ng wird. Ihre Bewegungen gleichen einer Spielpuppe, die an „Olympia“aus Hoffmanns Erzählunge­n erinnern mögen. Zusammen mit ihrer Mimik – mal ernst, mal schalkhaft – persiflier­t sie das damalige Spießbürge­rtum, das zur Groteske gerät. Wenn sie aus dem zerwühlten Bett ein blondes Haarteil pickt und es ihrem aufgebrach­ten Gatten Oscar Lenglumé (Marco Ricciardo) unter die Nase hält: „Was ist das, Monsieur?“Er: „Ein Geschenk für dich!“Sie: „Ich habe doch Haare.“Er: „Sie werden ausfallen!“Das sind spritzige pointenrei­che Dialoge, mit denen das Stück aufwartet.

Die Monsieurs im Ausnahmezu­stand Die Herren Lenglumé und Minstingue (Alex Niess) wachen nach einer durchzecht­en Nacht gemeinsam im Bett auf und können sich an so gut wie nichts erinnern. Rote Bäckchen und rote Nasen haben sie, abgerissen­e Hosenträge­r, offene Hemdkragen. Wenig standesgem­äß also. Der Fünfte im Bunde ist Tobias Bernhardt in einer Doppelroll­e als Diener Justin und Vetter Potard. Entweder im korrekten dunklen Aufzug oder leuchtkörp­erhaft im froschgrün­en Jackett inklusive großer Fliege um den Hals. Er mimt mit viel Akkuratess­e den Distinguie­rten, wird aber zusehends doch in die haarsträub­enden Verwicklun­gen mit hineingezo­gen. So treffen vier Charaktere aufeinande­r, die das Spiel tempogelad­en vorantreib­en. Lothar Sonntag hat neben der Bühne Stellung bezogen und verleiht nicht nur den Couplets instrument­alen Ausdruck, sondern auch einzelnen brisanten Szenen. Fast ein Flair wie zu Stummfilmz­eiten. Oscar kommt der Part des unentwegt Aufbrausen­den zu. Er fällt quasi von einem Schreckmom­ent in den nächsten. Zwischen wild gestikulie­rend und zur Salzsäule erstarrt, um Schlimmere­s zu verhindern. Mistingue als sein schlaksige­s Gegenstück gerät ihm zur willkommen­en Angriffsfl­äche, nur weiß der sich zu wehren. Bis sie realisiere­n, dass sie vor ewigen Zeiten zusammen die Schulbank gedrückt haben, verstreich­t einiges an Zeit. Beim Katerfrühs­tück zwischen den Kissen passiert es dann. Oscars „Moppel“, sprich Norine, blättert die Zeitung durch und stößt auf den Mord an der Kohlenhänd­lerin. Alle Indizien passen auf die beiden Monsieurs. „Uns ist das passiert, wir sind angeschmie­rt. Kämen wir da mit weißer Weste raus, sind wir fürs Leben kuriert“, lautet eines der Lieder, die sie mit viel Verve singen.

Oscar und Mistingue schicken sich zu zwei Comedians an, die sich ihre Kohle verschmier­ten Hände reinwasche­n. „Seife, Wasser, husch, husch, ist sie weg, die Erinnerung“, gaukeln sie sich vor, wäre da nicht Vetter Potard als Belastungs­zeuge. Oscar gerät aus dem Häuschen. Mistingue macht sich auf, den Damenschuh zu braten. Sehr zur Erheiterun­g der Zuschauer gibt sich die Tanzszene, in der die Paare flugs wechseln und sich mit großen Kullerauge­n kohlenschw­arze Bärtchen auf die Münder drücken. „So viel Aufwand für etwas, was mir nicht mehr erinnerlic­h ist“, ereifert sich Oscar, dessen Gebaren das unvergessl­iche „Nein!? – Doch!! – Ohh!!!“eines Louis de Funès wachruft. Und die Moral von der Geschichte? Die Zeitung ist von gestern, genauer von vor 20 Jahren. Eine vergnüglic­he Farce auf eine übersättig­te Wohlstands­gesellscha­ft, die noch mal mit dem Schrecken davonkommt.

Weitere Aufführung­en im Hof des Theaters Ravensburg sind am 24. Juni, 29. Juni und 30. Juni, jeweils um 20.30 Uhr. Infos und Karten gibt es im Internet unter www.theater-ravensburg.de oder www.reservix.de.

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FOTO: BEBATTE CAESAR Beim Katerfrühs­tück stößt Norine in der Zeitung auf den Mord an der Kohlenhänd­lerin. Beim Katerfrühs­tück stößt Norine in der Zeitung auf den Mord an der Kohlenhänd­lerin.

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