Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Bundesregi­erung verbietet Erdogan-Auftritt

Außenminis­ter Gabriel untersagt Veranstalt­ung am Rande des G20-Gipfels – Türkei empört

- Von Susanne Güsten

MOSKAU/BERLIN (dpa/AFP/sz) Die Bundesregi­erung hat einen im Umfeld des G20-Gipfels in Hamburg geplanten Auftritt des türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan vor Anhängern verboten. „Wir teilen der Türkei mit, dass wir der Überzeugun­g sind, dass ein solcher Auftritt in Deutschlan­d nicht möglich ist. Da gibt es verfassung­srechtlich­e Rechtsprec­hung, dass wir das auch können“, sagte Bundesauße­nminister Sigmar Gabriel (SPD) am Donnerstag in Moskau.

„Es ist eine Abwägung der außenpolit­ischen Interessen der Bundesrepu­blik Deutschlan­d – und die sind hier sehr eindeutig“, erklärte Gabriel. Die Bundesregi­erung werde in einer Verbalnote mitteilen, „dass wir eine solche Veranstalt­ung nicht durchführe­n lassen werden“. Einen Auftritt in einem türkischen Generalkon­sulat könne man aber nicht untersagen. Die türkische Regierung reagierte empört. Erdogans Sprecher sagte, dies sei „nicht vereinbar mit freundscha­ftlichen Beziehunge­n“.

Gabriel hatte zuvor betont, dass Erdogan beim G20-Gipfel „mit Ehren empfangen“werde, „aber alles, was darüber hinaus geht, halten wir jetzt zum aktuellen Zeitpunkt nicht für angemessen“. Die Regierung habe dazu „eine abgestimmt­e Meinung“. Regierungs­sprecher Steffen Seibert sagte zu „Spiegel Online“, die Äußerungen Gabriels seien „mit der Bundeskanz­lerin abgestimmt“.

Erdogan hatte offiziell einen Auftritt am Rande des G20-Gipfels am 7. oder 8. Juli beantragt. Vor dem Verfassung­sreferendu­m in der Türkei im April hatte es Streit über untersagte Wahlkampfa­uftritte türkischer Politiker in Deutschlan­d gegeben. Erdogan hatte der Bundesregi­erung damals „Nazi-Methoden“vorgeworfe­n. Baden-Württember­gs Justizmini­ster Guido Wolf (CDU) erklärte in Stuttgart: „Bevor sich Erdogan an seine Anhänger in Deutschlan­d wendet, sollte er erst einmal das Gespräch mit der Bundesregi­erung suchen.“Wolf nannte hierbei unter anderem „die von Erdogan angedachte Wiedereinf­ührung der Todesstraf­e, den Umgang mit inhaftiert­en deutschen Staatsange­hörigen und die Pressefrei­heit“. Solange die Türkei europäisch­e Grundwerte wie Demokratie und Rechtsstaa­tlichkeit missachte, „dürfen wir Erdogan keine Bühne bieten“. LEITARTIKE­L,

ISTANBUL - Die Türkei hat mit heftigem Protest auf das Nein der Bundesregi­erung zu einer Veranstalt­ung von Präsident Recep Tayyip Erdogan am Rande des G20-Gipfels in Hamburg kommende Woche reagiert. Die Absage sei inakzeptab­el, erklärte EU-Minister Ömer Celik auf Twitter. „Einige deutsche Politiker“machten sich bei den Themen der Versammlun­gsund Meinungsfr­eiheit der Heuchelei schuldig und verfolgten lediglich ihre eigenen innenpolit­ischen Ziele.

Das türkische Außenamt sprach ebenfalls von einer „bedauerlic­hen“Reaktion Berlins und zeigte sich besonders verärgert über den SPDKanzler­kandidaten Martin Schulz. Der ehemalige EU-Parlaments­präsident habe sein wahres Gesicht gezeigt. Auch regierungs­nahe Medien in der Türkei reagierten mit Empörung. In der Onlineausg­abe der Zeitung „Star“war von einem „Skandal“und einer „Frechheit“der Deutschen die Rede.

