Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Der Schauspieler und der Mörder
Steffen Schroeder spricht beim „Talk im Bock“von seiner Arbeit als Vollzugshelfer
LEUTKIRCH - Begegnungen mit einem Mörder. Darum ging es am Montagabend bei der 186. Ausgabe des „Talk im Bock“. Fernsehkommissar Steffen Schroeder berichtete über seine Arbeit als ehrenamtlicher Vollzugshelfer.
Es ist eine durchzechte Nacht. Die Gruppe junger Männer, die sich in Neonazikreisen bewegt, hat mit Drogen und Alkohol gefeiert. Sie treffen auf einen Passanten, es kommt zu einem Gerangel, die Lage eskaliert. Die Neonazis schlagen ihr Opfer zusammen, rauben es aus und suchen das Weite. Zwei der Männer sind schon öfter mit dem Gesetz in Konflikt geraten, sind nur auf Bewährung draußen. Wenn das Opfer sie identifiziert, müssen sie ins Gefängnis. Die Neonazis lassen es nicht so weit kommen. Sie kehren zurück und bringen ihr Opfer um. Ein Verdeckungsmord.
Micha ist einer von ihnen. Er sitzt seit 18 Jahren in der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel für die Tat ein – lebenslänglich. Aussicht auf Entlassung: ungewiss. Seit vier Jahren kümmert sich Schauspieler Steffen Schroeder um den Häftling. Neben seiner Rolle bei der ZDF-Krimiserie „Soko Leipzig“als der unkonventionelle Kommissar Kowalski, engagiert er sich als ehrenamtlicher Vollzugshelfer. Alle zwei bis drei Wochen besucht er Micha in der JVA und ist damit einer der wenigen sozialen Kontakte des Häftlings. Über seine Begegnungen mit dem verurteilten Mörder Micha hat Schroeder ein Buch geschrieben. Darüber sprach der Schauspieler am Montagabend mit Moderator Karl-Anton Maucher beim Talk im Bock vor rund 90 Zuhörern.
„Es ist schon ein seltsames Gefühl, wenn man einem so martialisch aussehenden Mensch zum ersten Mal begegnet“, sagt Schroeder. Denn vor vier Jahren, als Schroeder zum ersten mal den Häftling Micha besucht, hat der noch immer die Tätowierungen aus seiner Nazivergangenheit. Das Wort „Hass“bilden die eingestochenen Buchstaben auf dessen Händen. Ein Überbleibsel einer Gesinnung, ANZEIGEN die er inzwischen abgelegt hat. Er nimmt an einem Aussteigerprogramm teil. Für Schroeder eine wichtige Voraussetzung für die Treffen. „Ich weiß nicht, ob das sonst für mich möglich gewesen wäre“, erinnert sich Schroeder.
Bei den Besuchen sprechen sie oft über die Tat und über die Situation im Gefängnis. Auch Michas Lebenslauf inklusive gewalttätigem Vater ist Thema und lässt den Schauspieler über den schmalen Grat zwischen Michas und seinem eigenen Lebensweg reflektieren. „Wenn ich alles so erlebt hätte, was er erlebt hat, wäre ich definitiv nicht der, der ich heute bin.
Micha erzählt auch über das Leben in Haft und die strengen Knasthierarchien. Ein Thema, mit dem sich Schroeder auch an einer Stelle in seinem Buch beschäftigt, die er im Bocksaal vorliest. Micha erklärt, dass man im Knast niemals Schwäche zeigen darf. Angefangen beim Augenkontakt mit anderen, bis zur Gegenwehr bei Attacken anderer. „Da darfste nicht nachgeben, sonst biste Fisch“, zitiert Schroeder den Häftling. Denn als „Fisch“sei man Prügelknabe, werde gezwungen fremde Zellen zu putzen oder noch deutlich Schlimmeres. Verhältnisse, die Schroeder immer wieder an der Möglichkeit der Resozialisierung und am System des Strafvollzuges zweifeln lassen.
Schroeder erzählt im Bocksaal von Situationen mit Micha, als dieser ihn bittet, die Bestattung eines Mithäftlings zu organisieren. Oder der Umgang mit Michas depressiven Phasen und einem drohenden Suizid, der Schroeder in einen Gewissenskonflikt bringt. Die Andeutungen ernst nehmen und der Gefängnisleitung mitteilen, die Micha dann aber in eine spezielle Zelle untergebracht hätte – noch mehr Isolation. „Man weiß da manchmal einfach nicht, was man sagen soll“, gibt der Schauspieler zu.
Doch neben den dunklen Seiten berichtet der TV-Kommissar auch von skurrilen, fast schon lustigen Anekdoten von Freigängen, bei denen Micha vom Angebot im Fastfood-Restaurant völlig überfordert ist, oder zum ersten Mal in seinem Leben mit Euroscheinen einkauft.
Die Frage, ob Micha jemals rauskommt und dann an Schroeders Kaffeetisch platz nehmen wird, konnte der Schauspieler nicht beantworten.
“Das Buch endet 2016. Seitdem hat sich gar nichts getan“, so Schroeder.