Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Stromlos in Blaustein
Mit dem Ioniq stellt Hyundai ein durchaus alltagstaugliches Elektroauto auf die Räder – Das Problem ist die Ladenetz-Infrastruktur
E lektromobilität ist in aller Munde. Der medialen Präsenz des Themas nach zu urteilen, müssten unsere Straßen voll sein mit Autos, die ihre Energie aus LithiumIonen-Batterien ziehen. Doch jeder weiß: Das Gegenteil ist der Fall. Reine Stromer muss man auf deutschen Straßen noch immer suchen wie die Nadel im Heuhaufen. Eine solche Nadel, ein Hyundai Ioniq, hat Anfang Juni ihren Weg in die Redaktion der „Schwäbischen Zeitung“gefunden.
Dass die Überführung der umweltfreundlichen Limousine von der Hyundai-Deutschland-Zentrale aus dem hessischen Offenbach nach Oberschwaben ausgerechnet mit einem Dieseltransporter erfolgte, muss nicht weiter kommentiert werden. Es offenbart aber eines der drängendsten Probleme, die dem Durchbruch der Elektromobilität in Deutschland noch entgegenstehen: die geringe Reichweite der E-Autos und die fehlende Ladenetz-Infrastruktur bei längeren Überlandfahrten – Punkte, die uns in der einwöchigen Testphase mitunter den Schweiß auf die Stirn trieben. Doch dazu später mehr.
Die erste Begegnung mit dem silbergrauen Hyundai verlief durchaus vielversprechend: Das Auto sieht aus, wie ein Auto aussehen muss. Nichts lässt von außen auf die Stromer-Gene des Ioniq schließen. Fast nichts. Lediglich der fehlende Kühlergrill gibt Hinweise darauf, dass unter der Motorhaube des Südkoreaners kein Verbrenner werkelt, dem Kühlluft zugeführt werden muss, sondern ein Elektromotor.
Auch der Innenraum entspricht dem „normaler“Autos – ein LEDDisplay hinter dem Lenkrad, das über die wichtigsten Parameter wie Akkuladestand, Fahrweise, Geschwindigkeit und Restreichweite informiert. Überdimensionierte Bildschirme, wie sie ein Tesla dem Fahrer präsentiert – Fehlanzeige. Nur der obligatorische Griff zum Schaltknauf führt ins Leere. Vorwärtsund Rückwärtsgang, die Parkposition und die Auswahl der Fahrmodi werden über Knöpfe am Ende der Mittelkonsole angewählt.
Die ersten Kilometer im Hyundai machen Laune. Im Stadtverkehr überzeugt der Fünfsitzer mit einem ordentlichen Anzug, der im Sportmodus noch einmal an Dynamik gewinnt. Dann schickt der E-Motor 295 statt 265 Newtonmeter an das einstufige Reduktionsgetriebe. Bei Ampelstarts gegen deutlich potentere Verbrenner-Konkurrenz behält der Ioniq damit häufig die Nase vorn.
Doch bewährt sich der ElektroHyundai nach den positiven Ersteindrücken auch auf der Langstrecke? Auf Überlandfahrten mit Streckenlängen, die an die vom Hersteller angegebenen maximalen 280 Kilometer heranreichen? Eine Hin- und Rückfahrt von Ravensburg nach Blaustein in der Nähe von Ulm mit Zwischenstopp in Biberach soll Aufschluss geben. Laut Routenplaner gut 200 Kilometer – genügend Puffer also, um mit der vom Bordcomputer errechneten Reichweite von 240 Kilometern hinzukommen.
Doch Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Und so wird am Vorabend der Tour noch ein Blick auf das Ladestellennetz in und um Ulm herum geworfen. Tatsächlich zeigt die Webseite einen Treffer für Blaustein: Am Rewe-Supermarkt des 16 000-Seelen-Städtchens soll sich demnach eine Ladesäule befinden. Es reift der Plan, dort aufzutanken, um mit gut gefüllten Akkus entspannt die Rückfahrt zu genießen.
Kleiner Kofferraum und eingeschränkte Übersichtlichkeit nach hinten, lange Ladezeiten, Akkus nicht mietbar
Derart gerüstet geht es am Folgetag in Richtung Ulm. Der Ioniq zeigt sich als durchaus flotter Verkehrsteilnehmer, der sich bis zum Zwischenstopp in Biberach genügsam gibt. Die zurückgelegten 50 Kilometer haben die Reichweite des Akkus nur um 37 Kilometer dezimiert. Weiter geht es in Richtung Blaustein. Auf der zweispurig ausgebauten B 30 rollt der Ioniq sanft dahin. Nur die durch die Fahrt verursachten Windgeräusche sind vernehmbar. Das Gefühl, zur automobilen Avantgarde zu gehören, keimt auf.
Zur Mittagszeit Ankunft in Blaustein. Der Rewe-Markt ist schnell gefunden. Auch die Ladesäule mit zwei für E-Autos reservierten Parkplätzen ist da. Ein kurzer Check der Verbrauchsdaten: Die zwischen Biberach und Blaustein zurückgelegten 50 Kilometer haben die Reichweite des Akkus um 60 Kilometer dezimiert. Kofferraum auf, Ladekabel raus und dann – Ernüchterung. Um an der Säule Strom zu tanken, ist eine Schwabencard des örtlichen Stromversorgers, der Stadtwerke Ulm, notwendig. Ohne Schwabencard kein Strom. Es reift die Erkenntnis, dass die Rückfahrt nicht ganz so problemlos verlaufen könnte wie gedacht.
Mit einer Restreichweite von 143 Kilometern und einem flauen Gefühl in der Magengrube geht es zurück nach Ravensburg. Vom Gefühl automobiler Avantgarde ist nicht mehr viel übrig. Stattdessen: Permanentes Rechnen, ob die Differenz aus Restreichweite und noch zurückzulegender Strecke positiv bleibt. Erstaunlicherweise schmilzt der anfangs komfortable Puffer von 38 Kilometern wie Eis in der Sonne. Jegliche Stromverbraucher werden ausgeknipst – kein Radio und schon gar keine Klimaautomatik, ein Stromfresser mit unglaublichem Hunger. Trotz einsetzendem Regen werden die Scheibenwischer nur sparsam dosiert, und auf abschüssigen Strecken kommt der Fuß vom Gas, um den Akku aufzuladen.
In Biberach keimt erstmals Hoffnung: Es könnte reichen. Doch noch hält die B 30 etliche Steigungen parat. Und der Bordcomputer macht unmissverständlich klar, dass das Ende naht. In Enzisreute dann Gewissheit: Es wird reichen. Auf der Abfahrt ins Schussental kann sich der Akku erholen. Am Ziel in Ravensburg bleiben eine Restreichweite von 16 Kilometern und die Erkenntnis, dass Überlandfahrten im Elektroauto einer gewissenhafteren Vorbereitung bedürfen.