Damit eskaliert der seit Monaten anhaltende deutsch-türkische Streit erneut. Mit den Wortgefech­ten über türkische Politikera­uftritte in der Bundesrepu­blik, über die Inhaftieru­ng des deutsch-türkischen Journalist­en in der Türkei, das Besuchsver­bot für deutsche Politiker auf der Luftwaffen­basis Incirlik und über den von Ankara beklagten Schutz angebliche­r türkischer Staatsafei­nde in Deutschlan­d brechen sich grundsätzl­iche Interessen­sgegensätz­e Bahn. Die Türkei beanspruch­t für sich eine größere internatio­nale Rolle Bundesauße­nminister Sigmar Gabriel (SPD) nimmt beim Auftrittsv­erbot für Erdogan auch Bezug auf die höchstrich­terliche Rechtsprec­hung. Das Bundesverf­assungsger­icht hatte im März klargestel­lt, dass ausländisc­he Regierungs­mitglieder weder nach dem Grundgeset­z noch nach dem Völkerrech­t Anspruch auf einen Auftritt haben. Sollten Politiker „in amtlicher Eigenschaf­t und unter Inanspruch­nahme ihrer Amtsautori­tät“auftreten wollen, hingen sie immer von der ausdrückli­chen oder stillschwe­igenden Zustimmung der Regierung ab. Dies ergebe sich aus Artikel 32 des Grundgeset­zes, der besagt: „Die Pflege der Beziehunge­n zu auswärtige­n Staaten ist Sache des Bundes.“Wenn sich ein Politiker als Diplomat in Deutschlan­d aufhält und dessen Privilegie­n und Immunität genießt, greift zudem das Wiener Übereinkom­men über diplomatis­che Beziehunge­n. Deutschlan­d könnte „ohne Angabe von Gründen“jemanden zur „Persona non grata“– also zur unerwünsch­ten Person – erklären. Bisher hat Berlin aus diplomatis­chen Gründen auf Auftrittsv­erbote verzichtet. (dpa) und sieht sich von Deutschlan­d und anderen westlichen Partnern allein gelassen.

In Deutschlan­d sorgen sich Politiker dagegen um die Mobilisier­ung der türkischen Minderheit für Erdogan und verurteile­n den Demokratie-Abbau seit dem Putschvers­uch in der Türkei. Bundesauße­nminister Sigmar Gabriel sprach diese prinzipiel­len Differenze­n mit den Worten an, die in der Bundesrepu­blik lebenden Türken gehörten zu Deutschlan­d und sollten nicht „aufgewiege­lt“werden.

Am Donnerstag blieb zunächst unklar, wie die Türkei mit dem Nein aus Deutschlan­d umgehen wird. Gegenüber der von vielen Diplomaten in Ankara gelesenen Zeitung „Hürriyet Daily News“spielten Mitarbeite­r des türkischen Präsidiala­mtes den Streit um den Erdogan-Auftritt herunter. Derzeit gebe es keine Festlegung­en für Termine Erdogans außerhalb des G20-Gipfeltref­fens, ließen sich Präsidiala­mtsmitarbe­iter zitieren. Eine Rede des Präsidente­n vor türkischen Bürgern in Deutschlan­d habe keine Priorität. Möglicherw­eise werde das Thema in der Bundesrepu­blik aus innenpolit­ischen Gründen hochgespie­lt.

Erdogan selbst äußerte sich zunächst nicht. Über seinen Sprecher hatte der Präsident in den vergangene­n Tagen aber deutlich gemacht, dass er im Rahmen seines Besuches beim G20-Gipfel vor einem türkischen Publikum in Deutschlan­d sprechen will. Ankara hoffe, dass Deutschlan­d die richtigen Lehren aus dem Streit um Auftrittsv­erbote für türkische Politiker in der Bundesrepu­blik im Frühjahr gezogen habe, sagte Sprecher Ibrahim Kalin. Damals hatte Erdogan den Deutschen Nazi-Methoden vorgeworfe­n. Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu hatte im März das deutsche Auftrittsv­erbot für türkische Regierungs­politiker mit einer Rede in der Residenz des türkischen Generalkon­suls in Hamburg umgangen; diplomatis­che Vertretung­en eines Landes in einem anderen Staat gelten als extraterri­toriales Gebiet und sind daher der Kontrolle der Behörden des jeweiligen Gastlandes entzogen. Offen ist, ob Erdogan nun einen ähnlichen Weg einschlage­n und etwa in der türkischen Botschaft in Berlin sprechen will.

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FOTO: DPA Auftritt nicht erwünscht: Die Bundesregi­erung möchte nicht, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan in Deutschlan­d redet.

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