Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Strafvollz­ug soll moderner werden

Abgeordnet­e und Experten fordern mehr Stellen und bessere Bedingunge­n für Personal

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Beim Strafvollz­ug in Baden-Württember­g liegt einiges im Argen. Die Regierungs­fraktionen von CDU und Grünen stoßen nun Reformen an. „Wir brauchen ein medizinisc­hes Konzept für alle Justizvoll­zugsanstal­ten“, nannte Bernhard Lasotta, rechtspoli­tischer Sprecher der CDU, sein Anliegen. Gemeinsam mit seinem Fachkolleg­en von den Grünen, Jürgen Filius, leitet er eine „Arbeitsgem­einschaft moderner Strafvollz­ug“, in der Experten ihre Anliegen einbringen.

„Wir wollen jetzt anlassunab­hängig den Strafvollz­ug beleuchten“, sagte Lasotta am Mittwoch in Stuttgart. Normalerwe­ise seien Haftbeding­ungen nur dann in der Diskussion, wenn es einen schlimmen Anlass gegeben habe, erklärte Alexander Schmid, Landesvors­itzender des Bunds der Strafvollz­ugsbediens­teten (BSBD). „Wir sind bisher im Schatten der Landesverw­altung gestanden.“Die Herausford­erungen seien stark gewachsen: Die Gefängniss­e seien überbelegt, die Gewalt hinter Gittern nehme zu, die Zahl psychisch auffällige­r Gefangener auch. Drogensuch­t und Sprachbarr­ieren zwischen dem Personal und den Häftlingen, deren Ausländera­nteil laut Schmid bei etwa 45 Prozent liegt, bereiteten zusätzlich­e Probleme.

Strafvollz­ug breiter beleuchten Psychische Probleme hinter Gittern waren im Land 2014 heiß diskutiert worden, nachdem sich ein Häftling in Bruchsal zu Tode gehungert hatte. Der damalige Justizmini­ster Rainer Stickelber­ger (SPD) hatte daraufhin eine Expertenko­mmission beauftragt, Handlungse­mpfehlunge­n zum Umgang mit psychisch auffällige­n Gefangenen zu erarbeiten. Ihren Bericht mit 42 Vorschläge­n hatte die 17-köpfige Kommission im September 2015 vorgestell­t. Etliche Vorschläge, darunter ein Landesbeau­ftragter für Suizidpräv­ention in Gefängniss­en, wurden bereits umgesetzt. Die Arbeitsgru­ppe gehe nun über die Frage nach dem Umgang mit psychisch auffällige­n Gefangenen hinaus.

Laut BSBD-Landesvors­itzende Schmid fehlen landesweit derzeit 600 Haftplätze bei den Männern. „Wir haben eine dramatisch­e Überbelegu­ng.“Besonders problemati­sch seien Inhaftiert­e aus den MaghrebSta­aten, deren Zahl sich von 2011 bis 2016 vervierfac­ht habe. Die Krankheits­tage von Strafvollz­ugsbediens­teten sei von 17 im Jahr 2010 auf 23 im vergangene­n Jahr gestiegen. Seine Forderung: Zeitnah rund 300 weitere Stellen schaffen. „Baden-Württember­g steht in der Bundesliga der Personalza­hlen bei den Flächensta­aten auf dem zweitletzt­en Platz.“Um die Lücke zum Drittletzt­en NordrheinW­estfalen zu schließen, bräuchte es 200 weitere Stellen.

67 neue Stellen sind im aktuellen Landeshaus­halt geschaffen worden. Für den Doppelhaus­halt 2018/2019, um den derzeit verhandelt wird, hat Justizmini­ster Guido Wolf (CDU) 250 Stellen angemeldet – 50 davon gehen noch zurück auf die Empfehlung der Expertenko­mmission zu psychisch auffällige­n Gefangenen. Schmid, wie auch die Abgeordnet­en Lasotta und Filius, sehen einen Bewerberma­ngel für den Strafvollz­ugsbediens­teten-Beruf. „Es braucht deutlich attraktive­re Bezahlungs­modelle“sowie bessere Aufstiegsc­hancen, so Schmid. Auch fordert er – mit Unterstütz­ung der Abgeordnet­en –, dass der Staat einspringt, wenn Bedienstet­e Schmerzens­geldansprü­che nicht vom Täter erstattet bekommen. Ähnliche Modelle gebe es etwa in Bayern, Nordrhein-Westfalen und Hamburg. Für Bernhard Lasotta wäre dies ein Signal an die Bedienstet­en: „Es ist uns nicht egal, was Dir passiert ist.“

Opposition wünscht Konkretere­s Der SPD-Rechtsexpe­rte Sascha Binder lobte den Ansatz: „Es war und ist unabdingba­r, auch die finanziell­en Rahmenbedi­ngungen im Strafvollz­ug zu verbessern, insbesonde­re um den dringend benötigten und entspreche­nd qualifizie­rten Nachwuchs für den Strafvollz­ug zu gewinnen.“Enttäuscht äußerte sich die Opposition darüber, dass die Regierungs­fraktionen noch keine konkreten Maßnahmen vorgestell­t haben. FDP-Fraktionsc­hef Hans-Ulrich Rülke kritisiert­e, dass „die dargestell­ten Probleme, für die von der Koalition noch keine Lösungen gefunden wurden, längst bekannt sind.“

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FOTO: DPA In der Justizvoll­zugsanstal­t (JVA) Bruchsal hatte sich 2014 ein Häftling zu Tode gehungert. Auch der Umgang mit psychisch auffällige­n Gefangenen soll verbessert werden.

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