Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Unglaublich spielintelligent
Bundestrainer Joachim Löw schwärmt von seiner Gladbacher Allzweckwaffe Lars Stindl
KASAN (SID/dpa) - Lars Stindl stutzte einen kurzen Moment, dann lächelte er. „Nein“, antwortete Stindl auf die Frage, ob er sich die Trophäe für den besten Torschützen beim Confed Cup schon angeschaut habe. „Da habe ich noch keinen Blick drauf geworfen.“
Das sollte der Kapitän von Borussia Mönchengladbach und zweitältester Spieler im Team vielleicht nachholen. Nach seinem Treffer zum 1:1 (1:1)Endstand gegen den Turnier-Mitfavoriten Chile führt Stindl die Torjägerliste der Mini-WM mit zwei Treffern an. Dabei ist der 28-Jährige ein Spätberufener. Immer wieder wurde sein Name gehandelt, wenn in den vergangenen Jahren eine Kader-Nominierung anstand. Immer wieder verzichtete Bundestrainer Joachim Löw auf Stindls Berufung.
Für den Confed Cup änderte Löw seine Meinung und zeigte sich nach Stindls starkem Auftritt gegen den Südamerikameister in der Kasan-Arena begeistert. „Er ist ein sehr raffinierter Spieler mit unglaublicher Spielintelligenz und guter Orientierung im Raum“, lobte Löw seinen Einzelkämpfer im Angriff.
Stindl nahm das Lob gelassen. Auf dem Weg zum Bus blieb er mit tief ins Gesicht gezogener schwarzer Kappe demütig. „Ja, ich kann nicht meckern momentan“, sagte der Spätzünder. „Ich bin natürlich glücklich, dass ich mit den Toren der Truppe helfen kann. Schon das erste Tor gegen Australien war etwas Besonderes. Auch dieses Spiel und das Tor freuen mich natürlich“, sagte er nach seinem vierten Länderspiel, das auf dem Weg zur WM ein Siebenmeilenschritt gewesen sein könnte für ihn. „Er hat in der Zeit, in er bei uns ist, absolut überzeugt – nicht nur wegen seiner Tore, sondern mit der Art und Weise, wie er spielt“, lobte Löw. Auch neben dem Platz kommt der Neuling gut an. „Er ist schon ruhig, aber auch selbstsicher. Er ist eine Persönlichkeit, er zeigt keine Ansätze von Nervosität“, sagte Löw.
Seit dem ersten Training und dem ersten Testspiel in Dänemark vor zweieinhalb Wochen überzeugt Stindl mit guten Leistungen. Gegen Chile sei er für das Team „unglaublich wichtig“gewesen. Der Bundestrainer übertrug ihm einen Spezialauftrag, die Rolle von Weltmeister Mario Götze als falsche Neun. „Lars ist eigentlich ein Spieler, der aus der Tiefe kommt. Ich habe ihn ganz vorne hingestellt, weil ich wollte, dass er die Bälle gut verarbeitet“, sagte Löw: „Das hat er hervorragend gemacht.“
Viel Zeit, sich auf die ungewohnte Rolle einzustellen, hatte Stindl nicht. „Ich habe es im Laufe des Tages erfahren, dass ich ein Stück weit allein vorne spiele. Ich habe versucht, das Beste daraus zu machen, mich als Anspielstation anzubieten.“Er erfüllte den Job klasse.
Die Krönung war sein zweites Turniertor. Es ist typisch Stindl, dass er den Anteil der Torvorbereiter über den eigenen Beitrag stellte. „Es war ein sehr guter Angriff von der Art und Weise, wie das Tor herausgespielt wurde“, schilderte er und lobte die Bundestrainer Joachim Löw hat beim 1:1 gegen Chile erstmals in seiner elfjährigen Amtszeit keinen Spielerwechsel vorgenommen – um seine junge Mannschaft einer besonderen Prüfung zu unterziehen. „Weil die Mannschaft so gut gearbeitet hat und ich von den Spielern eine gewisse Widerstandsfähigkeit und Härte erwartet habe, auch im läuferischen Bereich gegen sich selbst, lange Wege zu gehen und viel zu investieren“, begründete Löw den ungewöhnlichen Spielverlagerung des im Mittelfeld losstürmenden Emre Can und dessen „sehr guten tiefen Pass“auf Hector. „Jonas läuft gut durch, spielt ihn quer – und ich muss den Ball nur noch reinschieben.“
Die Entschlossenheit, mit der Stindl im Strafraum den Abschluss suchte, zeigt er auch verbal. „Wir wollen natürlich den maximal Erfolg und Schritt. Außerdem habe er „nicht das Gefühl gehabt, dass jemand stark abgebaut hat, die Organisation hat gestimmt, in der zweiten Halbzeit hatte Chile keine Chance“. Löw saß gegen den Südamerikameister zum 149. Mal auf der deutschen Bank. Laut ARD hatte am 6. September 1995 zuletzt ein Bundestrainer gänzlich auf Joker verzichtet – Berti Vogts beim 4:1 im EM-Qualifikationsspiel gegen Georgien in Nürnberg. Gruppensieger werden“, sagte er mit Blick auf die Partie am Sonntag gegen Kamerun (17 Uhr/ZDF). „Dann schauen wir mal, wie es weitergeht.“
Sanchez jubiliert Chile-Star Alexis Sanchez war derweil euphorisiert von seinem Rekordtor. „So wirklich kann ich nicht ermessen, was ich gerade geschafft habe. Vielleicht kann ich später, wenn ich alt bin, all das verstehen“, schwärmte der 28-Jährige. El Niño Maravilla – das Wunderkind, wie er in der Heimat genannt wird – überflügelte mit seinem 38. Länderspieltor die Bestmarke von Marcelo Salas. „Es ist etwas, wovon ich als Kind geträumt habe“, sagte der Stürmer des FC Arsenal. „Als ich mit 16 im Nationalteam angefangen habe, hatte ich die Vorstellung, hier anzukommen.“
Wo Sanchez kommende Saison landen wird – vielleicht doch noch beim FC Bayern? – ist dagegen weiter unklar. Lächelnd, kopfschüttelnd und mit einem „No, no“als Antwort lief er als letzter Spieler Chiles an den Reportern vorbei.